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DAZ aktuell
Interview
Raucherentwöhnung – ein vernachlässigtes Thema
(daz). Dieser Tage wurde von der "Initiative Raucherentwöhnung" im Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) auf einer Tagung in Bonn die Studie "Gesundheitsökonomischer Nutzen der Raucherentwöhnung" vorgestellt. Die DAZ sprach hierüber mit Dr. Uwe May, Gesundheitsökonom beim BAH.
DAZ Was war die Intention für diese Studie?
May: Die "Initiative Raucherentwöhnung" hat es sich zum Ziel gesetzt, das politische und gesellschaftliche Klima in Deutschland für das Thema Nichtrauchen und Raucherentwöhnung zu sensibilisieren und so die Akzeptanz der Nicotinersatztherapie als effektive Hilfestellung bei der Raucherentwöhnung zu stärken. Sinn der Studie war es, die ökonomischen Vorteile aufzuzeigen, die sich für die Solidargemeinschaft ergeben, wenn die Nicotinersatztherapie verstärkt in der Raucherentwöhnung eingesetzt wird.
dAn wen wendet sich die Studie vor allem?
May: In erster Linie an diejenigen, die auf die Gestaltung der gesellschaftlichen und gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen im Zusammenhang mit dem Thema Rauchen Einfluss haben, also an Gesundheitspolitiker, Krankenkassen und an das neu geschaffene Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), das ja durch den Gesetzgeber mit der Bewertung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses von Arzneimitteln beauftragt ist.
DAZ Rauchen ist eine teure Sucht, für den Raucher selbst wie für die Gemeinschaft. Aber weiß man das nicht eigentlich schon?
May: Nur zum Teil. Dass sich der Raucher durch seine Sucht selbst finanziell belastet, ist wohl jedem klar. Aber dass die Raucher in der Summe der Solidargemeinschaft eine hohe Last aufbürden, ist in der Öffentlichkeit bislang wenig bekannt. So wird nicht selten die These vom sozialverträglichen "Frühableben der Raucher" zitiert, wonach die verkürzte Lebenserwartung der Raucher insgesamt durch verminderte Gesundheits- und Rentenausgaben zu einer Einsparung für die Gemeinschaft führt.
DAZ Und welche neuen Erkenntnisse hat die Studie gebracht?
May: Dass die Kosten für das Gesundheitswesen, die durch einen Raucher verursacht werden, trotz seiner um rund drei Jahre verkürzten Lebenserwartung in der Summe höher liegen als die medizinischen Kosten eines Nichtrauchers. Mit jedem zusätzlichen Nichtraucher spart das Gesundheitssystem also Geld ein.
dWir haben auf der Tagung gehört, dass die Nicotinersatztherapie die Erfolgschancen für einen Rauchaufgabeversuch verdoppelt.
May: Richtig, und damit liegt der gesundheitsökonomische Nutzen der entsprechenden Medikamente auf der Hand. Bezogen auf einen einzelnen durchschnittlichen Raucher und seinen Rauchaufgabeversuch führt die erfolgreiche Anwendung der Nicotinersatztherapie im Vergleich zum Verzicht auf einen Rauchaufgabeversuch zusätzlich zu drei gewonnenen Lebensjahren auch noch zu einer Einsparung von 11.150 EUR. Diese Einsparungen resultieren aus den verminderten Krankheitskosten der Ex-Raucher im Vergleich zum fortgesetzten Tabakkonsum. Durch den Einsatz der Nicotinersatztherapie könnten in einem realistischen Szenario für Deutschland fast 1,5 Mio. Lebensjahre gewonnen beziehungsweise 19 Mio. EUR an medizinischen Kosten eingespart werden ...
DAZ Was wirklich beeindruckend ist. In der Studie wird häufig von der Kosteneffektivität der Nicotinersatztherapie gesprochen. Was drückt dieser Begriff eigentlich aus?
May: Die Kosteneffektivität beschreibt wirtschaftstechnisch ausgedrückt das Input-Output-Verhältnis einer Maßnahme. Damit ist die Relation zwischen der Summe der Kosten der medikamentösen Raucherentwöhnung einerseits und der gewonnenen Lebensjahre andererseits gemeint. Und diesbezüglich weist die Nicotinersatztherapie eine interessante Besonderheit auf. In fast allen Bereichen der Medizin muss Geld investiert werden, um Lebensjahre zu retten. Bei der Nicotinersatztherapie haben wir das Phänomen, dass Lebensjahre gerettet werden können und gleichzeitig die Gesundheitsausgaben zurückgehen.
DAZ Woran liegt es dann, dass die enormen Kosten, die das Rauchen verursacht, von Kassen und Politik so wenig Beachtung finden?
May: In fast allen Bereichen der öffentlichen und politischen Diskussion ist festzustellen, dass eine äußerst kurzfristige Sichtweise dominiert und dass finanzielle Ausgaben, die heute für eine Maßnahme anfallen, gescheut werden, wenn der Nutzen hieraus erst in Zukunft zu erwarten ist.
DAZ Wie wir es beim Klimaschutz erleben ...
May: Genau so. Auch bei der Raucherentwöhnung schlagen gesundheitliche und finanzielle Vorteile erst auf mittlere bis längere Sicht zu Buche, während kurzfristig so absurde Gegenargumente wie beispielsweise der Ausfall von Tabaksteuer ins Feld geführt werden.
DAZ Nun hat doch der Gesetzgeber mit dem IQWiG gerade eine Institution geschaffen, die für diese Aufgabe prädestiniert sein sollte.
May: Ganz richtig, nur leider beschränkt sich auch das IQWiG auf eine kurzfristige und einseitige, hauptsächlich kassenorientierte Sichtweise.
DAZ Woran liegt es, dass die Nicotinersatztherapie, obwohl sie schon so lange existiert, effektiv und sicher ist, bisher keine größere Bedeutung erlangt hat?
May: Bei uns, im europäischen Ausland schon, beispielsweise in den Niederlanden, in Großbritannien und den skandinavischen Ländern. Dass Deutschland bei Fragen des Nichtraucherschutzes ebenso wie bei dem Thema Raucherentwöhnung immer noch ein "Entwicklungsland" ist, hat die verschiedensten Ursachen, die zum großen Teil mit der geschickten Interessenpolitik verschiedener Kreise zusammenhängen.
DAZ Aber in Wissenschaftskreisen ist die Nikotinersatztherapie unumstritten.
May: Ja. Zu Wirksamkeit und Sicherheit haben mehr als hundert wissenschaftliche Untersuchungen eindeutige Ergebnisse geliefert. WHO, IQWiG und Stiftung Warentest empfehlen sie.
DAZ Die Präparate sind frei erhältlich?
May: Nicotinersatzpräparate in Form von Kaugummis, Pflastern oder Lutschtabletten sind bei uns rezeptfrei aber apothekenpflichtig. Als Selbstmedikationspräparate sind sie allerdings auch nicht erstattungsfähig, was angesichts der Tatsache, dass sie zu den wenigen Präparaten gehören, die in dieser Kategorie effektiv Lebensjahre retten können, bemerkenswert ist ...
DAZ Und auch erstaunlich, werden sie doch von WHO und IQWiG ausdrücklich als effektive Therapiemöglichkeiten empfohlen.
May: Und sie werden nicht nur nicht erstattet, sondern zudem noch diskriminiert, indem man sie wie Potenz- und Haarwuchsmittel der Gruppe der "Lifestyle-Präparate" zuordnet. Die von uns nun vorgelegten gesundheitsökonomischen Daten machen mehr als deutlich, dass Rauchen nicht darauf reduziert werden kann, ein individuelles Merkmal des persönlichen Lebensstils zu sein und in seinen Wirkungen auf den Einzelnen begrenzt bleibt.
DAZ Wie sehen Sie die Rolle des Apothekers bei der Bewusstmachung der Gefahren des Rauchens und der medikamentösen Hilfen, von dieser Sucht loszukommen?
May: In allen Fragen der Selbstmedikation ist der Apotheker die natürliche und fachlich prädestinierte Anlaufstelle für den Rat suchenden Verbraucher. Neben der Kompetenz genießt die Apotheke darüber hinaus beim Kunden ein hohes Maß an Vertrauen, so dass ich mir keine bessere Anlaufstelle für aufhörwillige Raucher vorstellen kann als die Apotheke.
DAZ Herr Dr. May, wir danken für dieses Gespräch.
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