Kommentar

Ungewohnte Töne

Trillerpfeifen, Rasseln und dröhnende Musik – für viele Apotheker war dies eine ungewohnte Form, sich Gehör zu verschaffen. Ganz anders als im Beratungsalltag, wo die leisen Zwischentöne über die richtige Resonanz beim Patienten entscheiden. Eine Demo überhaupt und dann auch noch an einem so geschmacklosen Termin, am Buß- und Bettag im protestantischen Hamburg – das war noch vor Kurzem unvorstellbar. Doch die Zeiten der leisen Diplomatie sind offenbar vorbei. Wenn kollektiv vorgebrachte Gegenargumente von der Politik nur als Bestätigung gewertet werden und die Große Koalition sich als Inbegriff aller Weisheit versteht, bleibt nur noch der Druck von der Straße. Die unüberhörbaren Hinweise auf die Bedeutung von Apothekenkunden als Wähler sollten auch Politiker verstehen. Apothekensterben, Versorgungsengpässe auf dem Lande, Warteschlangen und fehlende Zeit für Beratung sind Szenarien, die bei den Wählern Eindruck machen.

Es gibt aber nicht nur Befürchtungen oder Hochrechnungen für die Zukunft. Einen Vorgeschmack auf eine mögliche neue Apothekenwelt kann man neuerdings in Augsburg erleben. In einem "Medikamenten-Supermarkt", der einer Apotheke angegliedert ist, gibt es dort OTC-Arzneimittel runde 30 Prozent günstiger. Deutlicher ließe es sich nicht demonstrieren: Generelle, dauerhafte und erhebliche Preissenkungen sind nur über verbrauchsfördernde offensive Präsentation auch heikler Arzneimittelgruppen und über geringere Personalkosten realisierbar.

Beratung nur auf ausdrückliche Nachfrage (wer traut sich das?), Informationen vom Bildschirm (warum nicht gleich unkommentiert aus dem Internet?) und Schlangestehen an der Kasse statt sozialer Kompetenz sind logische Folgen.

In einer Gesellschaft, in der Geiz geil ist, findet dies durchaus Befürworter. Andererseits zeigt die hohe Kundenzufriedenheit bei den Apotheken, wie wichtig den Patienten der gewohnte Service ist. Leider versteht bisher kaum jemand, dass Apotheken ihr umfangreiches Dienstleistungsangebot nicht als Lückenbüßer-Versorger aufrechterhalten können. Um dies deutlich zu machen, dürften noch viele weitere Demos nötig sein.

Thomas Müller-Bohn

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