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Die Seite 3
Ein Fehler, der den nächsten nach sich zieht – was wir aus dem richtigen Leben kennen, gibt es auch in der Politik. Oft merkt man's nicht sofort. Der unterste Knopf der Weste steckt im falschen Knopfloch, erst weiter oben spürt man: das Ding sitzt schief, es zwickt und spannt. Und wird untragbar.
So ist das Fazit einer Gesundheits- und Apothekenpolitik, die unter Rot-Grün beschleunigt und jetzt von der Großen Koalition auf die Spitze getrieben wird. Die Beamten, die die vorgegebenen Irrwege mit Paragrafen pflastern müssen, sind arm dran – besonders wenn sie gegen ihre Überzeugung handeln müssen.
Der erste große Fehler (der erste Knopf im falschen Loch) war, wie die Politik auf das Thema Arzneiversand aufgesprungen ist. Man erwartete, dass der Europäische Gerichtshof alle Verbote des grenzüberschreitenden Arzneiversandes aus dem Ausland für europarechtswidrig erklären werde. Mit dem Argument, Inländerdiskriminierung verhindern zu wollen, wurden deshalb in das GKV-Modernisierungsgesetz Bestimmungen aufgenommen, mit denen alle bisherigen Verbote des Arzneiversandhandels (aus dem In- oder Ausland) beseitigt wurden.
Noch bevor das GMG im Januar 2004 in Kraft trat – aber zu spät, um es noch beeinflussen zu können – entschied der EuGH am 11. 12. 2003, Versandverbote seien nur für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel zu beanstanden. Für die risikoreicheren verschreibungspflichtigen Produkte könnten Versandverbote durchaus zulässig sein. Im vorauseilenden Gehorsam hatte der deutsche Gesetzgeber die Türen also weiter geöffnet als notwendig.
Die direkten und indirekten Auswirkungen sollten erheblicher werden als zunächst erwartet. Versandapotheken wurde zugestanden, sich nach Eingang einer Verschreibung zwei (!) Arbeitstage Zeit lassen zu dürfen, bevor sie bestellte Arzneimittel auf den Weg bringen. Um dieses Entgegenkommen wenigstens teilweise auszugleichen, musste die Verpflichtung der Präsenzapotheken, Verschreibungen "unverzüglich" auszuführen, abgeschwächt werden. Als Verbesserung der Arzneiversorgung wird man weder das eine noch das andere abbuchen können.
Im nächsten Schritt wird zu überlegen sein, wie kompensiert werden kann, dass Versandapotheken an vielen kostenintensiven Aufgaben wie Akutversorgung, Rezeptur und Notdiensten gar nicht, zumindest nicht entsprechend zu Umsatz und Absatz, beteiligt sind. Das schanzt ihnen ökonomische Vorteile zu, die nach Ausgleich rufen. Neben einem Leistungsstrukturausgleich (siehe DAZ 45/2006) könnte eine Konsequenz mittelfristig sein, dass auch Präsenzapotheken nicht mehr verpflichtet werden können, die eher unwirtschaftlichen Versorgungsleistungen zu erbringen. Der Kontrahierungszwang und die Notdienstpflicht würden fallen. Der Patient wird dann suchen müssen, wo er was bekommt. Und er wird weitere –Wege in Kauf nehmen müssen. Kann das gewollt sein?
Die nächste fatale Weichenstellung folgt daraus, dass sich inländische Versandapotheken gegenüber ausländischen benachteiligt sehen. Beklagt wird, dass sich ausländische Versender beim Einkauf munter über die durch das AVWG eingeführten neuen Beschränkungen der Einkaufsrabatte hinwegsetzen und – vor allem – dass sie auf Kundenfang gehen, indem sie offen gegen die Arzneimittelpreisverordnung verstoßen, Preisnachlässe gewähren, teilweise auf Zuzahlungen verzichten. Trotz einschlägiger Urteile ist von Sanktionen nichts bekannt geworden.
Die "Benachteiligung" inländischer Versandapotheken will der Gesetzgeber nun ausgleichen, indem er im "GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz" – erneut über das Ziel hinausschießend – für alle Apotheken die einheitlichen Abgabepreise auf Höchstpreise umstellt. Billigend in Kauf genommen wird dabei, dass dies eine weitere, schlimme Diskriminierung der Präsenzapotheken gegenüber den Versendern mit sich bringt. Denn die Versender können für eventuelle Preisnachlässe die Kostenvorteile einsetzen, die ihnen zufliegen, weil ihnen die aufwendigen Teile der Arzneimittelversorgung faktisch nicht abverlangt werden.
Das vorerst letzte Glied in der Kette von fatalen Weichenstellungen, bei denen die eine die nächste hervorbringt, ist die Entscheidung des OVG Münster in Sachen dm-Drogerien. Knackpunkt ist auch hier die Erlaubnis des Arzneiversandhandels. Wenn nach deutschem Recht der Postbote inzwischen apotheken- und verschreibungspflichtige Arzneimittel von Versandapotheken ausliefern darf, warum soll der Verbraucher sie sich dann nicht in Drogerien, Tankstellen, Kiosken oder Beate-Uhse-Läden bestellen und abholen dürfen? Die Frage ist rhetorisch. Denn wohlüberlegte und bewährte Regelungen zum Schutz der Patienten – zentrale Aufgabe des Arzneimittel- und Apothekenrechtes – werden so außer Kraft gesetzt.
Das ist absurd. Der Gesetzgeber muss hier schnell einen Riegel vorschieben. Ein EuGH-konformes Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln würde das Übel an der Wurzel packen. Oder will er die fatalen Folgen?
Klaus G. Brauer
Fatale Folgen – ungewollt?
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