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Fortbildung
Gesund auf Reisen
Zu den häufigsten reisebedingten Erkrankungen zählen Störungen des Magen-Darm-Trakts, vor allem der gefürchtete Reisedurchfall, und Infektionskrankheiten wie z. B. Typhus oder Malaria. Ob die klassische Reisediarrhö tatsächlich auftritt, hängt von zahlreichen Faktoren wie Ziel und Dauer der Reise, Jahreszeit, Reisestil und Art der Unterkunft und nicht zuletzt vom Alter und Gesundheitszustand des Reisenden ab. Den wichtigsten Risikofaktor bilden jedoch die so genannten "Risikolebensmittel" wie Milchprodukte, rohes Fleisch und roher Fisch, frisches Obst und Gemüse, Salate mit Mayonnaise, wiederaufgewärmte Speisen sowie unabgekochtes Wasser und Eiswürfel, die daher konsequent gemieden werden sollten.
Bei der Beratung kann dem Kunden die eingängige Regel "Boil it, cook it, peel it or forget it" mitgegeben werden. Wenn Wasser vor dem Trinken abgekocht werden soll, so ist ein kurzes Aufkochen nicht ausreichend, vielmehr sollte es mindestens fünf Minuten sprudelnd kochen. Alternativ ist eine chemische Desinfektion mit Natriumhypochlorit oder Präparaten auf Silberbasis (z. B. Mikropur®) möglich. Zum Waschen von Obst empfiehlt es sich, dem Waschwasser Kaliumpermanganat zuzusetzen.
Reisediarrhö:
Cola nicht empfohlen
Ist "Montezumas Rache" dann doch eingetreten, besteht die wichtigste Maßnahme im ausreichenden Ersatz von Flüssigkeit und Elektrolyten. Am sinnvollsten sind orale Rehydratationslösungen, die zwar die Krankheitsdauer insgesamt nicht verkürzen, jedoch wirksam einem übermäßigen Wasser- und Elektrolytverlust vorbeugen. In der Apotheke stehen für die Selbstmedikation des Reisedurchfalls darüber hinaus zahlreiche weitere rezeptfreie Präparate zur Verfügung, die auch Bestandteil der Reiseapotheke sein können (s. u.).
Nicht zu empfehlen bei Reisediarrhö sind dagegen Cola oder schwarzer Tee, da das darin enthaltene Coffein die Darmperistaltik eher noch fördert. Loperamid sollte mit Vorsicht eingesetzt werden, da unter dieser Therapie möglicherweise pathogene Keime langsamer ausgeschieden werden. Um dies den Kunden plausibel zu machen, ist beispielsweise der Hinweis angebracht, dass damit der Darm "praktisch lahmgelegt wird".
Zu den verschreibungspflichtigen Wirkstoffen, die bei Reisediarrhö eingesetzt werden, zählen Antibiotika wie der Gyrasehemmer Ciprofloxacin und der relativ neu auf dem Markt befindliche Enkephalinase-Inhibitor Racecadotril (Tiorfan®). Racecadotril kann bei Säuglingen ab 3 Monaten und Kindern zur symptomatischen Behandlung der Diarrhö gemeinsam mit oraler Rehydratation und üblichen unterstützenden Maßnahmen eingesetzt werden. Die Wirkung beruht auf der Inhibition der Inaktivierung endogener Enkephaline. Diese Neurotransmitter reduzieren im Magen-Darm-Trakt über einen Angriff an Opiat-Rezeptoren die Sekretion von Wasser und Elektrolyten.
Repellents "lückenlos" auftragen
Besonders in den Tropen, wo Insekten schwere Infektionskrankheiten wie Malaria und Gelbfieber übertragen können, soll sich der Reisende vor Insekten schützen. In der Apotheke sind zahlreiche Repellents erhältlich, die als Wirkstoffe Pyrethroide, Icaridin, Diethyltoluamid (DEET) oder ätherische Öle enthalten. In der Beratung sollte darauf hingewiesen werden, dass der Kunde das Repellent unbedingt lückenlos und auch unter dünner Kleidung auftragen und dessen Wirkdauer beachten soll. Da die Repellents meist nicht wasserfest sind, können nicht nur Baden, sondern auch starkes Schwitzen oder hohe Luftfeuchtigkeit die Wirkung vermindern oder zunichte machen. Bei gleichzeitiger Anwendung eines Sonnenschutzmittels muss das Repellent zum Schluss aufgetragen werden.
Unvermeidlich zum Schutz vor Insekten sind zusätzliche Maßnahmen wie das Tragen körperbedeckender, heller Kleidung und das Schlafen unter einem – möglichst mit Insektiziden getränkten – Moskitonetz. Zu beachten ist ferner, dass einige krankheitsübertragende Insekten wie z. B. die AĎdes-Stechmücke (AĎdes aegypti), die Gelbfieber und Denguefieber überträgt, auch tagsüber aktiv ist.
Sonnenschutz nicht vergessen
Eine ausführliche Beratung zum Sonnenschutz ist wichtiger Bestandteil einer Reiseberatung. Über die Empfehlung eines geeigneten Sonnenschutzpräparates hinaus sollten unbedingt noch allgemeine Hinweise gegeben werden. So sollte der Reisende sich in den ersten Reisetagen langsam an die intensive Sonnenstrahlung gewöhnen, Kopfbedeckung und Sonnenbrille tragen und es grundsätzlich vermeiden, sich in der Zeit von 11.00 bis 15.00 Uhr in der Sonne aufzuhalten. Sonnenschutz-Lotionen sollten 30 Minuten vor dem Aufenthalt in der Sonne aufgetragen werden, Sprays wirken praktisch sofort, sodass es genügt, sie zehn Minuten vorher aufzusprühen. Übrigens verstärken Wasser und Schnee die Sonnenstrahlung, was der Reisende berücksichtigen muss.
Thromboseprophylaxe auf längeren Flugreisen
Auf längeren Flugreisen spielt die Thromboseprophylaxe eine wichtige Rolle. Risikofaktoren für ihr Auftreten sind beispielsweise Übergewicht, ein Alter über 40 Jahre, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Rauchen und die Einnahme hormoneller Kontrazeptiva. Solchen Risikopatienten kann empfohlen werden, im Flugzeug möglichst einen Gangplatz zu wählen, da er mehr Beinfreiheit bietet. Einmal pro Stunde sollten sie durch Fußgymnastik die Venenpumpe aktivieren. Als Faustregel gilt, pro Stunde 100 ml Flüssigkeit zu sich zu nehmen, jedoch keinen Alkohol oder Kaffee.
Bei einer Zeitverschiebung durch den Flug treten nach der Ankunft am Urlaubsort häufig Jet-lag-Symptome wie Schlaf- und Verdauungsstörungen oder eine verminderte Reaktions- und Leistungsfähigkeit auf. Diese Symptome sollten nicht ignoriert und dem Körper sollte ausreichend Zeit zur Anpassung an den neuen Tag-Nacht-Rhythmus gegeben werden. Als Faustregel für diese Anpassungszeit gilt: Bei Reisen Richtung Westen beträgt sie durchschnittlich fünf Tage, bei Reisen Richtung Osten etwa acht Tage.
Dosierung hormoneller Kontrazeptiva
Im Zusammenhang mit der Zeitverschiebung kann auch die Frage auftreten, zu welchem Zeitpunkt die Dauermedikamente am Urlaubsort eingenommen werden sollen. Bei Kurzreisen kann empfohlen werden, eine zweite Uhr mit der "Heimatzeit" mitzunehmen und sich danach zu richten. Bei "kritischen" Arzneimitteln, wie z. B. hormonellen Kontrazeptiva, ist häufig nach zwölf Stunden eine Zwischeneinnahme notwendig, so beispielsweise bei der "Minipille".
Bei den Östrogen-Gestagen-Kombipräparaten ist eine Toleranz von zwölf Stunden möglich; hier muss mit der Kundin unter Berücksichtigung von Reisedauer und Zeitverschiebung eine individuelle Berechnung vorgenommen werden. Eine zusätzliche Einnahme der "Pille" ist auch dann notwendig, wenn es infolge einer Reisekrankheit (Kinetose) innerhalb von drei Stunden nach Einnahme des letzten Dragees zu Erbrechen gekommen ist.
Reisekrankheit vorbeugen
Zur Prophylaxe von Kinetosen können zunächst allgemeine Hinweise wie z. B. die Einnahme leichter Kost vor Reisebeginn und die Wahl eines günstigen Sitzplatzes (im Flugzeug zwischen den Tragflächen, im Bus im vorderen Teil, im Schiff in der Mitte des Oberdecks) gegeben werden. Im Rahmen der Selbstmedikation können Diphenhydramin-haltige Präparate, Vitamin B6 oder ein Ingwer-Präparat empfohlen werden. In schwereren Fällen muss der Arzt verschreibungspflichtige Präparate wie Scopolamin-Pflaster (Scopoderm® TTS), Cinnarizin (Arlevert®), Flunarizin (z. B. Sibelium®) oder Meclozin (z. B. Postadoxin®) verordnen.
Reiseimpfungen
Vor Fernreisen ist es notwendig, sich mit dem Hausarzt oder in entsprechenden Einrichtungen wie z. B. dem Tropeninstitut ausführlich über notwendige Impfungen und die Malariaprophylaxe beraten zu lassen. Die Reiseimpfungen lassen sich allgemein unterteilen in Standardimpfungen (generell empfohlene Impfungen), Pflichtimpfungen (an Einreisebestimmungen gebundene Impfungen) und Indikationsimpfungen (empfohlen bei besonderem und/oder erhöhtem Infektionsrisiko).
Bezüglich der Standardimpfungen sollte überprüft werden, ob eine komplette Grundimmunisierung vorliegt. Nach den aktuellen STIKO-Empfehlungen gilt der Grundsatz "Jede dokumentierte Impfung zählt", d. h. auch bei größeren als den zwischen zwei Impfungen empfohlenen Abständen muss nicht erneut mit einer Grundimmunisierung begonnen werden. Die Impfungen gegen Gelbfieber, Cholera und Meningokokken sind bei Reisen in einige Länder (auch Transit!) vorgeschrieben. Der orale Cholera-Impfstoff Orochol® steht nicht mehr zur Verfügung, als gut verträgliche Alternative wird jetzt Dukoral® verwendet.
Impfungen bei erhöhtem Infektionsrisiko (Indikationsimpfungen) betreffen Hepatitis A und B, Typhus, FSME, Tollwut und Japanische Enzephalitis. Bezüglich der Tollwut zeigen Studien erhebliche Fehleinschätzungen bei Reisen in Tollwut-Hochrisikogebiete; eine präexpositionelle Impfung (z. B. Rabipur®) ist in diesen Fällen empfehlenswert.
Malaria nicht unterschätzen
2003 traten in Deutschland 819 Malariafälle und fünf Todesfälle auf, wobei sich ca. 90 Prozent der Erkrankten im tropischen Afrika infiziert hatten. Offensichtlich wird diese Erkrankung von Reisenden stark unterschätzt, denn 67 Prozent der Erkrankten hatten keine Chemoprophylaxe durchgeführt. Die Malariaprophylaxe ruht auf drei Säulen: der Information, der Expositionsprophylaxe und der medikamentösen Prophylaxe, wobei ein hundertprozentiger Schutz nicht möglich ist.
Zur Malaria-Chemoprophylaxe werden zurzeit Mefloquin (Lariam®), Atovaquon/Proguanil (Malarone®) und Doxycyclin (z. B. Doxy® 100), das jedoch für diese Indikation nicht zugelassen ist, empfohlen. Die Kombination Chloroquin/Proguanil (Paludrine®) wird nicht mehr generell, sondern nur noch für besondere Personengruppen (z. B. Schwangere, Säuglinge), bei denen andere Wirkstoffe kontraindiziert sind, empfohlen. Da die Prophylaxeempfehlungen aufgrund von Veränderungen in der Resistenzlage ständig angepasst werden, empfiehlt sich ein Blick auf die Website der Deutschen Gesellschaft für Tropenmedizin und Internationale Gesundheit e.V. (siehe Kasten).
Bei Fieber immer an Malaria denken
Bei Tropenrückkehrern sind Durchfall, Fieber und Hautveränderungen die häufigsten Symptome. Bei Fieber sollte immer an eine Malaria gedacht werden, auch unspezifische Virusinfektionen, Dengue-Fieber oder Harnwegsinfekte können Ursache dafür sein. Ein fiebernder Tropenrückkehrer sollte umgehend an eine tropenmedizinische Einrichtung verwiesen werden.
Auch bei unspezifischen Hautveränderungen empfiehlt sich eine Abklärung in tropenmedizinischen Spezialeinrichtungen mit entsprechenden Erfahrungen. Zu den Organismen, die bei Tropenheimkehrern unspezifische Effloreszenzen hervorrufen können, zählen beispielsweise Sandflöhe, Hakenwürmer oder Larven der Dasselfliege.
Reiseapotheke individuell zusammenstellen
In jedes Reisegepäck gehört auch eine Reisapotheke, wobei der Inhalt vom Reiseziel, der Reisedauer und -gestaltung abhängig ist. Wichtig ist es, die Arzneimittel der Dauermedikation in ausreichendem Maße mitzunehmen, und zwar in der Regel ein Drittel mehr als für die Reisezeit eigentlich notwendig. Gelegentlich kommt es zu Problemen bei Sicherheitskontrollen, z. B. wenn sich Insulinspritzen im Reisegepäck befinden. Hier empfiehlt es sich, eine entsprechende – eventuell vom Arzt unterzeichnete – Erklärung mitzuführen.
Für Patienten, die Betäubungsmittel einnehmen, ist ein Formular nach dem Schengener Abkommen notwendig (siehe Kasten).
Dr. Claudia Bruhn, Berlin
Quelle:
Dr. Kerstin Ventzke-Neu: „Reise-Gesund- heitsberatung in der Apotheke“, Dr. Chris- tian Schönfeld: „Reiseimpfungen und Malariaprophylaxe – Update und häufige Erkrankungen von Tropenrückkehrern“. Referate auf einer gemeinsamen Fortbil- dungsveranstaltung der Apothekerkammer Berlin und der Ärztekammer Berlin zum Thema „Gesundheit und Reisen“ am 20. April in Berlin.
Selbstmedikation bei Reisediarrhö
- Orale Rehydratationslösungen: Elotrans®, Oralpädon®
- Adsorbenzien, Adstringenzien: Tannalbin®, Tannacomp®, Kaoprompt-H®
- Präparate mit Mikroorganismen: Perenterol®, Omniflora N akut, Mutaflor®
- Loperamid: Imodium® akut, Generika
Checkliste Reiseberatung
- Reiseapotheke
- Sonnenschutz
- Insektenschutz
- Thromboseprophylaxe
- Impfungen/Malariaprophylaxe
- Kinetose
Reiseberatung
- Malaria-Chemoprophylaxe: Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Tropenmedizin und Internationale Gesundheit e.V.: www.dtg.mwn.de
- BtM-Formular: Bei Reisen bis zu 30 Tagen in Mitgliedstaaten des Schengener Abkommens (z. Z. Deutschland, Belgien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Griechenland, Island, Italien, Luxemburg, Niederlande, Norwegen, Österreich, Portugal, Schweden und Spanien) kann die Mitnahme von ärztlich verschriebenen Betäubungsmitteln mit einer vom Arzt ausgefüllten und durch die oberste Landesbehörde oder eine von ihr beauftragte Stelle beglaubigten Bescheinigung erfolgen. Das Formular kann über die Website des BfArM ausgedruckt werden: www.bfarm.de.
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