Zukunftschance Gendiagnostik

Die Apotheke ist idealer Ort für die Bestimmung!

Es ist nur ein Beispiel von vielen: Vor kurzem wies die Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft in einem Bericht über Gefahren einer Atomoxetin-Überdosierung (siehe Kasten) darauf hin, dass bei so genannten poor metabolizern für CYP2D6 – und das sind ca. 9% der Bevölkerung – erhöhte Plasmakonzentrationen von Atomoxetin entstehen können. Atomoxetin wird hauptsächlich über CYP2D6 verstoffwechselt, bei einem verlangsamten Abbau besteht Kumulationsgefahr. Wir sprachen mit Prof. Dr. Joachim Bauer von der Klinik für Psychiatrie und Psychosomatik der Uniklinik Freiburg über die Möglichkeiten und die Notwendigkeit, den Metabolisierungstyp bestimmen zu lassen.

 

Prüfung der Medikamentenverträglichkeit

Fakt ist, dass in der Regel der verordnende Arzt nicht weiß zu welchem Metabolisierungstyp der zu behandelnde Patient zählt, ob wie in diesem Beispiel sein Patient einer der gefährdeten poor metabolizer ist. Therapiert wird quasi blind, Nebenwirkungen fahrlässig in Kauf genommen. Prof. Dr. Joachim Bauer hat schon 2003 in einem Artikel im Deutschen Ärzteblatt (Bauer, J.: Arzneimittelunverträglichkeit – Wie man Betroffene herausfischt. Dtsch. Ärztebl., 100: A 1654–1656, [2003]) angemahnt, dass Ärzte Patienten über die Problematik der individuell unterschiedlichen Abbauprozesse von Arzneimitteln aufklären und ihnen anbieten sollen, ihren Metabolisierungstyp bestimmen zu lassen. In der Apotheke sieht er den idealen Ort für die Bestimmung der Medikamentenverträglichkeit.

DAZ:

Es gibt eine Vielzahl von Substanzen, die über das CYP450-Enzymsystem metabolisiert werden. An welchen lassen sich besonders gut die Auswirkungen und vor allem Gefahren zeigen, die durch unterschiedliche Metabolisierungsmuster zustande kommen?

Bauer:

Patienten haben eine individuell unterschiedliche Entgiftungsfähigkeit gegenüber einer ganzen Reihe von Medikamenten. Unterschiedlich entgiftet werden unter anderem Psychopharmaka wie Antidepressiva und Neuroleptika, aber auch Herzmedikamente wie Betablocker oder Antiarrhythmika, Medikamente gegen die Alzheimer-Erkrankung wie Cholinesterasehemmer und eine ganze Reihe weiterer Substanzen. Ein Teil der ca. 16.000 Patienten, die in Deutschland jährlich an unerwünschten Medikamentenwirkungen sterben, könnte noch leben, wenn wir die Dosierungen an die individuelle Entgiftungsfähigkeit eines Menschen anpassen würden.

DAZ:

Seit November 2004 steht mit dem Amplichip® CYP450 erstmals ein pharmakogenetischer Chip für die Routinediagnostik zur Verfügung, mit dessen Hilfe CYP2D6- und CYP2C19-Polymorphismen zu erkennen sind. Würde eine Routinetestung damit schon weiterhelfen? Was muss darüber hinaus getan werden?

Bauer:

Ein solcher Diagnostik-Chip ist ein riesiger Fortschritt. Es ist im Grunde die gleiche Situation wie bei einer Blutgruppenbestimmung. Niemand empfindet die Bestimmung der Blutgruppe als Eingriff in die persönliche Sphäre. Schließlich kann die Unverträglichkeit einer Blutspende zum Tod führen. Bei Medikamenten ist es das Gleiche. Warum aber wird die Verträglichkeit bei Blutspenden geprüft, nicht aber die Verträglichkeit gegenüber Medikamenten? Jeder Patient, der ein Medikament erhält, bei dem Unterschiede in der individuellen Entgiftungsfähigkeit bestehen, sollte vorher darauf getestet werden, was für ihn die richtige Dosierung ist. Neben den P450-Entgiftungsenzymen 2D6 und 2C19 sollte man auch 2C9 in die Diagnostik mit einschließen. Dieser Test muss einmal im Leben gemacht werden, das Ergebnis sollte in den Blutgruppenausweis eingetragen werden.

DAZ:

Zu wissen, welcher Metabolisierungstyp vorliegt, ist entscheidend, doch was ist dann zu tun? In Ihrem Artikel im Deutschen Ärzteblatt haben Sie die Situation angeprangert, dass zahlreiche Pharmaunternehmen im Rahmen klinischer Prüfungen "poor metabolizer" aus ihren Testreihen ausschließen. Daten zur Dosierung für "poor metabolizer" können so nicht vorliegen. Wie soll der Arzt dann die Dosis festlegen? Müssen die Vorschriften für die Durchführung von klinischen Studien angepasst werden?

Bauer:

Bei jedem Medikament müssten vor der Zulassung die Dosierungen für schwache Entgifter festgestellt worden sein. Für viele Medikamente, z. B. für tricyclische Antidepressiva, liegen bereits Daten vor, anhand derer der Arzt die Dosis anpassen kann. Schwache Entgifter brauchen zum Teil nur einen Bruchteil der "normalen" Dosis, um volle Wirkspiegel zu erzielen. Mir ist unerklärlich, warum das Bundesgesundheitsamt und die Pharmahersteller hier nicht schon längst tätig geworden sind.

DAZ:

Die diagnostischen Möglichkeiten zur Bestimmung des Metabolisierungstyps sind nicht neu, die Forderungen, sie zu nutzen ebenfalls nicht. Was hat sich in den letzten Jahren getan? Wie lässt sich erreichen, dass zumindest vor dem Einsatz von kritischen Arzneistoffen der Metabolisierungstyp bestimmt wird?

Bauer:

Der Durchbruch sind hier die Biochips. Früher musste man zur Bestimmung der individuellen Medikamentenverträglichkeit dem Patienten Testsubstanzen geben, deren Metabolite man dann im Rahmen einer Dünnschicht-Chromatographie einer Urinprobe bestimmen musste. Auch die älteren gendiagnostischen Methoden, also die Analyse von DNA nach Verdau mit Restriktionsenzymen, war eine ungeheuer aufwändige Sache. Die Biochip-Methode ist einfach, sicher und bedeutet für den Patienten nichts weiter als eine kleine Blutprobe. Ein idealer Ort für die Bestimmung der individuellen Medikamentenverträglichkeit wären die Apotheken. Mit einer entsprechenden Schulung könnte die Diagnostik hier abgewickelt werden. Ich bin sicher, dass die meisten Patienten diesen Service in Anspruch nehmen und dafür auch die Unkosten tragen würden.

DAZ:

Herr Professor Bauer, wir danken Ihnen für das Gespräch!

Das Interview führte Dr. Doris Uhl, Stuttgart.

Atomoxetin: Krämpfe und QTc-Verlängerung nach Überdosierung

Der selektive Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer Atomoxetin ist seit Januar 2005 in Deutschland zur Behandlung der Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) zugelassen. In den USA ist er seit November 2002 auf dem Markt. Amerikanische Autoren berichten jetzt erstmals über mögliche Folgen einer Atomoxetin-Überdosierung.

Bei einem 15-jährigen ADHS-Patienten traten nach Einnahme von 1200 mg Atomoxetin (verordnet waren 80 mg/d) generalisierte Krampfanfälle und eine QTc-Verlängerung auf. Neben Atomoxetin erhielt der Patient wegen einer Depression zusätzlich Bupropion (2 u 150 mg/d), Risperidon (2 u 0,25 mg/d) und Alprazolam bei Bedarf.

Atomoxetin wird hauptsächlich über CYP2D6 verstoffwechselt. Bupropion ist ein starker Inhibitor von CYP2D6, Risperidon wird ebenfalls über CYP2D6 metabolisiert. Es muss davon ausgegangen werden, dass schon bei normalen Dosierungen von Atomoxetin bei dieser Kombination durch Interaktionen auf CYP2D6-Ebene Plasmaspiegel von Atomoxetin und seinem Hauptmetaboliten Hydroxyatomoxetin ansteigen werden. Unklar ist, ob die Krämpfe und die QTc-Verlängerung alleine auf Atomoxetin zurückzuführen sind. Auch für Bupropion sind Krampfanfälle beschrieben worden. Eine andere Erklärung könnte sein, dass die QTc-Verlängerung zu einer Torsade-de-Pointes-Arrhythmie mit hypoxischen Phasen geführt hat und so zerebrale Krampfanfälle induziert hat. Es wird darauf hingewiesen, dass auch bei "poor metabolizern" für CYP2D6 bei Atomoxetin mit erhöhten Plasmaspiegeln zu rechnen ist.

Solange keine weiteren Daten vorliegen wird empfohlen, Atomoxetin bei Patienten mit Risiko für Krampfanfälle oder bei gleichzeitiger Gabe von CYP2D6-Inhibitoren mit Vorsicht einzusetzen.

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