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Gesellschaft für Dermopharmazie
Nutzenbewertung zwischen Individualität und Bürokratie
DÜSSELDORF (tmb). Im Rahmen der 11. Jahrestagung der Gesellschaft für Dermopharmazie (GD) veranstaltete die GD-Fachgruppe Dermatotherapie am 27. März in Düsseldorf ein gesundheitsökonomisches Symposium. Dabei wurde der Kontrast zwischen einer an Institutionen und Strukturen orientierten bürokratischen Steuerung des Gesundheitswesens und den individuellen Belangen von Patienten deutlich.
Prof. Dr. Gerd Glaeske, Bremen, beschrieb den Unterschied zwischen der Wirkung von Arzneimitteln unter artifiziellen Studienbedingungen (efficacy) und der Wirksamkeit in der tatsächlichen Versorgung (effectiveness). Dazwischen liegt das "evidence gab", das durch Wirksamkeitsverluste bei der Umsetzung der Therapie entsteht. Die arzneimittelrechtliche Zulassung in Europa bezieht sich auf die in klinischen Studien gezeigte theoretische Maximalwirkung, während bei der US-amerikanischen Zulassungsbehörde FDA inzwischen sogar über die Berücksichtigung des patientenrelevantes Nutzens bei der Zulassungsentscheidung diskutiert werde. In Deutschland sollte es Aufgabe des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) sein, den patientenbezogenen Nutzen zu bewerten und so die Grundlage für die Verknüpfung von Preis und Leistung zu schaffen. Angesichts begrenzter Mittel sei dies unumgänglich. Deutschland sei das einzige große europäische Land mit freier Preisbildung für neue Arzneimittel. Viele davon seien nur "kommerzielle Innovationen", die vom Markt nicht sanktioniert würden, weil ein Wettbewerb um Qualität und Nutzen nur bedingt stattfinde.
Glaeske wies die vielfach gegen das IQWiG gerichteten Vorwürfe zurück, dies berücksichtige in seinem Methodenpapier nicht die internationale Diskussion über qualitätsadjustierte Lebensjahre (QALYs) und mögliche Akzeptanzgrenzen für die je QALY maximal aufzuwendenden Geldbeträge. Das Institut habe dafür bisher keinen Auftrag gehabt, werde sich aber auf der neuen Gesetzesgrundlage dazu äußern. Künftig werde es Einschnitte in der Verfügbarkeit bestimmter Arzneimittel zu Lasten der GKV geben. Zugleich sprach sich Glaeske für transsektorale Betrachtungen aus, um mit und nicht am Arzneimittel zu sparen.
Als Kontrast zu diesen auf das Gesundheitssystem gerichteten Ausführungen betrachtete die Journalistin und Buchautorin Sibylle Herbert, Köln, die Situation einzelner Patienten. Auf der Grundlage ihrer eigenen Erfahrung als Krebspatientin und späterer Recherchen bei Ärzten und Patienten verfasste sie zwei Bücher, in denen sie die Entmündigungen und Unterwerfungen von Patienten innerhalb des Gesundheitssystems und die praktischen Auswirkungen politischer und bürokratischer Regelungen auf die Arzt-Patienten-Beziehung und die Versorgung veranschaulicht. Als Beispiel nannte sie die mitunter verwirrenden Generikaverordnungen. Angesichts der bevorzugten Verwendung von Originalen in Krankenhäusern sei zu fragen, ob Nutzen dort anders definiert werde. Dies gelte auch für den Off-label-use, der in Krankenhäusern vielfach praktiziert und international als selbstverständlich akzeptiert werde, weil die wissenschaftliche Entwicklung schneller als die Durchführung von Studien verlaufe und diese für manche Fragestellungen nicht praktikabel seien.
Dagegen verfolge der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) für die ambulante Versorgung die Devise, die Patienten solange zu schützen, bis alle Fragen durch Studien geklärt seien. Ärzte stünden aber vor der Frage, was sie zum jeweiligen Zeitpunkt noch tun könnten. So würden verschiedene Vorstellungen von Nutzen aufeinander treffen. An die Stelle der Macht der grauen Eminenzen sei heute die der Evidenzen getreten, die Wissenschaftlichkeit werde zu einem Vehikel der Rationierung. So treffe der G-BA über die Betroffenen hinweg Rationierungsentscheidungen, ohne demokratisch legitimiert zu sein. Sie vermisse eine offene gesellschaftliche Diskussion über die Mittelverwendung im Gesundheitswesen. Im Interesse der Ehrlichkeit sollte der Nachweis der medizinischen Notwendigkeit von der Diskussion über die Bezahlbarkeit getrennt werden.
Nutzen ist subjektiv
Prof. Dr. Matthias Augustin, Hamburg, machte auf den Hintergrund des Nutzenbegriffes aufmerksam, der gerade in der Ökonomie nur auf das jeweilige Subjekt bezogen werden kann. Daten über patientenbezogenen Nutzen sollten vorzugsweise aus Patientenregistern und Beobachtungsstudien ermittelt werden, kontrollierte randomisierte Studien seien dagegen nicht geeignet, was seitens des IQWiG aber anders gesehen werde. Daher müsse in Deutschland eine intensivere Versorgungsforschung mit geeigneten Qualitätsindikatoren betrieben werden, wenn die Betrachtungen keine Willkür sein sollten.
Speziell für die Dermatologie sieht Augustin in der Neufassung der Arzneimittelrichtlinien viel Sprengstoff. So sei beim Ausschluss der Erstattungsfähigkeit von topischen Corticoid-Kombinationen die evidenzgestützte Therapie der Psoriasis in Kombination mit Calcipotriol offenbar übersehen worden, woraufhin das Gesundheitsministerium beim G-BA interveniert habe. Zudem würden Patienten in Deutschland vielfach erst relativ spät von innovativen Therapien profitieren. Augustin betonte, dass das IQWiG durch das GKV-WSG nicht nur auf internationale Standards der Medizin, sondern auch der Gesundheitsökonomie verpflichtet werde. Doch sei das Verhältnis aus Kosten und Wirksamkeit bisher nur für wenige dermatologische Therapien untersucht, zudem seien die meist ausländischen Arbeiten nicht auf die deutschen Kostenstrukturen übertragbar. Noch schlechter sei die Datenlage für QALY-Erhebungen in der Dermatologie.
Patientenbezogenen Nutzen erfassen
Kennzeichnend für die Dermatologie ist ein besonders breites Spektrum der Aspekte es patientenrelevanten Nutzens, weil Hauterkrankungen zu den unterschiedlichsten Symptomen und Konsequenzen für den Patientenalltag führen können. Vor diesem Hintergrund stellte Dr. Ines Schäfer, Hamburg, den "patient benefit index" (PBI, Patienten-Nutzen-Index) und seine Anwendung in der Dermatologie vor, bei dem bis zu 26 Bewertungskriterien berücksichtigt werden können. Als Besonderheit dieses Konzeptes werden die Patienten vor der Therapie nach ihren individuellen Präferenzen für den Therapieerfolg befragt, um die späteren Ergebnisse daran messen zu können. So kann der Nutzen mit dieser Methode aus der Patientenperspektive bewertet und der subjektive Charakter des Patientennutzens berücksichtigt werden. Der PBI werde bereits in 13 Studien eingesetzt, teilweise auch in krankheitsspezifischen Varianten.
Umfassende Daten aus Apotheken
Als weiteres Projekt der dermatologischen Versorgungsforschung stellte Dr. Lisa Zimmer, Hamburg, das Netzwerk "Hautkompetente Apotheken" der GD und des Competenzzentrums Versorgungsforschung in der Dermatologie (CVderm) vor. Bei der ersten Erhebung, die in den April verlängert wurde, werden Akne-Patienten über ihre Erkrankung, die dadurch verursachte Beeinträchtigung, die verwendeten Arzneimittel und ihre Zufriedenheit befragt. In einer Vorauswertung von 266 Fragebögen zeigten sich 33 Prozent der Patienten eher unzufrieden mit ihrer Therapie. Die Befragung in der Apotheke erlaubt gegenüber anderen Konzepten ein umfassenderes Bild, weil auch Selbstmedikationspatienten einbezogen werden, und stellt damit eine Besonderheit in der Versorgungsforschung dar.
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