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- DAZ 15/2007
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Standpunkte
"Viele Fakten sprechen für Zusammenhang"
Im Juli 2002 wurde der Studienarm der Womens Health Initiative (WHI) abgebrochen, der einen Schutz der kombinierten Hormonersatztherapie in der Postmenopause vor Osteoporose und Herzinfarkt belegen sollte. Es hatte sich ein erhöhtes Brustkrebsrisiko unter der kombinierten Estrogen/Progestin-Substitution abgezeichnet. Daraufhin gingen die Verordnungen von Präparaten zur Hormonsubstitution schlagartig zurück. Ende 2006 wurden die Daten zweier epidemiologischer Studien veröffentlicht, in denen in den USA nach jahrelangem kontinuierlichen Anstieg erstmals eine Abnahme der Brustkrebsinzidenz in den Jahren 2003 und 2004 zu sehen war:
- Donald Berry und seine Mitarbeiter vom M. D. Anderson Cancer Center in Houston hatten anhand eines landesweiten Krebsregisters neun repräsentative Regionen analysiert und kamen zu dem Schluss, dass die Brustkrebsneuerkrankungen in den Jahren 2002 und 2003 um 7% zurückgegangen waren. Ein besonders deutlicher Rückgang wurde bei den Estrogenrezeptor-positiven Brustkrebsneuerkrankungen in der Altersgruppe der 50- bis 69-jährigen Frauen festgestellt: er lag bei 12%.
- Ein Team um Christina Clarke und Sally Glaser von der Stanford University sah in Kalifornien ebenfalls einen Rückgang der Brustkrebsinzidenz, der mit dem der Hormonersatztherapie korreliert. In der Zeit zwischen 2002 und 2003 registrierte die Versicherung Kaisers Permanente eine Abnahme der Estrogen/Progestin-Verordnungen um 68%, die Verordnungen zur Estrogen-Monotherapie gingen um 36% zurück. In engem zeitlichen Zusammenhang sank zwischen 2003 und 2004 bei den kalifornischen Frauen in allen Altersgruppen die Brustkrebsinzidenz zwischen 10 und 11%.
Wie diese Daten zu interpretieren sind, darüber wird zur Zeit heftig gestritten. Sicher ist, dass Estrogene bestehende Estrogen-Rezeptor-positive Brustkrebszellen zum Wachstum anregen können. Die Hormonersatztherapie könnte dazu geführt haben, dass Brustkrebs bei Frauen mit bislang asymptomatischen Brustkrebszellen schneller symptomatisch wurde. Doch kann eine Hormonersatztherapie in der Postmenopause auch direkt für die Entartung von Brustzellen verantwortlich sein? Hierfür gibt es bislang keinen Beweis.
Kritiker der Hormonersatztherapie sehen in den Daten aus den USA eine weitere Bestätigung dafür, dass dem geringen Nutzen dieser Therapiemöglichkeit von Wechseljahrsbeschwerden unverantwortlich hohe Risiken gegenüber stehen. Experten, die für einen gezielten Einsatz der Hormonsubstitution plädieren und dafür auch keine Alternative sehen, verweisen darauf, dass die Daten auf keinen kausalen Zusammenhang zwischen Rückgang der Hormonsubstitution und Abnahme der Brustkrebsinzidenz schließen lassen.
Stellvertretend für die unterschiedlichen Lager haben wir mit Frau Prof. Dr. Ingrid Mühlhauser von der Universität Hamburg, gesprochen und Prof. Dr. Diethelm Wallwiener und Prof. Dr. Dr. Alfred O. Mueck von der Universitätsfrauenklinik in Tübingen um eine Stellungnahme zu diesem Thema gebeten.
duQuelle:Clarke C.A., Glaser, S. et al.: Recent Declines in Hormone Therapy and Breast Cancer Incidence: Clinical and Population-Based Evidence. J. Clin. Oncol. 24, e49-e50 (2006).
Decline in Breast Cancer Cases Likely Linked to Reduced Use of Hormone Replacement. M.D. Anderson News Release. 14. Dezember 2006.
Ein Gespräch mit Frau Prof. Dr. Ingrid Mühlhauser, Hamburg
DAZFrau Prof. Mühlhauser, ist Ihrer Meinung nach die Abkehr von der Hormonersatztherapie verantwortlich für die Abnahme der Brustkrebsinzidenz in den USA?
Mühlhauser: Mit großer Wahrscheinlichkeit ist die Abkehr dafür verantwortlich. Ein Beweis für einen ursächlichen Zusammenhang kann aus Zeitreihendaten allerdings nicht abgeleitet werden. Für einen ursächlichen Zusammenhang sprechen aber verschiedene Fakten. So ist seit Langem bekannt, dass Hormone das Wachstum von Krebszellen fördern. Mit zunehmendem Alter haben wir in verschiedenen Organen Krebszellen. Es wurden Untersuchungen an Frauen durchgeführt, bei denen zu Lebzeiten kein Brustkrebs bekannt war und die an anderen Todesursachen verstarben. Bei gründlichen Gewebeuntersuchungen der Brust im Rahmen der Obduktion hat man bei vielen dieser Frauen Krebszellen gefunden. Wenn bestimmte Einflüsse auf diese Zellen einwirken, dann kann das Wachstum enthemmt werden. Bleiben solche Einflüsse aus, macht sich der Krebs offenbar nicht bemerkbar.
Die Behandlung mit Sexualhormonen erschwert das Auffinden von Brustkrebs bei einer Mammographieuntersuchung. Wenn diese Frauen nun keine Hormone mehr einnehmen, müssten eigentlich mehr Brustkrebsdiagnosen und nicht weniger gestellt werden. Auch andere Faktoren können die abrupte Abnahme von Brustkrebs in den USA nicht erklären. Bei stark übergewichtigen Frauen wird Brustkrebs häufiger diagnostiziert. Aber es gibt keine Anzeichen dafür, dass amerikanische Frauen an Gewicht abgenommen hätten, im Gegenteil, der Anteil adipöser Menschen steigt weiter in den USA. Auch andere Faktoren, die immer wieder genannt werden, wie Rauchen oder Alkohol, kommen als Erklärung nicht in Frage.
DAZWelche Rolle spielen die Ergebnisse der WHI-Studie?
Mühlhauser: In den USA wurden große sog. randomisiert-kontrollierte Studien mit vielen Tausend Frauen über mehrere Jahre durchgeführt. Eine davon ist die sog. WHI-Studie. Aus diesen Untersuchungen wissen wir, dass die am häufigsten benutzte Hormonbehandlung im Vergleich zu einer Behandlung mit einem Scheinmedikament (Placebo) zu einer Zunahme von Brustkrebs um etwa 25% führt. Das war auch ein Grund dafür, dass die WHI-Studie vorzeitig abgebrochen werden musste. Der Brustkrebs ist zudem bei Diagnose unter Hormonbehandlung bereits weiter fortgeschritten, das heißt, häufiger sind auch schon Lymphknoten befallen oder der Krebs ist metastasiert. Randomisiert-kontrollierte Studien sind der stärkste wissenschaftliche Beweis für einen kausalen Zusammenhang.
DAZWerden auch in Deutschland und Europa weniger Brustkrebsfälle registriert?
Mühlhauser: Die Analysen sind bisher nicht publiziert. Aus der Presse konnten jedoch bereits Zahlen entnommen werden, die auf Auswertungen der Krebsregister in Deutschland beruhen. Demnach ist auch in Deutschland die Häufigkeit an Brustkrebs deutlich abgefallen. Dies ist umso bemerkenswerter als zeitgleich durch die massiven öffentlichen Kampagnen das Brustkrebsscreening vermutlich zugenommen hat. Und Mammographiescreening führt zu einer Zunahme von Krebsdiagnosen. Man müsste also in Deutschland eher mit einer Zu- als einer Abnahme von Brustkrebsdiagnosen rechnen.
DAZWelchen Stellenwert hat die Hormonsubstitution in den Wechseljahren noch?
Mühlhauser: In Deutschland ist die Hormonbehandlung wegen des möglichen Schadens durch diese Medikamente nur mehr für sehr starke Wechseljahrsbeschwerden zugelassen. Und dies nur in möglichst geringer Dosierung und für möglichst kurze Zeit. Zu den Wechseljahrsbeschwerden zählen ausschließlich Hitzewallungen, Nachtschweiß und trockene Scheide. Für die Behandlung einer trockenen Scheide gibt es auch andere Möglichkeiten als Hormone. Die Frauen sollten auch wissen, dass bei Absetzen der Behandlung bei etwa der Hälfte der Frauen die Wechseljahrsbeschwerden wieder auftreten. Nicht wirksam sind Hormone gegen Depressionen, Störungen des Sexuallebens, auch nicht gegen unfreiwilligen Harnverlust (Inkontinenz). Im Gegenteil, die kontrollierten Studien haben gezeigt, dass durch die Hormonbehandlung diese Beschwerden verstärkt werden oder überhaupt erstmalig auftreten. Auch Demenz kann nicht vorgebeugt werden. Im Gegenteil, es kommt zu einer Verdoppelung der Demenzfälle.
DAZFrau Prof. Mühlhauser, wir danken Ihnen für das Gespräch!
Univ.-Prof. Dr. med. Ingrid Mühlhauser Universität Hamburg MIN Fakultät, Gesundheit Martin-Luther-King Platz 6 D-20146 Hamburg"Differierende Daten für USA und Europa"
Eine Stellungnahme von Prof. Dr. Diethelm Wallwiener und Prof. Dr. Dr. Alfred O. Mueck, Tübingen
In den USA ging innerhalb von zwei Jahren die Brustkrebsrate um ca. 10% zurück. Im gleichen Zeitraum wurden die negativen Ergebnisse aus der Studie Women‘s Health Initiative zur Hormontherapie (HT) publiziert (WHI, 2002), was zu einem Rückgang der HT-Verordnungen um ca. 30% geführt hat. Auch in Europa gingen die Verordnungen stark (zum Teil bis 50%) zurück – aber nach einem aktuellen Bericht der WHO ist in den EU (bei Auswertung von 25 Staaten) die Häufigkeit der Brustkrebsdiagnosen innerhalb von zwei Jahren um über 15% angestiegen.
Demnach erscheint es wenig plausibel, über Zusammenhänge zwischen Brustkrebsrate und HT-Verordnungen zu spekulieren. Seriöse Wissenschaftler hatten sich ohnehin davon distanziert, aus solchen Assoziationen auf eine Kausalität zu schließen – so auch die Autoren der USA-Erhebungen: "The breast cancer data prohibit a causal interpretation of these associations, and the breast cancer decline may have other explanations".
Auf Basis der wissenschaftlichen Evidenz erscheint es zwar möglich, dass innerhalb von nur zwei Jahren nach Absetzen einer HT ein Rückgang der Brustkrebsrate beobachtet werden könnte, aber es gibt auch andere, plausiblere Erklärungen.
So ist in den USA die Rate von Mammographien eher rückläufig, während in Europa die Vorsorgeuntersuchungen so verbessert wurden, dass die WHO die Zunahme der Krebsdiagnosen eben darauf zurückführt. Eine HT hat darauf aber nur insofern einen Einfluss, als dass sie wegen Zunahme der mammographischen Dichte die Bewertung der Mammographien erschweren kann – dies ist allerdings nur bei hohen HT-Dosierungen relevant und für qualitativ gut ausgerüstete Zentren heute ohnehin nicht mehr von Belang.
Es gibt keinen Beweis, dass Estrogene Brustkrebs auslösen. Sie werden über 50 Jahre körpereigen produziert, in der Schwangerschaft in extrem hohen Mengen, um Wachstum zu gewährleisten und um protektive Funktionen zu erfüllen. Estrogene können jedoch unter bestimmten Bedingungen vorhandene Krebszellen stimulieren. Es erscheint aber sehr unwahrscheinlich, dass der Entzug eines einzigen Faktors ein autonomes Karzinom mit derart multifaktorieller und über zehnjähriger Genese innerhalb von zwei Jahren im Wachstum hemmt, zumal Faktoren wie Adipositas, Rauchen, Alkoholkonsum etc. das Risiko für ein Mammakarzinom im Vergleich zur HT mehr als zehnfach stärker erhöhen können.
Weitere Erklärungen speziell für Daten aus USA
Des Weiteren gibt es auch noch eine Reihe andere Erklärungen. So nahm zwischen 2000 und 2003 die Verordnung von antiphlogistischen und anderen Medikamenten stark zu, die in Studien (wie unter anderem auch in der WHI) das Brustkrebsrisiko zwischen 20 bis 60% senkten. Theoretisch könnte auch ein entsprechend häufiger Wechsel von kombinierter HT auf Estrogenmonotherapie zu einem Rückgang der Rate geführt haben, nachdem in der WHI eine über 30% signifikante Senkung der Brustkrebsrate beobachtet wurde, bei Auswertung der Frauen, welche die Estrogene sicher einnahmen.
Letzteres zeigt, dass die Beurteilung der HT nicht nur auf Basis der WHI erfolgen sollte. Unter Beachtung der gesamten (auch experimentellen) Evidenz, besteht unter jeder HT das Risiko, dass vorhandene Brustkarzinome stimuliert und so sichtbar werden, in den Studien meist nach Behandlungen über fünf bis zehn Jahre, betreffend ca. einen bis zwei Fälle bei 1000 Verordnungen pro Jahr – im gleichen Bereich liegt das Risiko von venösen oder arteriellen Embolien. Darüber muss vom Frauenarzt aufgeklärt werden!
Strenge Indikation
Die HT ist nur bei Vorliegen von klimakterischen und urogenitalen Beschwerden indiziert. Keine Indikationen sind die Prävention für Herzinfarkte und Kolonkarzinome, die jedoch weiter erforscht werden muss, da zahlreiche experimentelle und klinische Studien darauf hinweisen, dass die Estrogene präventiv wirken können. (Die häufig zitierte Risikoerhöhung für Herzinfarkte in der WHI ergab sich nur für die kombinierte HT und signifikant nur bei Beginn [!] > 20 Jahre nach der Menopause). Nach wie vor besteht aber für die diesbezüglich zugelassenen HT-Präparate eine Indikation bei hohem Osteoporoserisiko, falls Unverträglichkeiten oder Kontraindikationen für Alternativen vorliegen. Dabei ist jedoch umstritten, ob es für früh-postmenopausale Patientinnen Alternativen gibt.
Nach den offiziellen Empfehlungen soll die Indikation für eine HT wenigstens einmal im Jahr überprüft werden. Nutzen und Risiken von Alternativen wie pflanzliche Präparate sind nicht einzuschätzen, da im Gegensatz zur HT relevante Studien fehlen.
Korrespondenzadresse: Prof. Dr.med. D. Wallwiener, Ärztl. Direktor der Universitäts-Frauenklinik Tübingen, Calwer Straße 7, 72076 Tübingen
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