Arzneimittel und Therapie

Kolorektales Karzinom: Erster Angiogenesehemmer zugelassen

Mit der Zulassung des monoklonalen Antikörpers Bevacizumab (Avastin®) hat der erste Angiogenesehemmer Einzug in die onkologische Therapie erhalten. Sein innovatives Wirkprinzip beruht darauf, dass er die Vaskularisierung von Tumoren verhindert und damit deren Wachstum und Metastasierung bremst. Bevacizumab ist in Deutschland zur kombinierten Behandlung des metastasierten kolorektalen Karzinoms in der First-line-Therapie zugelassen.

Neben den klassischen Chemotherapeutika etablieren sich in der Onkologie zunehmend innovative Wirkstoffe, die gegen tumorspezifische Signalwege gerichtet sind. Damit sollen Krebszellen gezielt angegriffen und gesunde Zellen weitgehend geschont werden ("targeted therapy"). Ein wichtiges Konzept stellt dabei die Hemmung der Tumorangiogenese, also der krebsinduzierten Gefäßneubildung dar.

Der "angiogene switch"

Angiogenese findet unter physiologischen Bedingungen nur im Embryonalstadium, im Rahmen der Wundheilung oder beim Endometriumaufbau während des weiblichen Zyklus statt. Ansonsten befinden sich Angiogenese-fördernde und -hemmende Faktoren im Gleichgewicht ("angiogene balance"). Anders sieht die Situation beim Krebsgeschehen aus: Ab einer Größe von ca. 2 mm kann sich ein Tumor nicht mehr auf dem Diffusionsweg ernähren. Für sein weiteres Wachstum ist der maligne Zellhaufen nun auf den Anschluss an das Blutgefäßsystem angewiesen, was er selbst in die Wege leitet: Durch verschiedene Faktoren wie Hypoxie, bestimmte Zytokine und Onkogene wird eine definierte Kaskade ausgelöst, in deren Verlauf es zur Überexpression pro-angiogener Faktoren kommt. Dieser "angiogene switch" gilt als ein entscheidender Schritt für die weitere Tumorentwicklung.

VEGF spielt

eine Schlüsselrolle Bei der Tumorangiogenese spielt der von Krebszellen überexprimierte und sezernierte Wachstumsfaktor VEGF (vascular endothelial growth factor) eine Schlüsselrolle. VEGF tritt in benachbarte Blutbahnen ein, bindet an seinen Rezeptor auf Endothelzellen und setzt dort eine intrazelluläre Signalkette in Gang. In der Folge kommt es zur Lyse der vaskulären Basalmembran mit anschließender Aussprossung neuer Kapillaren in Richtung des anigogenen Stimulus.

Die neu gebildeten Gefäße sind sehr permeabel, weitlumig und ungleichmäßig verteilt. Daher existieren innerhalb eines neu vaskularisierten Tumors hypoxische Areale, was wiederum die Produktion angiogener Faktoren anregt. Die VEGF-vermittelte Gefäßneubildung wird heute als eine entscheidende Voraussetzung für Tumorwachstum und Metastasierung betrachtet. Bei manchen Krebsarten wie dem kolorektalen Karzinom korreliert das Ausmaß der VEGF-Überexpression sogar direkt mit der Krankheitsprognose.

Den Tumor aushungern

Bei Bevacizumab (Avastin®) handelt es sich um einen rekombinanten, humanisierten, monoklonalen Antikörper, der als Infusion verabreicht wird. Bevacizumab bindet spezifisch und hochaffin den im Blut zirkulierenden VEGF und verhindert damit dessen Andocken am Endothelzellrezeptor. VEGF wird auf diese Weise unwirksam gemacht und die Vaskularisierung des Tumors unterbunden. Bereits gebildete, noch nicht ausgereifte Kapillarsprosse bilden sich zurück, während gesunde, ausdifferenzierte Gefäße unbeeinträchtigt bleiben. Bevacizumab schneidet also den Tumor von der Blutzufuhr ab, so dass dieser regelrecht "verhungert". Tumorwachstum und Metastasierung werden dadurch gehemmt.

Lebensverlängerung um 30%

Die im Februar 2005 europaweit erteilte Zulassung von Bevacizumab zur Kombinationsbehandlung des nicht vorbehandelten, metastasierten kolorektalen Karzinoms basiert auf einer Studie, mit der erstmals klinisch bestätigt wurde, dass die Angiogenesehemmung eine wirksame Tumortherapie darstellt: In der Untersuchung von Hurwitz et al. erhielten 813 Patienten mit nicht vorbehandeltem metastasiertem Kolorektalkarzinom zusätzlich zur First-line-Therapie mit 5-Fluorouracil (5-FU), Leukovorin (LV) und Irinotecan (IFL-Schema) randomisiert entweder Bevacizumab (5 mg/kg KG alle zwei Wochen) oder Plazebo.

Das mediane Gesamtüberleben als primärer Studienendpunkt konnte unter Bevacizumab um 30% (von 15,6 auf 20,3 Monate, p < 0,001) gesteigert werden; das progressionsfreie Intervall verlängerte sich hochsignifikant um 71% (von 6,2 auf 10,6 Monate, p < 0,001). Diese Effekte werden von Onkologen als unerwartet hoch bewertet, da bisher bei dieser Tumorart noch keine vergleichbaren Ergebnisse beobachtet worden waren. Die Daten einer Patienten-Subgruppen-Analyse der Zulassungsstudie sprechen ebenfalls dafür, dass der Angiogenesehemmer zur Therapieverbesserung beiträgt: Patienten, die im Anschluss an die Chemotherapie-Bevacizumab-Behandlung noch eine Oxaliplatin-basierte Second-line-Therapie erhielten, erreichten eine weitere Steigerung der Gesamtüberlebenszeit auf 25,1 Monate.

Gute Verträglichkeit

Ein großer Vorteil von Bevacizumab ist seine gute Verträglichkeit: Der Angiogenesehemmer verursacht weder Übelkeit, noch Haarausfall oder Knochenmarksschäden. Am häufigsten trat in der Zulassungsstudie eine arterielle Hypertonie auf, die mit einem ACE-Hemmer oder Diuretikum jedoch kontrollierbar war. Als schwerwiegendstes unerwünschtes Ereignis kam es bei 1,5% der Patienten zur Magen-Darm-Perforation, weshalb gastrointestinale Beschwerden unter Bevacizumab röntgenologisch abgeklärt werden müssen. Im Vergleich zu klassischen Chemotherapeutika ist das Nebenwirkungspotenzial von Bevacizumab jedoch vergleichsweise gering.

Großes Zukunftspotenzial

Die Wirksamkeit von Bevacizumab wird derzeit auch in früheren Darmkrebsstadien überprüft. Da man sich von der Angiogenesehemmung bei anderen malignen Tumoren ebenfalls einen therapeutischen Fortschritt verspricht, wird der klinische Nutzen von Bevacizumab auch beim nicht-kleinzelligen Bronchialkarzinom, Brustkrebs, Pankreas- und Nierenzellkarzinom untersucht. Dabei handelt es sich um das weltweit größte klinische Entwicklungsprogramm, das jemals in der Onkologie durchgeführt wurde. Mit einer Zulassungserweiterung für Avastin® wird jedoch frühestens im nächsten Jahr gerechnet.

 

Christiane Weber, Reutlingen

 

Quelle

Prof. Dr. Wolff  Schmiegel, Bochum; Prof. Dr. Hans-Joachim Schmoll, Halle: Einfüh- rungs-Pressekonferenz „Avastin® bringt Hoffnung bei der Volkskrankheit Darmkrebs: Der erste Angiogenesehemmer eröffnet eine neu Ära in der Krebstherapie“, Frankfurt, 10. Februar 2005, veranstaltet von der Hoff- mann-La Roche AG, Grenzach-Wyhlen.

 

 

Darmkrebs in Zahlen

Mit einer Inzidenz von 66.000 pro Jahr steht Darmkrebs in Deutschland an der Spitze der Krebsneuerkrankungen. Deutschland weist verglichen mit den anderen EU-Staaten und den USA die höchste Neuerkrankungsrate auf. Pro Jahr sterben hierzulande über 30.000 Patienten an den Folgen der Erkrankung (damit steht Darmkrebs auf Platz 2 der Krebstodesstatistik). Die Fünf-Jahres-Überlebensrate liegt derzeit bei 50 bis 60%. Bei rund 20% der Patienten liegen zum Zeitpunkt der Diagnose bereits Fernmetastasen vor. Die gesetzlichen Krankenkassen bezahlen ab dem 50. Lebensjahr jährlich einen Haemoccult-Test und ab dem 56. Lebensjahr alternativ eine Vorsorge-Koloskopie.

Potenzielle

Darmkrebsursachen

 

  • hoher Anteil tierischer Fette in der Nahrung
  • häufiger Verzehr von "rotem" Fleisch (Rind, Schwein, Lamm)
  • ballaststoffarme Ernährung
  • Darmpolypen
  • langjährige chronisch entzündliche Darmerkrankungen
  • genetische Prädisposition
  • hohes Lebensalter

 

"Jeder Darmkrebs entsteht aus Polypen, auch wenn nicht aus jedem Polypen Darmkrebs entsteht". 

Prof. Dr. W. Schmiegel, Bochum

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