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Gesundheitsreform
Rürup: Apothekenketten werden kommen
FRANKFURT (diz). Bereits in der nächsten Legislaturperiode könnte es soweit sein: das Fremd- und Mehrbesitzverbot wird nicht mehr zu halten sein, Apothekenketten kommen. Diese Prognose wagte Prof. Dr. Dr. h.c. Bert Rürup, Vorsitzender des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung in seinem Vortrag auf dem Anzag Apotheker-Forum am 3. März 2007 in Frankfurt/Main. Schwerpunkt seines Vortrags war eine Auseinandersetzung mit der Gesundheitsreform, die er als "nicht gut, aber auch nicht so schlecht" beurteilte. Nach dem Ende der Koalition dürfte die dann regierende Partei ihre Vorstellungen in einer nächsten Reform weiterverfolgen.
"Gesundheitspolitik auf Zickzack-Kurs" – mit diesem Titel seines Vortrags wollte sich Rürup nicht anfreunden, denn bei einem Zickzack-Kurs wisse man, wo man hinwolle und wo man ankomme. Ein treffenderes Bild beim Thema Gesundheitspolitik sei "der Schlingerkurs".
Der Wirtschaftswissenschaftler stellte in seinen Vorbemerkungen fest, dass Gesundheitssysteme generell mehr oder weniger von der Marktwirtschaft ausgenommen sind. Der Staat behält sich vor, Teile des Systems unter seine Aufsicht zu stellen. Der Grund hierfür liegt in der Informationsasymmetrie: Der Kunde weiß im Gegensatz zu anderen Märkten nicht, was er braucht.
Rürup stellte auch heraus, dass unser Gesundheitswesen nicht – wie bisweilen behauptet – marode ist. Es gibt Schwächen wie beispielsweise die an die Löhne gekoppelte Finanzierung oder fehlende systematische Qualitätskontrollen, aber unser Gesundheitswesen hat auch viele Vorteile.
Die Behauptung, es gebe eine Kostenexplosion im Gesundheitswesen, wollte Rürup nicht gelten lassen. Der Anteil der Leistungsausgaben der GKV liege seit Jahren unverändert bei 6% vom Bruttoinlandsprodukt. Dies zeige, dass die mehr als 200 Kostendämpfungsgesetze nicht wirkungslos geblieben seien. Eine Explosion ist allerdings bei den Beiträgen zur GKV festzustellen, die auf die demografische Entwicklung in Deutschland zurückzuführen ist, auf die Arbeitslosenquote, die Frühverrentung und die Struktur der Erwerbstätigen.
Als Fehlentwicklungen im Gesundheitswesen nannte Rürup die vergleichsweise hohe Zahl von Arztbesuchen: Jeder GKV-Versicherte hat im Durchschnitt 16-mal im Jahr einen Arztkontakt, Ältere sogar bis zu 85-mal. Jeder Kontakt hat finanzielle Folgen für die GKV. Außerdem fehlt nach Ansicht des Wirtschaftswissenschaftlers ein echter Preiswettbewerb im Pharmabereich, die Generika-preise seien in Deutschland noch zu hoch. Weitere Schwachpunkte in unserem Gesundheitssystem mit nachteiligen Folgen für die Kosten sind die Sektoralisierung (Vergütung nach Sektoren), zu viele ambulant praktizierende Fachärzte (viele Doppeluntersuchungen), Überkapazitäten, eine zu geringe Spezialisierung und ein Investitionsstau im Krankenhausbereich.
Weniger durch die demografische Entwicklung (immer mehr Ältere) als viel mehr durch den medizinisch-technischen Fortschritt sieht Rürup verstärkt Kosten auf das Gesundheitswesen zukommen.
Die Frage wird bleiben, wie mehr Geld ins System kommt trotz weniger Beschäftigter. "Wohl nicht durch mehr Prävention", meinte der Wirtschaftswissenschaftler, denn wenn man eine Krankheit verhindere, tue sich eine andere auf.
Gesundheitsfonds schafft mehr Probleme
Vor diesem Hintergrund warf Rürup einen Blick auf die verabschiedete Gesundheitsreform, die er kurz mit "nicht gut, aber auch nicht so schlecht" beurteilte. Mit der Gesundheitsreform hätte man seiner Ansicht nach die Beiträge von der Arbeitskostenentwicklung abkoppeln müssen. Er vermisse auch konkrete Schritte gegen die willkürliche Segmentierung im Gesundheitssystem. Ferner hätte man die Spaltung in PKV und GKV durch Abschaffung der Versicherungspflichtgrenze überwinden müssen.
Stattdessen habe man sich auf einen Gesundheitsfonds verständigt mit Bausteinen aus der Bürgerversicherung (SPD) und der Prämienversicherung (CDU), wodurch nach Meinung Rürups letztlich noch mehr Probleme geschaffen als gelöst würden, auch aufgrund der schlechten Ausgestaltung des Fonds. Vor allem das Finanzierungsproblem bereite Probleme. Rürup: "Diese Reform ist bestenfalls ein Zwischenschritt." Der Gesundheitsfonds sei eine Projektionsfläche für unterschiedliche Zukunftsformen des GKV-Systems, ein Ausgangspunkt für beide Parteien, die nach einer Großen Koalition jeweils ihr präferiertes Modell einer Bürgerversicherung oder Gesundheitsprämie umsetzen können. "Ein Problem entsteht, wenn nach 2010 die Große Koalition weiterregiert", so Rürup.
Ketten geregelt zulassen
Überzeugt zeigte sich der Wirtschaftswissenschaftler, dass in der nächsten Legislaturperiode das Fremd- und Mehrbesitzverbot bei Apotheken fällt und die Bildung von Apothekenketten möglich wird. Nach seiner Auffassung gibt es zwar gute Argumente gegen Ketten, aber vor einem europäischen Hintergrund wenig überzeugende Argumente für ein Kettenverbot. Er empfahl den Apothekern, sich dafür einzusetzen, Ketten geregelt zuzulassen – dies sei besser als ungeregelte Lösungen, die über die Rechtsprechung durchgedrückt würden. Sind Ketten zugelassen, wird es zu einem vorübergehenden Anstieg von Apotheken kommen, doch bereits nach kurzer Zeit wird die Zahl der Apotheken deutlich unter den gegenwärtigen Stand sinken, vermutet Rürup.
Seine Prognose: Genauso wenig wie der Versandhandel die traditionelle Apotheke gefährdet hat, genauso wenig werden Apothekenketten das Ende des gegenwärtigen Distributionsmodells sein. Der Arzneimittelhandel ist ein Wachstumsmarkt mit Zukunft. Der Bedarf an pharmazeutischen Dienstleistungen wird steigen – eine Chance für die traditionelle Apotheke, so Rürup. Schon heute sei eine Renaissance der Tante-Emma-Läden zu sehen, viele Kunden wünschen eine individuelle Beratung wie in der Apotheke. Es sei aber falsch, die Tante-Emma-Strukturen bei Apotheken zünftisch zu verordnen oder durch ein Viel- und Fremdbesitzverbot festzuzurren. Und: Nicht nur Kettenapotheken können Einkaufsvorteile generieren, auch die einzelne unabhängige Apotheke kann dies tun; der Lebensmitteleinzelhandel (Edeka) oder Apothekenkooperationen zeigen, wie es geht.
Einen Zukunftsmarkt für die Apotheke sieht Rürup zudem in der Aut-idem-Auswahl, hier liege Potenzial für die Apotheke, das noch nicht ausgeschöpft sei.
Die Ansicht des ABDA-Präsidenten Wolf, dass der Apotheker Heilberufler und kein Einzelhändler sei, teile er allerdings nicht: Apotheker sind Heilberufler und trotzdem spezialisierte Einzelhändler, so der Wirtschaftswissenschaftler Rürup. Die Arzneimitteldistribution und die Beratung entbindet nicht davon, als Ökonom zu entscheiden. Als gefährlich bezeichnete Rürup ein zu langes Beharren auf überkommenen Strukturen. Den Apothekern rief er zu: "Haben Sie mehr Mut, als Ökonom zu handeln!"
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