Analytik

E. Meister et al.Gefriertrocknungsmikroskopie &ndash

Proteine und Peptide nehmen als Wirkstoffe eine immer wichtigere Stellung in der Arzneimitteltherapie ein. Das Mittel der Wahl, um diese labilen Makromoleküle zu stabilisieren, ist die Gefriertrocknung oder Lyophilisation. Die Gefriertrocknungsmikroskopie ist dabei hervorragend geeignet, um neue Formulierungen und Herstellungsprozesse für gerade diese oft biotechnologisch hergestellten Arzneimittel zu entwickeln. Und ganz nebenbei hat die Gefriertrocknungsmikroskopie auch optisch einiges zu bieten.

Gefriertrocknung durch Sublimation

Die Gefriertrocknung ist eine zwar kostspielige, aber sehr schonende Methode, um komplexe Wirkstoffe zu stabilisieren, die in wässriger Lösung innerhalb kurzer Zeit physikalische oder chemische Veränderungen erfahren würden. Das Verfahren beruht auf dem Prinzip der Sublimation: Die Formulierung wird in der Gefriertrocknungsanlage eingefroren, und anschließend wird ihr das gefrorene Wasser entzogen, indem dieses bei einem erniedrigten Kammerdruck und gleichzeitiger Wärmezufuhr über die Stellflächen direkt in die Dampfphase überführt wird (Primärtrocknung). Die Produkttemperaturen während dieser Phase sind sehr niedrig, was den Prozess so schonend macht.

In einer nachgeschalteten Sekundärtrocknung wird ein Großteil der Restfeuchte entfernt, die nach der Primärtrocknung noch in der Feststoffmatrix eingelagert ist. In der Mehrzahl der Fälle ist ein niedriger Restwassergehalt (< 1%) im Fertigprodukt erwünscht, um ein stabiles und gut rekonstituierbares Lyophilisat zu gewährleisten [1].

Mit diesem Verfahren werden vor allem moderne Protein- und Peptidarzneimittel hergestellt, die dem Patienten parenteral appliziert werden. Beispiele dafür sind der humanisierte monoklonale Antikörper Omalizumab (Xolair®), der als lyophilisiertes Pulver auf dem Markt ist und bei allergischem Asthma verwendet wird [2], Trastuzumab (Herceptin®) zur Behandlung von Brustkrebs oder Infliximab (Remi–cade®) zur Behandlung der rheumatoiden Arthritis (alle i.v.) [3]. Die Gefriertrocknung bietet sehr häufig die einzige Möglichkeit, galenisch problematische Wirkstoffe in eine lagerstabile Darreichungsform zu überführen und sie großtechnisch zu produzieren.

Für die Formulierung eines Lyophilisats sind neben dem Wirkstoff und Wasser für Injektionszwecke verschiedene Hilfsstoffe erforderlich. Um den Wirkstoff vor negativen Begleiterscheinungen des Gefrierens oder des Wasserentzugs zu schützen, kommen Lyo- sowie Kryoprotektoren zum Einsatz. Um die Tertiärstruktur des Proteins während des Gefriertrocknens und der Lagerung zu stabilisieren, werden häufig Disaccharide, Aminosäuren, Polymere sowie Puffersysteme verwendet [4].

Neben der Auswahl geeigneter Hilfsstoffe stellt sich die entscheidende Frage nach dem physikochemischen Zustand der Formulierung während des Trocknungsprozesses: Ist die Formulierung nach dem Gefrieren amorph, teilkristallin oder kristallin? Aus der Antwort ergeben sich wichtige Anhaltspunkte für die Prozessentwicklung und -optimierung.

Einbettung in ein Glas

Während Stoffe, die beim Einfrieren aus wässriger Lösung zur Kristallisation neigen, durch einen scharfen Phasenübergang von flüssig nach fest charakterisiert sind (eutektische Temperatur, Teut), erfolgt bei amorphen Strukturen – zusammenfassend als "Glas" bezeichnet – der Phasenübergang allmählich: Die Lösung wird beim Abkühlen im Bereich der Glasübergangstemperatur (Tgę) stark viskos und schließlich bei weiterer Abkühlung ein festes Glas. Dabei werden Bestandteile der Lösung – in diesem Fall Proteine oder Peptide – in diese Matrix eingebettet und sterisch fixiert. Dieser Vorgang ist entscheidend für die Stabilität der Wirkstoffe. Bildlich könnte man ihn mit der Einbettung eines Insekts in Bernstein vergleichen.

Beim Sublimieren den Kollaps vermeiden

Die Verflüssigung einer gefrorenen amorphen Struktur vollzieht sich allmählich im Bereich der Glasübergangstemperatur. Wird nun das Eis kontinuierlich in der Primärtrocknung aus der Formulierung entfernt, bildet sich eine schwammartige Struktur, deren mechanische Stabilität auf der Festigkeit der sehr dünnen, amorphen Wände beruht. Die Stabilität dieser Struktur bleibt bei einer Produkttemperatur unterhalb der Glasübergangstemperatur erhalten; erst bei der etwas höher liegenden Kollapstemperatur (Tc) geht sie Schritt für Schritt verloren. Bei dieser "kritischen Temperatur" kollabiert die Struktur der Matrix, was unerwünschte Folgen für das Lyophilisat haben kann:

  • unakzeptables Aussehen,
  • langsamere oder unvollständige Rekonstitution der applizierbaren Lösung (Auflösen des Lyophilisats in Wasser für Injektionszwecke),
  • verminderte Lagerstabilität, insbesondere wegen eines erhöhten Restwassergehalts,
  • Denaturierung des Wirkstoffs und damit verbundener Wirkungsverlust.

Die Tc liegt häufig ca. 1 bis 3 °C höher als die Tgę; diese Differenz kann für die Entwicklung eines Gefriertrocknungszyklus von großer Bedeutung sein [1, 5]. Auf der einen Seite darf die Produkttemperatur während der Gefriertrocknung diese kritische Temperatur nicht erreichen oder gar überschreiten. Auf der anderen Seite soll die Produkttemperatur möglichst hoch sein, um eine hohe Sub–limationsrate in der Primärtrocknung zu erzielen und damit Zeit und Kosten zu sparen. Bei einer Erhöhung der Produkttemperatur um 1 °C lässt sich die Primärtrocknungszeit um etwa 13% verkürzen [5].

Die Glasübergangs- und Kollapstemperatur ist für jede Formulierung individuell und richtet sich nach Art und Menge der eingesetzten (amorphen) Hilfsstoffe. Ihre Kenntnis bildet das Fundament für einen optimierten Gefriertrocknungszyklus [6]. Während Teut und Tgę kalorimetrisch (z. B. mit Differential Scanning Calorimetry, DSC) bestimmt werden können, kann die Tc ausschließlich mikro–skopisch festgestellt werden.

Methodik der Gefriertrocknungsmikroskopie

Zum Messsystem gehören ein geeignetes Durchlichtmikroskop (Abb. 1) und eine Stage (Abb. 2). Die Stage besteht aus einer Vakuumkammer, in die ein Silberblock integriert ist, der gekühlt bzw. beheizt wird. Die Probe wird auf eine runde Glasscheibe auf dem Silberblock aufgebracht und durch eine weitere Glasscheibe abgedeckt.

Danach wird die Vakuumkammer mit einem Deckel verschlossen. Durch ein Fenster im Deckel kann die Probe beobachtet werden. Nach dem Gefrieren (als Kühlmittel dient flüssiger Stickstoff) wird mit einer Pumpe ein Vakuum erzeugt (< 0,1 mbar). Anschließend wird die Probe durch den Silberblock aufgeheizt und somit eine Primärtrocknung simuliert. Das Eis sublimiert zuerst am Rand; von dort schreitet die Sublimationsfront in Richtung Mitte voran.

Schon nach dem Einfrieren der Probe können durch die Polarisationsmikroskopie wertvolle Informationen über die physikochemischen Eigenschaften (Kristallinität, Mischphasen oder amorphe Strukturen) gewonnen werden. Wird ein Vakuum angelegt, beginnt die Probe zu trocknen, das heißt, das Eis beginnt zu sublimieren; der entstehende Sublimationsbereich erscheint im Durchlicht dunkel.

Verhalten der Proben

Substanzen mit kristalliner Struktur sind in der Gefriertrocknung beliebt, da deren eutektische Temperatur wesentlich höher liegt als die Glasübergangs- und Kollapstemperatur von Substanzen mit amorpher Struktur (Abb. 3).

Ist bei einer Substanz mit amorpher Struktur die Kollapstemperatur erreicht, so sind zuerst deutliche Schattierungen in Form kleiner Löcher an der Sublimationsfront zu erkennen ("partial collapse", Abb. 4a); später kollabiert die Struktur großflächig ("full collapse", Abb. 4b).

Bei der Bestimmung der Kollapstemperatur spielen die Konzentration der Lösung und das Messverfahren eine wichtige Rolle, denn sie können zu abweichenden Ergebnissen führen. Eine zu schnelle Aufheizrate (5 °C/min) kann beispielsweise dazu führen, dass ein Teilkollaps der Probe erst 4 °C über der tatsächlichen Tc eintritt [6, 7]. Eine exakte Messung ist daher abhängig von

  • der Formulierung. Alle enthaltenen Wirk- und Hilfsstoffe müssen ihrer Art nach bekannt sein;
  • der Konzentration der Wirk- und Hilfsstoffe;
  • der Schichtdicke der Probe;
  • der verwendeten Technik, insbesondere des –Mikroskops und der Kamera (siehe Kasten);
  • dem verwendeten Polarisator. Er dient sowohl der Strukturaufklärung (amorph oder kristallin) als auch der besseren Detektion kollabierter Strukturen;
  • der Aufheizrate und den Äquilibrierungsschritten. Je langsamer die Probe im kritischen Temperaturbereich erwärmt wird, desto genauer sind die erhaltenen Messwerte (die Lyophilisation ist generell ein langsamer Prozess);
  • der Intensität des Vakuums. Wenn ein zu hoher Druck angelegt wird (> 0,2 mbar) ist der Massentransport aus der Probe heraus erniedrigt. Die Sublimationsfront schreitet entsprechend langsamer voran.

Vom Labor zur Produktion

Die Arbeitsgruppe in Erlangen beschäftigt sich nicht nur mit der Problematik des Messverfahrens. Im Fokus des Interesses stehen auch Fragen nach der praktischen Übertragbarkeit der gemessenen Kollapstemperaturen auf einen Herstellungsprozess in der Gefriertrocknungsanlage. So werden häufig für einzelne Formulierungen bei voller Beladung des Gefriertrockners mit Vials (durchschnittliche Füllhöhe der Produktlösung: 0,5 bis 1 cm) Kollapstemperaturen festgestellt, die von den mikroskopisch bestimmten Kollapstemperaturen abweichen. Solche Erkenntnisse sind wichtig für die Prozessentwicklung und in einem weiteren Schritt auch für das Scale-up der Produktion.

Fazit

Die Gefriertrocknungsmikroskopie ist zwar im Vergleich zu kalorimetrischen Methoden wie der DSC noch wenig verbreitet, sie bildet aber das Fundament für die Entwicklung und Optimierung der Herstellungsverfahren gefriergetrockneter Arzneimittel. Beim Messen und beim Übertragen der Messwerte auf Gefriertrocknungsanlagen ist vieles zu beachten – von der technischen Ausstattung (Mikroskop und Kamera) über die Wahl der Temperaturprogramme bis hin zur Interpretation der Ergebnisse.

Die Gefriertrocknungsmikroskopie ist hervorragend geeignet, um neue Formulierungen und Herstellungsprozesse für biotechnologisch hergestellte Arzneimittel zu entwickeln. Proteine und Peptide spielen eine zunehmend wichtige –Rolle in der Arzneimitteltherapie. Da es sich um labile –Makromoleküle handelt, kommen sie gewöhnlich als lyophilisierte Zubereitungen in den Handel. Zur Optimierung der Lyophilisation ist die Gefriertrocknungsmikroskopie in Kombination mit einer Kamera und elektronischer Bildbearbeitung unentbehrlich. Nebenbei hat diese Technik auch ihren ästhetischen Reiz.

Technik: Mikroskop und Kamera

Das hier verwendete Axio Imager.Z1m® von Carl Zeiss ist ein für die Gefriertrocknungsmikroskopie sehr gut geeignetes Durchlichtmikroskop. Der Strahlengang (IC2S: Infinity Contrast & Color Corrected System) besticht durch starken Bildkontrast, hervorragende Homogenität und überdurchschnittliche Auflösung. Es kommen drei Long-Distance (LD)-Objektive (z. B. Epiplan®) mit 10-, 20-, und 50facher Vergrößerung zum Einsatz, die automatisch gewechselt werden.

Der Long-Distance-Kondensor des Axio Imager sorgt für eine sehr helle Beleuchtung der untersuchten Probe, was zusammen mit der verwendeten, drehbaren Lambda-Platte und dem motorisierten z-Fokus eine klare Bestimmung von Strukturveränderungen im Produkt erlaubt. Alle motorisierten Komponenten werden über einen Touch-screen gesteuert. Das vereinfacht in der Routine die Probenpositionierung, und mit dem automatisierten Objektivwechsel steigt die Beobachtungsflexibilität während der Messung.

Für das Mikroskop können verschiedene Kamerasysteme verwendet werden, doch ist ein digitales System vorzuziehen. Die kontinuierliche Aufnahme von Bildern ist für die spätere Bildanalyse wichtig. Hierbei sollte man einen Kompromiss zwischen der Bildauflösung und der Speichergröße der Daten eingehen.

Gefriertrocknungsmikroskopie im Überblick

  • Optische Analyse des physikochemischen Zustandes der gefrorenen Probe (amorph, kristallin) mittels Polarisationsmikroskop
  • Langsames Erwärmen der gefrorenen Probe unter Vakuumbedingungen
  • Optische Bestimmung der Kollapstemperatur (Tc) amorpher und der eutektischen Temperatur (Teut) kristalliner Substanzen mittels Durchlichtmikroskop
  • Hohe Relevanz für Prozessentwicklung und -optimierung in der Gefriertrocknung
  • Bisher nur wenig Daten verfügbar

Die Autoren

Eva Meister ist approbierte Apothekerin und seit Februar 2005 Doktorandin in der Arbeitsgruppe "Gefriertrocknung" unter Leitung von Dr. Henning Gieseler am Lehrstuhl für Pharmazeutische Technologie in Erlangen. Ihre Forschungsinteressen liegen im Bereich der Gefriertrocknungsmikroskopie mit Schwerpunkt auf Methodenentwicklung, Formulierung und Übertragbarkeit auf den Lyophilisationsprozess.

E-Mail: meister@pharmtech.uni-erlangen.de

Dr. Susanne Klerner ist Mineralogin und bei der Firma Carl Zeiss MicroImaging GmbH in Göttingen tätig, wo sie sich schwerpunktmäßig mit Material- und Polarisationsmikroskopie beschäftigt.

Dr. Henning Gieseler wurde 2004 am Lehrstuhl für Pharmazeutische Technologie in Erlangen promoviert und hat anschließend als Post-doc in der Arbeitsgruppe von Prof.Michael Pikal an der Universität Connecticut gearbeitet. Anfang 2006 kehrte er nach Erlangen zurück und führt dort mit seiner Arbeitsgruppe die Forschung im Bereich der Gefriertrocknung fort.

E-Mail: lyo@pharmtech.uni-erlangen.de

Anschrift: Universität Erlangen-Nürnberg, Lehrstuhl für Pharmazeutische Technologie, Cauerstr. 4, 91058 Erlangen

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