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Wenn der Pseudocustomer kommt
Der Testkauf
Der Pseudocustomer und ich treffen uns, kurze Absprache. Um 11 Uhr 30 betrete ich im Freizeitlook als erste die Apotheke. Eine PTA bedient gerade einen Kunden, der Chef wendet sich an mich, im Hintergrund arbeiten weitere Mitarbeiterinnen. Alle tragen weiße Kittel mit Namensschildern und Berufsangabe. Ich gebe vor, eine Tagescreme kaufen zu wollen, die mir eine Freundin empfohlen hat und deren Namen ich nicht weiß. Plötzlich wird es voll, hintereinander drängen sich sechs, sieben Kunden, als letzter der Pseudocustomer, vor den HV-Tischen, wo – durch das Eckhaus vorgegeben – der Platz etwas beengt ist. Der Pseudocustomer ist eine Kollegin mit langjähriger Berufserfahrung und dem Zusatzstudium Public Health, eigens geschult für dieses Projekt.
Der Leiter ist freundlich, nimmt sich viel Zeit für mich. Ich kaufe meine gewünschte Gesichtscreme, gebe dann vor, den Zettel mit dem Namen einer weiteren Creme suchen zu müssen, lasse die anderen Kunden vor und krame an der Seite stehend umständlich in den Tiefen meiner Umhängetasche, die Ohren gespitzt. Zwei PTA und der Leiter stehen jetzt im Handverkauf. Den Pseudocustomer spricht die eine PTA an.
Die Apothekentesterin verlangt ein OTC-Präparat, das sie als Großpackung kaufen möchte. Die PTA holt es, nennt den Preis, der Pseudocustomer fragt beiläufig, ob etwas beachtet werden muss. Daraufhin entspinnt sich die Beratung (vier Minuten) mit etlichen Nachfragen wie zum Beispiel die, ob die Kundin das Präparat kennt, einmal befragt die PTA den Computer und klärt über zwei bestimmte potenzielle Interaktionen auf. Es bleibt bei der Großpackung, der Pseudocustomer bezahlt und verlässt vor mir die Apotheke, ich folge.
Nach dem Besuch ...
Wir treffen uns in der schräg gegenüberliegenden Bäckerei, am Stehtisch füllt die Apothekenbesucherin 12 DIN-A4-Seiten zügig aus. Detailliert wird abgefragt, ob und wie lange der Pseudocustomer warten musste, wie die Beratung ablief, ob zum Beispiel auch nichtmedikamentöse Angebote unterbreitet wurden oder wie die kommunikativen Fähigkeiten eingeschätzt werden. Dann gehen wir umgehend zurück – weil jetzt die Erinnerung des Apothekenteams noch frisch ist, außerdem die Apotheke über Mittag schließt – und outen uns. Ich bin froh, dass uns niemand in Zusammenhang gebracht hatte, die Tarnung war gut, das Apothekenteam hat nicht bemerkt, dass dies der Besuch des Pseudocustomers war.
Wir sitzen in einem großzügigen Besprechungszimmer, routiniert überspielt die Beratungskollegin die anfänglich aufgeregte Stimmung. "Es geht darum, wie wir etwas optimieren können", lächelt sie die PTA und den Apotheker gewinnend an. Während sie sonst zunächst allein mit einer getesteten Angestellten und anschließend gemeinsam mit Chef oder Chefin den Besuch durchgeht und bespricht, sind wir diesmal, weil ich dabei bin, zu viert. Der Pseudocustomer stellt sich kurz vor und erfragt einige Fakten über die Apotheke und die Angestellten bis hin zu Fortbildungen, Qualifizierungen und Qualitätsmanagementmaßnahmen.
Dann ist die PTA (25-jährige Berufserfahrung) an der Reihe, sie wird gebeten, den Kundenkontakt aus ihrer Sicht zu schildern. Zuerst hatte sie eine Stammkundin bedient, erzählt sie, zwischendurch arbeitete sie an einer Rezeptur im Hintergrund der Apotheke weiter ("das musste auch noch quellen"), dann kam "unser Fall" des OTC-Kaufs. Den gehen die drei Beteiligten haarklein durch, es ist ja nicht schlecht gelaufen. So hatte die PTA (wenn auch erst auf Kundennachfrage) geklärt, ob das OTC-Präparat für die "Patientin" war und nach Blick in die ABDA-Datenbank vorsorglich auf zwei Interaktionen hingewiesen.
Die Apothekenbesucherin greift das auf, ihr war es noch nicht individuell genug, so erspare die einfache Frage, ob weitere Medikamente genommen werden, die Einzelhinweise auf Arzneimittel, die diese "Kundin" gar nicht nimmt. Kurz entfacht die Frage, ob die Hunderter-Packung dieses OTC-Präparats abgegeben werden sollte, die Diskussion zwischen PTA, Leiter und dem Pseudocustomer. Die PTA hatte im Gespräch von einem – ein Jahr zurückliegenden – Arztbesuch zu diesen Beschwerden erfahren und wähnte die "Patientin" betreut in ärztlicher Behandlung.
Die Apothekenbesucherin meinte, der Arztbesuch liege länger zurück, sie hatte die Ärzteempfehlung eines anderen Arzneimittels erwähnt und gesagt, dass das ihrer Meinung nach wirkungslos blieb. Eine Möglichkeit wäre also die Abgabe der 20er-Packung gegen die akuten Beschwerden gewesen verbunden mit dem Rat zum Arztbesuch, meint der Pseudocustomer. Beide, Leiter und PTA, sind interessiert und engagiert, bald kommen sie von der Momentaufnahme auf den Apothekenalltag.
Was hätte besser laufen können
Nachdem die Testkäuferin alle Punkte ihrer Checkliste ins Spiel gebracht hatte, spricht sie auch das an, was noch besser hätte laufen können. Sie lässt die PTA und den Apotheker von ihren Erfahrungen berichten. Fast eine Stunde dauert die Nachbereitung, schnell wird mir klar, dass gerade dieses Gespräch mit der Außenstehenden den Gewinn für die Apotheken ausmacht, die sich freiwillig für das Projekt melden. Der Pseudocustomer erzählt an konkreten Beispielen, warum offene Fragen an den Patienten wichtig sind (zum Beispiel "haben Sie eine Idee, woher Ihre Beschwerden kommen können?"), wie man ansonsten noch ins Gespräch mit dem Kunden kommen kann und wie man möglichst viele Informationen über dessen Arzneigebrauch erhält.
Weil die Apothekerin das sachlich und kompetent, zugleich in einem netten Ton überbringt, stehen die Zeichen nicht auf Konfrontation. Es wird deutlich, dass sie selbst vieles während ihrer Berufstätigkeit erlebt hat, das Gespräch ist offen und sehr kollegial, ein lebhafter Erfahrungsaustausch. Deutlich bringt die Testerin die Botschaft über, warum eine aktive Beratung zu Arzneimitteln von Angesicht zu Angesicht, die individuell auf den jeweiligen Patienten und seine Geschichte eingeht, so wichtig ist. Medikamente in Päckchen zu packen und kommentarlos an Kranke zu schicken, kann eine anonyme Versandapotheke auch.
Der Leiter berichtet von seinen Überlegungen zu Qualitätsmanagementsystemen – er hält die offiziellen Angebote für überteuert, die Apothekenbesucherin empfiehlt ihm die Kontaktaufnahme zur Kammer – und Plänen zur pharmazeutischen Betreuung. Allein in den letzten zwei Monaten, nachdem er seine Apotheke freiwillig für das Pseudocustomer-Projekt angemeldet hat, konnte er einen Motivationsschub bei seinen Angestellten und bei sich selbst feststellen, einen Anreiz, den er als "positiven Stress" bezeichnet: Alle bemühen sich, mehr mit den Kunden und Patienten ins Gespräch zu kommen. Konkret hatte er sich mit seinem Team darauf geeinigt, bei jedem Patienten zu versuchen, den Satz "Kennen Sie das Medikament?" anzubringen.
Keine Kontrolle
Sein Resümee nach dem verdeckten Apothekenbesuch: Er ist sehr angetan, von "außen" so viel Feedback bekommen zu haben und will das anschließend mit den übrigen Mitarbeitern noch einmal durchgehen. Er schlägt vor, den Besuch des Pseudocustomers zweimal im Jahr stattfinden zu lassen.
Wir verlassen die Apotheke, die einen ausführlichen Berichtsbogen über den Besuch des Pseudocustomers erhalten wird. Der Leiter wiederum wird ein paar Fragen seiner Apothekerkammer auf einem Blatt beantworten. Ich unterhalte mich noch kurz mit der Testerin, dann trennen wir uns. Sie war mit der Bahn aus dem hohen Norden angereist, ich fahre zurück ins Büro nach Bonn. War noch etwas? Ach ja, kein einziges Mal fiel im Gespräch das Wort "Kontrolle". Richtig, denn es war auch keine Kontrolle. Es war ein verdeckter Apothekenbesuch in einer ganz "normalen" Apotheke – unter Echtbedingungen, wie er an jedem anderen Ort stattfinden könnte. Es war ein Besuch, der Hilfe zur Selbsthilfe anbot, um noch besser zu werden.
Susanne Imhoff-Hasse
Das Pseudocustomer-Projekt
Seit März 2004 können Apotheken freiwillig an einem Pseudocustomer-Projekt teilnehmen und so ihre Beratungsstärke anonym bestimmen lassen. Ihnen werden ein oder zwei Besuche eines Apothekentesters pro Jahr angeboten, auf Wunsch auch mehr. Ziel ist, so die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA), dass Pharmazeuten selbst die Qualität der Beratung in öffentlichen Apotheken kritisch hinterfragen. Konkret sollen Ansätze zur Qualitätsverbesserung in den Apothekenalltag integriert werden, Leiter und Mitarbeiter erhalten ein persönliches Feedback mit Verbesserungsvorschlägen.
Das Zentrum für Arzneimittelinformation und Pharmazeutische Praxis (ZAPP) der ABDA hat Themen aus der Selbstmedikation ausgewählt, standardisierte Leitfäden und Dokumentationsbögen konzipiert und Apothekerinnen und Apotheker zu Pseudocustomern, die in der Regel von den Kammern benannt werden, geschult.
Niedersachsen und Nordrhein gehen hier einen anderen Weg, die Pseudocustomer der teilnehmenden Apotheken kommen von der Arbeitsgruppe Arzneimittelanwendungsforschung des Zentrums für Sozialpolitik der Universität Bremen, sind allerdings – wegen der Vergleichbarkeit der Ergebnisse – von ZAPP-Mitarbeitern geschult worden und nutzen deren Fragebögen. Das ZAPP behält die Fäden in der Hand und ist für die Gesamtauswertung der Daten zuständig. Regionale Gesamtergebnisse gehen anonym an die Kammern, die daraus den Bedarf für spezifische Schulungen ableiten können.
Bei unserem Bericht über den Besuch einer Apotheke lassen wir alle Beteiligten – Leiter, Mitarbeiter und Pseudocustomer – anonym. Wir dokumentieren weder die "Kundenfrage", das Beratungsgespräch noch den anschließenden Auswertungsbogen, da die Besuche eines Pseudocustomers im Bundesgebiet weiterlaufen und die Nennung sämtlicher Details einen Apothekentester womöglich enttarnt.
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