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Rechtsprechung aktuell
Darf die Praxisgebühr erstattet werden?
Die Bayerische Landesapothekerkammer beantragte gegen den beschuldigten Apothekenleiter die Einleitung eines berufsgerichtlichen Verfahrens, weil er für seine in Bayern betriebene Apotheke im Rahmen eines – im Übrigen von der Landesapothekerkammer nicht beanstandeten – Kundenbindungssystems ("Taler"-System) neben bis dahin bereits ausgelobten Prämien (z. B. Pizza, Autowäsche, Gutschrift je Taler etc.) erstmals auch den "Ersatz der Arzt-Praxis-Gebühr 10 Euro in bar gegen Vorlage der Arztpraxisquittung und 20 bzw. 15 V.-Taler" anbot und dafür entsprechend geworben hat. Die Kunden konnten dabei die betreffenden "Taler" u. a. bei einem Einkauf aus dem nicht apothekenpflichtigen Warensortiment der Apotheke erhalten. Die Bayerische Landesapothekerkammer bewertete dieses Angebot einer Erstattung der Praxisgebühr im Rahmen des Bonussystems der Apotheke als unlauteren Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Apotheken im Sinne von § 9 Ziff. 3 der Berufsordnung für Apotheker sowie als unlauteren Verzicht auf Zuzahlung zu Arzneimitteln im Sinne von § 9 Ziff. 5 der Berufsordnung für Apotheker. Außerdem sei die entsprechende Werbung auch wettbewerbsrechtlich unzulässig und behindere im Ergebnis den Kunden angesichts des faktischen Zwangs, zur Erstattung der Praxisgebühr ein Rezept in der Apotheke des beschuldigten Apothekers und nicht bei einer anderen Apotheke einzulösen, auch an seiner freien Apothekenwahl, sodass zudem § 8 Absätze 1 und 2 der Berufsordnung für Apotheker verletzt seien.
Kein Verstoß gegen wettbewerbsrechtliche Vorschriften
Das von der Landesapothekerkammer angerufene Berufsgericht für die Heilberufe beim Landgericht Nürnberg-Fürth lehnte den Antrag auf Eröffnung des berufsgerichtlichen Verfahrens sowohl in der Besetzung als Einzelrichter als auch in der Besetzung unter Mitwirkung zweier ehrenamtlicher Richter ab. Der zunächst entscheidende Einzelrichter begründete seine Ablehnung damit, dass die offerierte Erstattung der Praxisgebühr nicht im Zusammenhang mit dem Kauf eines verschreibungspflichtigen Arzneimittels stünde (vgl. OLG Frankfurt/M., DAZ 2006, Nr. 16, S. 1765: Ausgabe eines "Talers" für den Erwerb von verschreibungspflichtigen, preisgebundenen Arzneimitteln verstößt gegen die Arzneimittelpreisverordnung). Darüber hinaus sei die betreffende Auslobung der Praxisgebührenerstattung im Rahmen eines Kundenbindungssystems gegen so genannte Taler kein Verstoß gegen wettbewerbsrechtliche Vorschriften, wie im Übrigen dem beschuldigten Apotheker auch vom Landgericht Frankfurt/M. mit Urteil vom 11. November 2004 – im Hinblick auf das Taler-System – rechtskräftig bestätigt wurde. Die sodann erfolgte Ablehnung des Berufsgerichts in der Besetzung unter Mitwirkung zweier ehrenamtlicher Richter wurde damit begründet, dass eine derartige Werbepraxis wettbewerbsrechtlich überwiegend von der obergerichtlichen Rechtsprechung gebilligt werde. Ein Verstoß gegen die für Apotheken geltenden Werbemaßstäbe läge jedenfalls deshalb nicht vor, weil die verfahrensgegenständliche Werbung die ordnungsgemäße Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln nicht in Frage stelle.
Auch berufsgerichtliches Verfahren scheiterte
Gegen die ablehnende Entscheidung des Berufsgerichts rief die Bayerische Landesapothekerkammer das Landesberufsgericht beim Oberlandesgericht München an und beantragte die Aufhebung der Beschlüsse des Berufsgerichts sowie die Eröffnung des berufsgerichtlichen Verfahrens. Das berufsgerichtliche Verfahren gegen den beschuldigten Apotheker sei dabei insbesondere aus berufsrechtlichen Gründen zu eröffnen, weil mit einer Erstattung der Praxisgebühr der Grund des Gesetzgebers zur Einführung der Praxisgebühr, nämlich ein rationelles Patientenverhalten zu erreichen, in Frage gestellt werde, wenn die Gebühr nicht vom Patienten, sondern vom Apotheker übernommen werde. Der Anreiz für den Patienten, seine Praxisgebührenquittung mit dem regelmäßig ebenfalls beim Arztbesuch ausgestellten Rezept in einer Apotheke einzulösen, die ihm diese Gebühr erstatte, sei vergleichbar mit dem Regelbeispiel in § 9 Nr. 3 ("Verträge, Absprachen und Maßnahmen, die bezwecken oder zur Folge haben können, andere Apotheken von der Belieferung oder Abgabe von Arzneimitteln ganz oder teilweise auszuschließen") und § 9 Nr. 5 ("Verzicht auf das Einbehalten von Zuzahlungen und Mehrzahlungen, soweit sie nach Sozialgesetzbuch V vorgeschrieben sind, oder das Einbehalten eines Befreiungsbescheides einer Krankenkasse in der Apotheke") der Berufsordnung für Apotheker. Wenn die Apothekerkammer Thüringen das identische Werbeverhalten des beschuldigten Apothekers für seine andere, außerhalb Bayerns liegende Apotheke nicht berufsrechtlich beanstande, so berühre das die (Standes-) Rechtslage in Bayern nicht.
Kein Zusammenhang zwischen Praxisgebühr und Taler
Dieser Argumentation der Bayerischen Landesapothekerkammer folgte aber das Landesberufsgericht nicht, weshalb dieses die Beschwerde als unbegründet zurückwies. Das Landesberufsgericht sah das angegriffene Verhalten des beschuldigten Apothekers als nicht wettbewerbswidrig an und verwies dabei insbesondere auf das Urteil des Oberlandesgerichts Rostock vom 4. Mai 2005, in dem ein fast übereinstimmendes Bonussystem für wettbewerbsrechtlich zulässig erklärt wurde. Auch berufsrechtlich könne unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nichts anderes gelten. Dabei stellte das Landesberufsgericht zunächst fest, dass nicht den Kunden die Entrichtung der Praxisgebühr erspart werde, sondern vielmehr müssen die Kunden diese zunächst entrichten. Auch sei die bloße Vorlage der vom Arzt erhaltenen Praxisgebühr-Quittung in Verbindung mit dem ärztlichen Rezept schon nicht geeignet, bei einem Kauf der verordneten Medikamente die Praxisgebühr erstattet zu bekommen. Dieser Vorgang als solcher brächte den Kunden keinen Vorteil bzw. Taler ein; dieser müsste vielmehr – völlig unabhängig von der Abgabe des Rezepts für verschreibungspflichtige Medikamente – erst anderweitig Taler sammeln. Im Kern bewerbe der beschuldigte Apotheker mit seinem Taler-System folglich das nicht apothekenpflichtige bzw. freiverkäufliche Warensortiment aus seinem Gesamtangebot.
Standesrechtlich nicht zu beanstanden
Auch die weitergehende Argumentation der Landesapothekerkammer, wonach Apotheker Adressaten aller Einsparungsbemühungen der Gesundheitspolitik und deshalb jedenfalls berufsrechtlich besonders verpflichtet seien, die gesetzgeberische Intention zur Erhebung der Praxisgebühr nicht durch ihr Werbeverhalten zu konterkarieren, fand nicht die Zustimmung des Landesberufsgerichts. Apotheker seien nicht Adressaten der Praxisgebührenregelung. Mit der Einführung der Praxisgebühr beabsichtigte der Gesetzgeber vielmehr, sozialversicherungsrechtlich und damit öffentlich-rechtlich den Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung einen zusätzlichen Beitrag zur Konsolidierung der Finanzen der Krankenversicherung abzuverlangen. Dieses öffentlich-rechtliche Ausgleichsverhältnis werde vom Werbeverhalten des beschuldigten Apothekers weder berührt noch gestört, anders als wenn etwa ein Arzt als Beteiligter des gesetzlich geregelten Ausgleichsverhältnisses nach dem Sozialgesetzbuch V seine Patienten unzulässigerweise eine Praxisgebühr nicht abverlangt. Auch das weitere gesetzgeberische Ziel, mit der Praxisgebühr Patienten von all zu sorgloser Konsultation mehrerer Ärzte abzuhalten, werde durch ein außerhalb dieses Arzt-Patienten-Verhältnisses stehendes Werbeverhalten eines Apothekers nicht berührt oder gar gestört. Ergänzend weist das Landberufsgericht darauf hin, dass das verfahrensgegenständliche Bonussystem nicht das apotheken- oder verschreibungspflichtige Warensortiment bewirbt, sondern das so genannte Randsortiment, mit dem der Apotheker als Kaufmann im Wettbewerb bestehen muss. Unter Verweis auf die einschlägige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stellt das Landesberufsgericht ausdrücklich fest, dass die Akquisition als solche nicht berufsrechtswidrig ist (vgl. BVerfG, NJW 2003, 3472/3473). In der gebotenen Gesamtschau sei deshalb die Auslobung eines Ersatzes der "Arzt-Praxis-Gebühr gegen V.-Taler" als eine von weiteren Prämien standesrechtlich nicht zu beanstanden.
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