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- AZ 39/2007
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Perfektionismus erkennen und begrenzen
Perfektionisten werden gehasst und geliebt, geduldet und ersehnt. Mit ihren Ergebnissen – wenn sie endlich fertig sind – setzen sie Maßstäbe. Die sind für manche Kollegen oder Mitarbeiter nur leider unerreichbar! Sie zeigen jedoch, was möglich ist, wenn man sich nur darum bemüht – auch wenn der Preis dafür recht hoch ist. Perfektionisten werden manchmal beneidet, nämlich wenn sie sich mit Hingabe einer Aufgabe widmen. Und sie werden bemitleidet, weil sie einfach nicht loslassen können, wenn der Moment kommt, wo die Verbesserungen für andere kaum noch zu erkennen sind. Perfektionismus ist, wenn für die letzten zwei Prozent der Arbeit noch mal so viel Aufwand betrieben wird wie für die ersten 98 Prozent.
Was als "perfekt" gilt, ist relativ: Für eine Apothekenleitung kann es existenzbedrohend werden, wenn Angestellte die Vorschriften der Arbeitssicherheit nicht einhalten. Praktikanten oder Berufsanfänger dagegen können oft die Gefährlichkeit mancher Vorgänge noch nicht erfassen und empfinden die Sorgfalt evtl. übertrieben, die ihre Vorgesetzten von ihnen verlangen. Perfektionismus oder Professionalität?
Auch das Berufsethos der Heilberufler erstreckt sich über ein weites Spektrum: Kundinnen und Patienten gut zu beraten heißt für den einen nur "ein Satz geht immer"; andere geben kein einziges freiverkäufliches Arzneimittel ab, ohne genau zu prüfen, ob das Präparat wirklich für den angestrebten Zweck und für den betreffenden Patienten geeignet ist. Das persönliche Bedürfnis, den eigenen (Heil-)Beruf perfekt auszuüben, steht für manche Apotheker/innen in Konkurrenz zu ihren wirtschaftlichen Zielen. Andere suchen die Perfektion gerade darin, beides in einer guten Balance zu halten. Ob man das im Einzelfall als perfektionistisch oder als professionell ansieht, ist subjektiv.
Zusammenspiel im Team
Gegensätze ziehen sich manchmal an: Eine Symbiose zwischen dem Perfektionisten und dem Schlamper erlaubt beiden, ihre "Fähigkeiten" in der Balance zu halten. Was der Schlamper liegen lässt, holt der Perfektionist nach (wenn er nicht bereits vorgesorgt hat). Ohne den Schlamper könnte der Perfektionist nicht wirtschaftlich arbeiten, durch ihn ist er nämlich gezwungen, Prioritäten zu setzen. Der Leidensdruck wird durch nachhaltige Schlamperei hoch gehalten, und der Perfektionist sieht sich zu seinem Verhalten geradezu gezwungen, "weil hier sonst alles zusammenbrechen würde!" – ein oft gehörtes Perfektionisten-Argument. Der Perfektionist hingegen sichert die Schlamperei seines Gegenübers ab – er erlaubt ihm durch seine Genauigkeit und seine hohen Ansprüche, fünfe gerade sein zu lassen. Der Schlamper weiß, dass der Perfektionist ihm nie vertrauen würde, also braucht er sich keine besondere Mühe zu geben. Die hohen Ansprüche sind doch für ihn sowieso unerfüllbar …
Besorgnis wecken sollte diese Symbiose bei der Apothekenleitung oder im Team, wenn es den beiden Symbionten schlecht geht, wenn sie sich angiften oder wenn die Arbeitsverteilung – von der Arbeitszeit her – unausgewogen ist. Spielen aber beide, der Perfektionist und der Schlamper, über längere Zeit gut zusammen, dann würde eine Einmischung von außen das insgesamt evtl. akzeptable Ergebnis der beiden gefährden.
Wer leidet unter dem Perfektionismus?
Perfekt zu sein, ist nicht das Problem – Perfektionismus beginnt, wenn die angestrebten Ziele nur unter sehr hohen Kosten erreicht werden, und wenn andere davon unangenehm betroffen sind. Angestellte erleben das, wenn ihre Vorgesetzten nie mit ihnen zufrieden sind, obwohl es objektive Kriterien gibt, mit denen gute Leistungen regelmäßig nachgewiesen werden können (z. B. Kundenzuwachs in erwünschten Marktsegmenten, geringe Reklamationsquote, hohe Produktivität, hoher Pro-Kopf-Umsatz).
Apothekenleiter/innen leiden unter dem Perfektionismus ihrer Angestellten, wenn diese zwar hervorragende Ergebnisse erzeugen, das aber nur unter einem irrsinnigen Zeitaufwand erreichen. Einerseits wollen sie auf die guten Leistungen natürlich nicht verzichten und das Team womöglich demotivieren, andererseits sind manche Aktionen einfach nicht mehr (finanziell) honorierbar und halten schlimmstenfalls das Tagesgeschäft auf. Müssen z. B. die Literaturtipps auf der apothekeneigenen Internetseite wirklich jede Woche eine neue Rezension hinzugewinnen? Ist es wirklich nötig, dass Vormittags- und Nachmittagsschicht täglich eine Stunde mit der Übergabe verbringen? Wie kommt es, dass eine Angestellte jeden Abend (unbezahlt!) länger bleibt, um in Ruhe aufzuräumen?
Ziele und Aufwand absprechen
Wer einen Handwerker ruft, möchte als Kunde gerne eine perfekte Leistung bekommen. Gleichzeitig sollen nicht endlos viele Stunden für das Ergebnis verwendet werden. Also spricht man Ziel und Aufwand vorher ab.
Als Führungskraft können Sie dasselbe tun: Definieren Sie, was Ihr Team erreichen soll, z. B. dass die Nachmittags-PTA informiert ist über Absprachen, welche die Vormittags-PTA mit Kunden getroffen hat. Sprechen Sie darüber, wie detailliert diese Informationen sein sollen. Prüfen Sie, ob es wirtschaftlichere Methoden gibt, Wichtiges festzuhalten, z. B. standardisierte Notizen. Ihre Mitarbeiter/innen sollen erkennen, dass Ihnen das perfekte Ergebnis durchaus lieb ist, aber sie sollten auch wissen, welchen Aufwand Sie für angemessen halten.
Informieren und andere einbeziehen
Scheinbarer Perfektionismus entpuppt sich bei näherem Hinsehen durchaus auch einmal als professionelle Sorgfalt: Wer nicht so vertraut ist mit einer Aufgabe, erkennt nicht gleich den Aufwand, der hinter manchen guten Ergebnissen steckt. Unpassende Perfektionismus-Vorwürfe lassen sich durch gute Informationspolitik entschärfen. Wenn das Team wirklich versteht, wozu die Apothekenleitung ein Qualitätsmanagementsystem einführt, sind viele Vorwürfe schnell vom Tisch. Wenn die Apothekenleitung überblickt, wie viele Beratungsgespräche am Telefon stattfinden und wie diese die Kunden nachhaltig an die Apotheke binden, reagiert sie vielleicht gelassener darauf, wenn "die PTA schon wieder am Telefon hängt".
Perfektionismus ist ein Teil der Persönlichkeit. Mit rationalen Argumenten ist er nicht so einfach zu entschärfen. Als Arbeitgeber/in können Sie klare Ziel- oder Prozessvorgaben machen, aber die Individualität Ihrer Angestellten sollten Sie unangetastet lassen.
Wenn Sie selbst zum Perfektionismus neigen, finden Sie ein Arbeitsgebiet, wo Sie ihn möglichst konfliktarm ausleben können. Wo es viel Abstimmungsbedarf mit anderen gibt, sollten Sie immer wieder gemeinsam prüfen und vereinbaren: Welchen Aufwand finden wir angemessen?.
Vera Naumann, Fichtenstraße 18, 72184 Rohrdorf, E-Mail info@vera-naumann.de
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