Verwaltung total?

"Günstige Verwaltungskosten in der GKV" – wer erinnert sich nicht an diese Aussagen, die immer wieder vorgebacht werden? Nach der Papierform ist das nicht ganz falsch: "Nur" knapp 6% der GKV-Ausgaben verschlingt der eigene Apparat, mithin jedoch ein Betrag von gut 8 Mrd. Euro im Jahr, gut für ein Beschäftigtenheer von annähernd 150.000 Krankenkassen-Angestellten. Die GKV als moderne ABM-Maßnahme. Die geneigten Leserinnen und Leser erinnern sich bestimmt auch an zahlreiche Leserbriefe und Diskussionen über die Vorstandsgehälter der Kassenfunktionäre. Allesamt sind sie nicht zielführend. Mit Gehältern im 200.000 Euro-Bereich für einen Vorstand, der durchaus für Milliardenbeträge und Tausende an Mitarbeitern verantwortlich zeichnet, liegen die Betreffenden in einem Einkommensbereich, der "auf dem freien Markt" den schwer vermittelbaren Problemfällen der Führungskräfteriege vorbehalten ist. Wie Politikern übrigens auch.

Wahr ist ebenso, dass die Privatkrankenkassen in Bezug auf die Kosten nochmals deutlich schlechter abschneiden. Gründe sind die oft erschreckend wenigen Mitglieder in einzelnen (bisweilen "vergreisenden") Tarifen, vielmehr aber noch die beträchtlichen Provisionen und Abschlusskosten der Vermittler, die eben in den Beiträgen mit drinstecken.

Alles in Butter also? Die deutsche GKV als schlankes Vorbild für die Welt?

Mitnichten. Zum einen kommen im internationalen Vergleich andere Krankenversicherungssysteme mit nochmals deutlich weniger als den erwähnten knapp 6% Verwaltungskostenanteil aus.

Viel, viel schlimmer sind aber die indirekten Verwaltungskosten, die in keiner Rechnung auftauchen. So beklagen Ärzteorganisationen seit langem durchaus glaubhaft, dass 30% und mehr der Arbeitszeit für Tätigkeiten aufgewendet werden müssen, die mit dem Arztberuf rein gar nichts mehr zu tun haben. Mehrheitlich für Verwaltungs- und Dokumentationsaufgaben, die ihnen vom System auferlegt werden. Für oftmals groteske Nebensächlichkeiten.

Schauen Sie bei sich in die Apotheke: Wie viel Zeit wenden Sie dafür auf, statt Ibuprofen von A-Pharma dasjenige von B-Pharma zu bestellen und womöglich noch extra auszuliefern, für eine Ersparnis von 17 Cent? Wie viel Zeit verbringen Sie mit frustraner Suche am Computer, langwierigen Erklärungen für die Patienten, der entsprechenden Warenlagerpflege? Was bleibt wirklich an aktiver, wertschöpfender, pharmazeutischer, "heilberuflicher" Zeit?

Die Kette setzt sich fort über Krankenhäuser (bekanntermaßen ein Moloch, nicht zuletzt systembedingt!), andere "Leistungserbringer" bis hin zum Patienten.

Ja, der Patient, das unbekannte Wesen! Interessanterweise spielt er, obgleich der alles aufrechterhaltende Zahler, bestenfalls eine Nebenrolle im Schlussakkord jeder Reform, gleichwohl stets kraftvoll und medienwirksam intoniert. Er ist quasi der Wurm oder das Gras in der Nahrungskette, still und duldsam, gleichwohl die Nahrungsgrundlage für alle anderen. Immer will man nur sein Bestes, in aller Regel ist das sein Geld.

Interessant auch, wie mit der Ressource "Zeit" des zahlenden Kunden umgegangen wird. Durch schlampiges Terminmanagement, Wartezeiten, Überweisungen von Pontius zu Pilatus, Doppeluntersuchungen, den wiederholten Gang in die Apotheke und vieles mehr. Dies alles nicht aus Bosheit, sondern oft wiederum systembedingt, teilweise auch aus schlichter Nachlässigkeit. Da fehlt eben das marktwirtschaftliche Korrektiv. Es wurden Analysen angestellt, wie viele Stunden beispielsweise in Verkehrsstaus verloren gehen (es sind etliche Milliarden jedes Jahr). Wie viele Stunden gehen in Wartezimmern verloren, durch die überladene Komplexität des Systems?

Letztlich sind dies alles indirekte Verwaltungskosten. Ich behaupte: Alles zusammengenommen sind 30% der Gesamtkosten eine realistische Größenordnung. Wenn das überhaupt reicht.

Doch was heißt das?

Machen wir die Gegenprobe: Es liefe alles optimal. Keine unnötigen Wege, Dokumentation auf einem Minimum, die Ärzte würden statt 60% oder 70% angemessene 90% ihrer Zeit wirklich ärztlich tätig sein. Sie wiederum würden sich in der Apotheke kaum mehr mit den logistischen Ausflüssen der Verwaltungsbürokratie auseinandersetzen müssen. Was dann? Ja, was dann?

Hier reift nun eine erstaunliche Erkenntnis: Keine Spur mehr von Ärztemangel – denn plötzlich wären mehr als ausreichende Kapazitäten vorhanden. Auch die Apotheke würde sich erst einmal zu füllenden Zeitlöchern gegenüber sehen. Von 150.000 Krankenkassenbeschäftigten wären vielleicht 120.000 überflüssig. In den Krankenhäusern müssten viele Verwaltungen drastisch schrumpfen. Wie andere Gesundheitsbürokratien auch. Der Kneipier vis á vis der AOK-Hauptverwaltung kann dichtmachen. Plötzlich stünden überall die nackte, fachliche Leistung sowie der tatsächliche Marktpreis (und nicht der staatlich administrierte) im Vordergrund. Vorbei mit dem schützenden Wall der Ausflüchte, dem Schimpfen auf "die da oben" ...

Wollen wir das wirklich? Wollen das die Politiker? In unserer Republik, die nach jedem Strohhalm für Arbeit, das ach so kostbare Gut in unserer materiell übersättigten Welt, geradezu panisch greift? Somit werden wir alle zu Betroffenen, aber auch zu Nutznießern, zu Opfern, aber auch zu Tätern.

Die Situation ist ziemlich vertrackt. Der Weg der "Vernunft" scheint lang, und wir kennen nicht einmal die exakte Richtung. Man kann auch sagen: Wir leben in einer hochkomplexen Welt. So unübersichtlich wie noch nie. Damit aber für den einzelnen wieder mit sehr vielen Chancen ...

Anschrift des Verfassers:

Dr. Reinhard Herzog

Apotheker

Philosophenweg 81

72076 Tübingen

E-mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

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