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Kongress
P. DitzelFortbildung und Begegnungen in Polen (Beric
War er im vergangenen Jahr noch als polnisch-deutscher Kongress deklariert, hatten die Veranstalter, die Polnische Hauptapothekerkammer und die Polnische Pharmazeutische Gesellschaft, ihren zweiten Kongress dieser Art, der auch in diesem Jahr von der Bundesapothekerkammer unterstützt wurde, bereits als internationalen Fortbildungskongress bezeichnet. Die Veranstalter hätten sich noch eine stärkere Beteiligung der deutschen Kolleginnen und Kollegen gewünscht, aber man sah den Grund für den noch zahlenmäßig geringen Besuch aus Deutschland wohl auch in einer zu späten Ankündigung des Programms.
Das soll sich, so war auf einer Pressekonferenz zu hören, im nächsten Jahr, wo der Kongress wieder in Krakau stattfinden soll, ändern. Einen endgültigen Termin konnte man allerdings noch nicht nennen. Über einen anderen Veranstaltungsort wird man zu einem späteren Zeitpunkt nachdenken. Wie die Veranstalter herausstellten, soll dieser Kongress in Polen und in Deutschland zum festen Bestandteil des wissenschaftlichen Fortbildungsprogramms werden, die berufspolitische Diskussion mit den Nachbarländern fördern und der internationalen Begegnung von Pharmazeuten dienen. Die Bundesapothekerkammer und der wissenschaftliche Beirat haben es bereits beschlossen, so beizubehalten.
Auch Dr. Bernd Pietzner, Vizepräsident der Bundesapothekerkammer, wünschte sich eine stärkere Beteiligung aus Deutschland. Zur Motivationsförderung, nach Polen zu fahren, wies er darauf hin, dass Polen ein junges, dynamisches Land mit einer großen Bevölkerung sei und einer langen Grenze zu Deutschland. "Alles was hier passiert, hat Auswirkungen auf Deutschland", so Pietzner. Danzig, Breslau und Warschau könnten in späteren Jahren weitere Kongressorte für diesen Kongress sein.
Apotheker – in Europa ein freier Heilberuf In einem Eröffnungsvortrag zum Kongress befasste sich Hans-Günter Friese, Präsident der Apothekerkammer Westfalen-Lippe, mit dem Thema "Europäischen Union und die Apotheker". Europa soll mit einer gemeinsamen Politik der Mitgliedsländer eine führende Wirtschaftskraft mit sozial hohem Standard werden. Dieser Anspruch führt aber zu einem Spannungsverhältnis innerhalb der EU: ein politisch einheitliches Auftreten konkurriert mit der Autonomie der Regierungen und ein gewünschtes Wirtschaftswachstum kann in Konflikt kommen mit sozialer Verantwortung.
Wie Friese ausführte, wird in Europa die Liberalisierung mit Deregulierung, mehr Wettbewerb und Transparenz groß geschrieben, um die gemeinsamen Ziele zu erreichen. Als Beispiel dafür, was Deregulierung bewirkt, führte er an, dass nicht gefragt wird, wie man zur Qualität kommt (z. B. der Meisterbrief als Voraussetzung für ein Handwerk oder ein approbierter Apotheker als Leiter einer Apotheke), sondern die EU sieht es eher ergebnisorientiert: auf das Ergebnis kommt es an, über Qualität und Wettbewerb.
Hier stellte Friese in den letzten Jahren eine Beweisumkehr fest: Bis etwa 1990 musste sich das "Neue und Moderne" rechtfertigen, dass es besser sei als das Alte und Traditionelle. Heute dagegen muss der "Bewahrende" beweisen, dass das Bisherige besser, preiswerter und wirksamer sei.
Solche Einstellungen haben auch Auswirkungen auf das Apothekensystem, wie die EU-Monita gegen Österreich, Italien und Spanien zeigen, wo nun die Niederlassungsbeschränkungen und das Fremd- und Mehrbesitzverbot auf dem Prüfstand stehen. Mit Blick nach Saarbrücken erklärte Friese, dass sich auch in Deutschland Versuche anbahnen, das bisherige System zu verändern. In Ländern wie England, die Niederlande oder Norwegen, die bereits solche –Liberalisierungen eingeführt haben, sei jedoch deutlich zu hinterfragen, ob die Arzneimittelversorgung günstiger geworden sei, ob die flächendeckende Versorgung noch gegeben sei, was die Oligopolbildung bewirkt habe und wie es um die Qualität der Versorgung stehe. Friese stellte vor den polnischen Kolleginnen und Kollegen, die sich bereits mit Fremd- und Mehrbesitz konfrontiert sehen, heraus, welchen Nutzen die unabhängige Beratung, die persönliche Verantwortung und Haftung des Apothekers und die Qualität der Versorgung über den Dienstleistungswettbewerb hat. Er hoffe, die Apotheke bleibe als Vertriebsform erhalten, als "besonderer Abgabeort für eine besondere Ware durch einen besonderen Beruf". Der Apotheker müsse ein freier Heilberufler in Europa bleiben.
Auch weiterhin gibt es einen europaweiten Bedarf an Apothekern. Frieses Fazit: "Unsere Zukunft wird pharmazeutisch entschieden."
Die Probleme der östlichen Nachbarländer Eine Diskussionsrunde befasste sich mit der Situation und den Problemen im Apothekenwesen von Deutschland und den östlichen Nachbarländern. Dr. Pietzner stellte die derzeitige Situation in Deutschland vor. Er hoffe, dass Fremd- und Mehrbesitz in Deutschland keine Chancen haben. Die diskutierte Freigabe der Arzneimittelpreise in Deutschland wird entschieden abgelehnt, Billigstpreise und Preiskämpfe wolle man nicht. Die Politik solle sich dafür einsetzen, Entwicklungen wie in Norwegen oder in den USA zu verhindern. Er sehe Chancen, dass dies gelinge.
Polen. In Polen ist ein hoher Arzneimittelkonsum festzustellen. Die steigenden Ausgaben der polnischen Krankenkasse für Arzneimittel liegt nicht nur an steigenden Arzneimittelpreisen, sondern auch an der Popularität von Arzneimitteln. Kommt ein Nachahmerpräparat auf den Markt, sinkt zwar der Preis, aber die Anzahl der Patienten, die mit diesen Präparaten behandelt werden, steigt.
Die ökonomische Entwicklung der polnischen Apotheken verlief bis zum Jahr 2000 ansteigend, danach flachte sich die Wirtschaftkurve ab. Wie Andrzej Wróbel ausführte, gibt es derzeit 13.000 Apotheken in Polen, Tendenz steigend. Hinzu kommen rund 1500 "Apothekenpunkte" (kleinere Abgabestellen für Arzneimittel), außerdem zahlreiche Kioske, Supermärkte und Tankstellen, die bestimmte Arznei- und Gesundheitsmittel verkaufen dürfen. Eine Apotheke versorgt durchschnittlich 3400 Einwohner. Noch dominieren die in–haber–geführten Apotheken in Polen, doch auf Grund des erlaubten Fremd- und Mehrbesitzes gehören etwa 13 % der Apotheken bereits zu einer Apothekenkette. Mit zum Teil aggressivsten Marketingmethoden kämpfen sie um Kunden und Marktanteile.
Arzneimittel werden zu Großhandelspreisen verkauft, Patienten werden mit Rabattgeschenken belohnt, wenn sie diese Apotheken besuchen. Gewinnspiele, bei denen sogar Autos verlost werden, sollen zusätzlich Kunden anlocken. Hinzu kommt, dass bereits heute viele Apotheken von einem Großhändler abhängig sind. Nach Ansicht von Wróbel wird eine Apotheke, wenn die Entwicklung so weiter geht, bereits 2012 nicht mehr rentabel arbeiten können.
Einige Apotheker haben Polen bereits verlassen, um in England oder Irland zu arbeiten. Der polnische Apotheker Marek Koziol, der nach England auswanderte berichtete von seinen Erfahrun–gen in Kettenapotheken auf der Insel. Derzeit kämpfen englische Apotheker, die eine Filiale leiten, für mehr Eigenständigkeit, so Koziol: sie wollen beispielsweise mehr Verantwortlichkeit für den Einkauf und selbst über die Öffnungszeiten bestimmen (und nicht die Zentrale).
Litauen. Ein neues Gesetz macht den litauischen Apothekerinnen und Apotheker zu schaffen, wie Eduardas Tarasevicius, Litauen, erklärte. Danach kann nun jeder Bürger Inhaber einer Apotheke sein, der Leiter einer Apotheke muss kein Pharmazeut sein. Es gilt eine unbeschränkte Niederlassungsfreiheit. Die Krankenkassen müssen die Apothekenrechnungen nicht mehr innerhalb einer bestimmten Frist begleichen. Für Apotheker gibt es keine Berufsordnung mehr. Die Einheitspreise für Arzneimittel werden nicht mehr eingehalten, ein Preiskrieg ist an der Tagesordnung, der Konkurrenzkampf zwischen Ketten tobt. Dies führte bereits für viele Apotheken zu finanziellen Problemen. Er wünschte sich, das Rad zurückzudrehen und alles zu tun, um das traditionelle Apothekenmodell aufrecht zu erhalten und nicht den Weg des reinen Kommerz zu gehen.
Ukraine. In der Ukraine gibt es über 21.000 Apotheken, Apothekenabgabestellen und Apothekenkioske. 85 % sind in Städten niedergelassen, der Rest auf dem Land. Etwa 3000 Apotheken sind noch in der Hand des Staates. Nachdem der Staat die Möglichkeit geschaffen hatte, Apotheken zu privatisieren, sind einige Apothekenketten entstanden. Wie die ukrainische Apothekerin Oksana Hrem aus der westukrainischen Stadt Lemberg anmerkte, muss die Beratung und Aufklärung der Patienten bei den meisten Apotheken noch besser werden. Der Stellenwert der Apotheke als Anlaufstelle für medizinische Fragen und die soziale Funktion der Apotheke müssen in ihrem Land gestärkt werden. Sie stellte am Beispiel einer Filialapotheke einer Kette vor, welche Fortschritte hin zu einer besseren Beratung man hier bereits vorweisen kann. So war die vorgestellte Filiale, die 6500 Arzneimittel im Angebot hat, ISO-zertifiziert, ein Qualitätsmanagement sorgt für einheitliche Arbeitsabläufe. Kundenorientierung werde hier groß geschrieben.
Tschechien. Derzeit protestieren tschechische Apothekerinnen und Apotheker heftigst gegen die Entscheidung des Gesundheitsministeriums, die Marge für die Apotheken von 32 auf 29 % zu kürzen. In einer großen Aktion hatten alle Apotheken Tschechiens für drei Stunden geschlossen. Die tschechische Apothekerin Dr. Marie Zajicova erläuterte, dass bereits heute ein Preiskampf unter den Apotheken stattfindet, da es keine Einheitspreise gebe.
Unlauterer Wettbewerb sei an der Tagesordnung. Auch Krankenhäuser dürften an ambulante Patienten Arzneimittel abgeben. Jetzt hoffe man auf einen neuen Gesundheitsminister, der diese Situation ändere.
In einem Schlussstatement fordert Friese alle Apothekerinnen und Apotheker dazu auf, nicht nur zu jammern, sondern zuversichtlich nach vorne zu schauen. Der Apotheker sollte seinen Kunden einen pharmazeutischen Mehrwert bieten, z. B. die Compliance fördern.
Dadurch können nachweislich Geld gespart werden. Die Politik werde den Nutzen des Apothekers anerkennen müssen, sein Image wird besser. Frieses Aufforderung: "Wenn wir die Zukunft selbst mitgestalten, dann ist es eine gute pharmazeutische Zukunft."
Fortbildung in Krakau Neben einem Fortbildungstag, der von polnischen Referenten bestritten wurde (alle Vorträge wurden simultan ins Deutsche übersetzt), bot der Kongress auch einen deutschen Fortbildungstag (mit Simultanübersetzung ins Polnische). Als Referenten sprachen Prof. Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz, Frankfurt, und Dr. Eric Martin, Marktheidenfeld.
Schubert Zsilavecz stellte die aktuelle Therapie der Adipositas vor, einer Zivilisationserkrankung, die in Deutschland und in Polen mehr und mehr verbreitet ist. Besonders problematisch ist derzeit die Zunahme adipöser Kinder. Er machte klar, dass das viszerale Fett (Bauchfett) das Problem ist: Als zweitgrößtes Körperorgan produziert das Fettgewebe zahlreiche Hormone und Zytokine, die sich negativ auf den Organismus auswirken. Die Basistherapie besteht in einer Ernährungsumstellung, mehr Bewegung, einer Verhaltenstherapie. Erst dann kommt die medikamentöse Therapie zum Zug. Aktuell sind heute Stoffe wie Sibutramin, Orlistat, Rimonabant und Inkretin-Mimetika. Trotz allen medikamentösen Fortschritts: Ohne Änderung der Ess- und Bewegungsgewohnheiten ist ein dauerhafter Abbau von Übergewicht nicht möglich. Hierzu kann der Apotheker entscheidend beitragen.
Martin stellte in seinem Vortrag Ursachen und Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2 dar. Zwar haben 30 bis 40 % der Bevölkerung eine genetische Veranlagung zur Entwicklung eines Diabetes mellitus, doch der weitaus größere Teil leidet an einer erworbenen Insulinresistenz aufgrund des Lebensstils (Teufelskreis aus Übergewicht und Bewegungsmangel). Auch bei der Therapie des Diabetes mellitus stehen daher Gewichtsreduktion und Bewegung an erster Stelle. Erst dann kommen Antidiabetika und Insulingabe zum Einsatz: alpha-Glucosidase-Hemmstoffe (Hemmung von Darmenzymen), Sulfonylharnstoffe (Stimulation der Insulinausschüttung), Biguanide (Hemmung der hepatischen Gluconeogenese) und Glitazone (Insulinsensitizer). Zusätzlich kann die Gabe von schellwirksamen Insulinen indiziert sein (Human–insulin, Insulinanaloga). Die –Zukunft bringt die unblutige Blutzuckermessung, nadelfreie Injektionssysteme und inhalierbares Insulin. Der Apotheker ist aufgerufen, verstärkt die Prävention zu fördern.
Als Abschluss seines Vortrags ließ Friese es sich nicht nehmen, dem Auditorium ein Ständchen vorzusingen aus "Der Bettelstudent" von Karl Millöcker, einer Operette aus dem Jahr 1882, die im Krakau des Jahres 1704 spielt. Lang anhaltender Beifall des Auditoriums war Friese gewiss:
Ich knüpfte manche zarte Bande, Studierte die Pariserin, Die schönsten Frau‘n im Sachsenlande, In Deutschland, Ungarn und in Wien. Ich kenn‘ der Frauen Reiz im Süden, Neapel, Rom, Florenz, Madrid, Drang auch bis zu den Pyramiden, Nahm Afrika zum Teil noch mit! Hab‘ an des Ganges Strand gesessen Und tauschte dort gar manchen Kuss. Ich liebelte bei den Tscherkessen Mit schönen Frau‘n des Kaukasus. Noch schöner schien mir die Kreolin, Doch all die Schönheit schnell verbleicht, Wenn man dagegen hält die Polin - Der Polin Reiz bleibt unerreicht! Die Polin hat von allen Reizen Die exquisitesten vereint; Womit die andern einzeln geizen, Bei ihr als ein Bukett erscheint. Die Nase hat sie griechisch-römisch, Glutaugen von der Spanierin, Der üpp‘ge Mund ist slawisch-böhmisch, Und lieblich wienerisch das Kinn. Von der Pariserin das Füßchen, Und von der Britin die Figur, Von allem Reizenden ein bisschen, Doch immer grad‘ das Beste nur. Sie borgt sogar von der Mongolin Etwas Pikanterie vielleicht - Und g‘rade dadurch wird die Polin Von keinem andern Weib erreicht!
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