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DAZ aktuell
Becker: Gesundheitsreform gefährdet den Apotheker als Heilberuf (Interview)
d:
Herr Becker, selten haben Arbeitgeber und Arbeitnehmer eines Berufsstandes so einvernehmlich und geschlossen für die gleichen Ziele demonstriert. Wie kommt dies?
Becker:
Die geplante Reform greift die Apotheke direkt und unmittelbar an ihrer wirtschaftlichen Basis an. Hier sind deshalb nicht singuläre Interessen der Apothekeninhaber berührt, sondern ebenso die vitalen Interessen der Angestellten in der Apotheke, die mit Recht ihre Arbeitsplätze gefährdet sehen.
d:
Wird der geplante Gesetzentwurf Realität, dann müssen die Apotheker im Jahr 2007 zusätzliche 500 Millionen Euro aufbringen. Es wären dann Ertragseinbußen von durchschnittlich 20.000 Euro pro Apotheke zu erwarten. Ist dies betriebswirtschaftlich für die meisten Apotheken zu verkraften?
Becker:
Ein klares und eindeutiges Nein! Für viele Apotheken bedeutet diese Regelung das wirtschaftliche Aus. Dieser staatlich verordnete Rohertragsverlust wird auch bei noch so großer Anstrengung im Warengeschäft nicht zu kompensieren sein. Die Apotheken sind durch das AVWG durchschnittlich schon mit rund 14.000 Euro betroffen.
d:
Wie könnten die Reaktionen gerade der kleinen Apotheke auf diesen Ertragsverlust aussehen? Kostenreduzierungen wie bei Miete, Einrichtung oder Marketing werden den oben genannten Betrag keinesfalls kompensieren können. Was wird passieren?
Becker:
Ich gehe davon aus, dass viele Kolleginnen und Kollegen im ersten Schritt auf die Personalbremse treten, um die Verluste einigermaßen abzufangen. Das Gesetz riskiert also tausendfach Arbeitsplätze, deren Abbau sich selbstverständlich auch auf die Versorgungsqualität auswirken wird. Schon durch die vergangenen Reformen ist die "Zitrone Apotheke" ausgequetscht – diese Reform ist Existenz-vernichtend.
d:
Glauben Sie, dass in Kürze die flächendeckende Versorgung Deutschlands für die öffentliche Apotheke in allen Regionen gesichert sein wird? Werden sich die Wege zu den Notdienstapotheken verlängern?
Becker:
Die Flächendeckung steht klar auf dem Spiel, denn die Schein-Wettbewerbsinstrumente, die die Gesundheitsreform implementiert, bedrohen vor allem die Apotheken im ländlichen Raum. Ihre Existenz ist zum wesentlichen Teil an das GKV-Geschäft gekoppelt, an das die Politik den Hebel ansetzt. Besonders in den Flächenländern wie Baden-Württemberg oder Bayern wird die Reform also Löcher reißen, die sicher auch die Notdienstversorgung verschlechtern werden.
d:
In Hamburg hat ein harter Wettbewerb zwischen den Apotheken im OTC-Bereich eingesetzt. Preisreduzierungen von über 20% sollen dort auf über 100 Artikel gegeben werden. Sind solche Aktionen bei der Rohertragslage der durchschnittlichen Apotheke überhaupt darstellbar bzw. kann hier der Mehrumsatz die geringere Marge überhaupt kompensieren?
Becker:
Solche lokalen Aktivitäten sind aus meiner Sicht fatal. Arzneimittel sind keine Mengenverbrauchsgüter. Über Preisreduzierungen mag der einzelne Apotheker eine gewisse Mengensteigerung im Verkauf erreichen, die aber in der Regel die Rohertragsverluste, die aus der Preisreduzierung resultieren, nicht kompensieren werden.
Zudem signalisieren solche Angebote auf breiter Front, dass vermeintlich noch viel Luft im System Apotheke ist. Nicht nur, dass das nicht stimmt. Es weckt auch Begehrlichkeiten bei der Politik. Aus meiner Sicht schaden solche Kollegen sich selbst, was noch zu verkraften wäre. Aber sie schaden insbesondere dem gesamten Berufsstand.
d:
Nach dem geplanten Gesetz, kann der Apotheker – um einen Wettbewerb zwischen den Apotheken zu entfachen – auf Teile der Zuzahlung verzichten. Das Fixhonorar bei einem abgegebenen Arzneimittel ist 6,10 Euro, die Zuzahlung 5,00 bis 10,00 Euro. Da Rabatte bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln gemäß dem zurzeit gültigen AVWG verboten sind und der Aufschlag auf den Einkaufspreis nur 3% beträgt, gleicht ein Verzicht auf die Patientenzuzahlung einem "unternehmerischen Selbstmordkommando" (siehe Grafik). Glauben Sie, dass sich hier trotzdem ein harter Wettbewerb zwischen den Apotheken anbahnen wird?
Becker:
Ich sehe für diese Pseudo-Wettbewerbsmaßnahme betriebswirtschaftlich betrachtet keinen Raum. Aber diese ganze Regelung ist absurd: Die Zuzahlung ist der Patientenanteil an seinen Therapiekosten. Diesen Anteil nun auf den Apotheker zu transferieren, setzt doch völlig falsche politische Signale. Nicht Selbstverantwortung wird signalisiert, sondern Gesundheit wird für den Patienten zur Schnäppchen-Jagd. Ebenfalls absurd ist folgendes Szenario: Patienten, die von der Zuzahlung befreit sind, erhalten Warenwertgutscheine, denn schließlich möchte man ja alle seine Kunden gleich behandeln.
Damit werden pfiffige Kunden ihre Rezepte dazu nutzen, ihr Taschengeld aufzubessern. Das sind doch keine Steuerungsinstrumente einer verantwortlichen Gesundheitspolitik. Und noch ein weiterer Punkt: Die Apotheker sollen doch schon für 500 Millionen Euro haften. Zusätzlich sollen sie im Rahmen der Höchstpreisverordnung den Kassen weitere Rabatte einräumen. Allein durch diese Maßnahmen wird unser Rohertrag aufgefressen. Für Zuzahlungsreduzierungen sehe ich also weder einen Spielraum, noch sehe ich in ihnen den politischen Sinn.
d:
Ein Blick in die Zukunft: Wohin führt dieser Preiswettbewerb bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln?
Becker:
Niemand kann in die Zukunft blicken, aber in der Vergangenheit haben derartige Wettbewerbsregeln bzw. vom Gesetzgeber gewollte Liberalisierungen zu einer Marktveränderung geführt, an deren Ende das Oligopol mit höheren Preisen gestanden ist.
d:
Herr Becker, glauben Sie als langjähriger Inhaber einer Apotheke in Pforzheim, dass das Unterbieten von Zuzahlungsbeiträgen auf vom Arzt verordnete Arzneimittel mit dem Berufsbild des unabhängigen Heilberufs Apotheker überhaupt zu vereinbaren ist?
Becker:
Ob und in welcher Höhe ein Patient Zuzahlung leistet oder nicht, ist eine sozialpolitische und eine Strukturentscheidung. Grundsätzlich kann ich mir sowohl vorstellen, dass ein Patient gar keine Zuzahlung zahlt oder dass er das Arzneimittel voll und ganz bezahlt. Diese Entscheidung müssen unsere Politiker fällen. In ihren Grundfesten bleibt meine heilberufliche Position von solchen Regelungen unberührt. Grundsätzlich aber lehne ich jede Art von Bonifizierung und von Preisnachlässen auf verordnete Arzneimittel ab, denn sie disqualifizieren das Arzneimittel zur Ware beliebiger Art ab. Der freie und unabhängig beratende Apotheker wird damit einhergehend zum Händler dieser Ware degradiert – und damit ist auch seine Heilberuflichkeit berührt.
d:
Herr Becker, wir danken Ihnen für das Gespräch!
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