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Arzneimittel und Therapie
Außenansicht: Trasylol – ein Vioxx II?
Für die Studie wurden 4374 Patienten untersucht, die sich in weltweit 69 Krankenhäusern einer Bypass-Operation unterzogen. Zwei in der Studie ebenfalls untersuchte Medikamente Aminocapronsäure (bei uns nicht auf dem Markt) und Tranexamsäure (Cyklokapron®) hätten keine derartigen Risiken aufgewiesen (beide sind vergleichsweise wenig erforscht).
Die ersten Reaktionen auf die Studie fielen unterschiedlich aus (das tun sie immer). Dennis Mangano für die Autoren spricht von einem "Vioxx II". Der Hersteller (Bayer) erklärt, dass die Resultate nicht mit den an fast 6500 Herzpatienten weltweit in mehreren klinischen Studien erhobenen Daten und dreizehnjährigen klinischen Erfahrungen übereinstimmten, dass in keiner der Studien derartig erhöhte Risiken beobachtet wurden, und bezweifelt die Validität der Daten. Auch einige der von den Medien befragten medizinischen Experten tun dies: Ein wesentlicher Schwachpunkt der Studie sei es, dass die Patienten nicht randomisiert wurden.
Anders die Gegenexperten: Peter Sawicki, Direktor des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, weist darauf hin, dass es in der Studie bei einem von zehn Operationen unter dem Medikament schwere Komplikationen gegeben habe, wobei einer von 50 Behandelten gestorben sei. Und er rechnet vor, dass bei 15.000 deutschen Patienten, die pro Jahr mit dem Medikament behandelt werden, es statistisch 300 Tote gäbe. (Ein Risiko in dieser Höhe hätte eigentlich auffallen müssen, was zumindest Zweifel an den Daten, die dieser Hochrechnung zu Grunde liegen, aufkommen lässt.) Offenbar aber überzeugt von der Zahl meint Sawicki, dass "bevor Bayer nicht die Sicherheit des Präparates in einer neuen Studie bewiesen hat, Trasylol® nicht mehr eingesetzt werden sollte" (was natürlich unrealistisch ist, denn die Sicherheit eines Medikaments kann weder Bayer noch irgendein anderer Hersteller beweisen.)
Und gleich den Studienautoren meint auch er, dass man auf billigere (kein Argument) und sicherere Medikamente umsetzen sollte (was aber auch keine Lösung ist, da die Umsetzung auf ein vergleichbares Päparat nicht etwa eine Eliminierung, sondern meist nur eine Verschiebung von Risiko bedeutet). Bruno Müller-Oerlinghausen, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft beklagt, dass "die meisten Studien von Firmen gesponsert (man beachte die Wortwahl) sind und nur den Zweck haben, dass eine Substanz zugelassen wird" (welchen anderen Zweck sollten klinische Prüfungen – die gesetzlich vorgeschrieben und vom Hersteller zu zahlen sind – auch haben?). Gus Vlahakes wiederum beklagt im NEJM, dass "zu viele Medikamente in die klinische Praxis eingeführt wurden, bei denen man lebensbedrohliche Nebenwirkungen erst erkannt hat, nachdem viele Patienten behandelt wurden" (stimmt, ist aber auch nicht zu ändern, es sei denn, man würde statt an wenigen tausend an vielen zehntausend Patienten testen und mit der Einführung ein Jahrzehnt länger warten, was aber auch nichts daran ändert, dass jede Anwendung eines Medikaments ein nie endendes "Experiment" ist und bleibt).
Die Chance, seltene Arzneimittelrisiken zu entdecken, hängt vor allem davon ab, wie lange ein Medikament schon auf dem Markt ist. Diese Gegebenheit stellt nun gerade für die Präparate eine permanente Gefahr dar, die am meisten eingesetzt werden. Und das sind die Mittel der ersten Wahl, gewöhnlich die besten unserer Arzneimittel. Sie sind oft auch diejenigen, die nicht nur für wirksamer als vergleichbare andere, sondern auch für sicherer eingeschätzt werden. Dies hat einmal zur Folge, dass wegen dieser "Sicherheit" Verordner und Verwender mit solchen Medikamenten mutiger umgehen, zum anderen, dass sie häufiger pro Tag und höher dosiert angewandt werden. Zum anderen werden diese Mittel zur Vermeidung von Nebenwirkungen gerade solchen Patienten verordnet, die als Risikopatienten gelten, mit dem Ergebnis, dass dann gerade bei ihnen – weil sie gegenüber Medikamenten empfindlicher sind – Nebenwirkungen mit größerer Wahrscheinlichkeit und in stärkerer Form auftreten. Bezogen auf Trasylol ist es also durchaus denkbar, dass Patienten mit erhöhtem Risiko bevorzugt mit diesem seit langem eingesetzten und bewährten Präparat behandelt wurden, während man bei Patienten mit niedrigem Risiko darauf verzichtete. Diese Verzerrung könnte zu einem scheinbar erhöhten Risiko in der Studie geführt haben.
Bei jedem Arzneimittelzwischenfall stellt sich die grundsätzliche Frage: Hat das Medikament dem Patienten oder hat der Patient dem Medikament das Problem gebracht? Arzneimittelkritiker und die Medien gehen aber meist von ersterer Möglichkeit aus, was dann oft dazu führt, dass gerade die wertvollsten Arzneimittel durch laienhafte Fehleinschätzung ihrer Risiken diskriminiert, verboten und so der Therapie entzogen werden.
Klaus Heilmann
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