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- DAZ 17/2007
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Aus Kammern und Verbänden
Krankenhauspharmazie
Änderungen der Rahmenbedingungen überfällig!
Die Erfolge der modernen Medizin beruhen zu einem großen Teil auf der Arzneimitteltherapie. Hochwirksame Medikamente bergen aber auch Risiken. So sind in Deutschland jährlich bis zu 30.000 Todesfälle bei stationären Patienten auf Medikationsfehler zurückzuführen. Der Medikationsprozess, der auf allen Stufen Irrtümer zulässt, ist noch unzulänglich gesichert und dokumentiert, was nicht zuletzt dem enormen Investitionsstau geschuldet ist. Der Bundesverband Deutscher Krankenhausapotheker e.V. (ADKA) hat sich zum Ziel gesetzt, diese systembedingten Medikationsfehler zu minimieren. In welchem Maße die Krankenhauspharmazie zu einer qualitätsgesicherten Arzneimittelversorgung beitragen kann, war Schwerpunkt eines Parlamentarischen Abends am 7. März in Berlin, in dem die ADKA und Referenten aus dem Klinikbereich ihre Appelle an die politisch Verantwortlichen richteten.
"Ist eine fehlerfreie, qualitätsgesicherte und angesichts der mittlerweile kurzen Verweildauer auch patientennahe, schnelle und wirtschaftliche Arzneimittelversorgung in den Krankenhäusern möglich?" Jürgen van Gessel, Leitender Apotheker des Zentrums für Klinische Pharmazie in Bottrop, bejahte diese Eingangsfrage. Der herkömmliche Medikationsprozess ist extrem fehlerbehaftet, weil er aus vielen einzelnen Hör-, Seh-, Schreib- und Leseschritten besteht: Der Arzt verordnet oft mündlich am Patientenbett, und die Pflegekraft notiert – wobei schon 50% aller Medikationsfehler entstehen. Bei der Übertragung der Daten in die Patientenakte und bei der Zubereitung für den Patienten bzw. Applikation können dann weitere Fehler auftreten. Gründe sind neben Arbeitsüberlastung, schlechter Handschrift, mangelnder Kenntnis und Rechenfehlern auch "Sound-Alikes" und "Look-Alikes", also Arzneimittel unterschiedlicher Zusammensetzung und Wirkung, die sehr ähnliche Namen haben oder sehr ähnlich aussehen, wobei letztere Generika-bedingt (sehr oft weiße Tabletten!) stark zugenommen haben.
Fehlervermeidung mit System
Eine Möglichkeit, diese Fehlerquellen auszuschalten, liegt in der Kombination einer elektronischen Verordnung mit einem Unit-Dose-System, wie sie seit vier Jahren in zwei Kliniken in Oberhausen und Gelsenkirchen besteht: Der visitierende Arzt gibt die Medikation für den nächsten Tag in ein elektronisches Verordnungssystem ein, das ihm alle Informationen zu seinem Patienten liefert. In der Krankenhausapotheke werden die Arzneimittel für jeden Patienten einzeln verpackt (was für einzelne und verblisterte Tabletten, aber auch für Ampullen und Fertigspritzen möglich ist) und vor der Applikation nochmals durch Barcode-Scanning mit der ärztlichen Verordnung abgeglichen. Dieses – in den Niederlanden bereits seit Jahrzehnten implementierte – System hat viele Vorteile:
- Qualitätssicherung der ärztlichen Verordnung durch zeitnahe elektronische Dokumentation, die sekundenschnelle datenbankgestützte Abgleiche zur Vermeidung von Medikationsfehlern erlaubt.
- Aktive Teilnahme der Krankenhausapotheker bei Implementierung und Optimierung des Systems.
- Verbesserte Wirtschaftlichkeit durch Direktbelieferung (keine Arzneimittelvorräte auf Stationen) und zuverlässige detaillierte Kostenträgerrechnung.
- Höhere Compliance durch einzelverpackte Arzneimittel (90% vs. 60% bei den Patienten, die Packungen erhalten).
- Intensivere Zusammenarbeit der in diesem System unmittelbar beteiligten Berufsgruppen, dadurch verstärkte Einbindung der Krankenhausapotheker (z. B. Begleitung ärztlicher Visiten).
PD Dr. Thomas Körner, Chefarzt der Klinik für Innere Medizin II am Zentralklinikum Suhl, hat seit dem vergangenen Jahr Erfahrungen mit dem schrittweise eingeführten Unit-Dose-System gesammelt und bestätigte das Resümee van Gessels. Die Stationen verfügen über einen bettseitigen Zugang zum Krankenhaus-EDV-Netzwerk, das sekundenschnell über ID-Card aufrufbar ist und zudem die Hinterlegung von Standardprotokollen zur leitliniengerechten Therapie häufig vorkommender Krankheiten ermöglicht. Das elektronische Verordnungs- und Dokumentationssystem erhöht deutlich die Medikationssicherheit (weniger Kommunikationsfehler), verbessert das Qualitätsmanagement und senkt zugleich die Kosten. Weiterhin lobte Körner die größere Nähe des Krankenhausapothekers zu Patienten, Ärzten und Pflegepersonal.
Mehr Aufgaben für Krankenhausapotheker
Für eine künftig weit stärkere Einbindung der Krankenhausapotheker in die klinischen Prozesse sprach sich auch Prof. Dr. Matthias Schönermark aus, Professor für Medizinmanagement an der Medizinischen Hochschule Hannover und Aufsichtsratsmitglied der Marseille Kliniken AG. Ihre Expertise ist in der gesamten Wertschöpfungskette von der Verordnung, Beschaffung und Applikation eines Medikamentes bis hin zum Controlling und zur Abrechnung gefragt, sodass sie ein erhebliches strategisches Potenzial in Krankenhäusern besitzen. Zentrale Aufgaben der Klinikapotheker sieht Schönermark in der Compliance, auch an der ambulant-stationären Schnittstelle, und bei den unerwünschten Arzneimittelwirkungen. Mit seiner Forderung, dass die Krankenhausapotheker künftig für die Pharmakovigilanz im klinischen Bereich alleinverantwortlich sein sollten, formulierte er einen Anspruch der ADKA. Allerdings hapert es derzeit noch an den Voraussetzungen dafür, da die deutsche Krankenhauspharmazie im europäischen Vergleich das Schlusslicht ist.
Investition in die Krankenhauspharmazie lohnt sich
"Auf 1000 Krankenhausbetten entfallen bei uns drei Klinikapotheker – der EU-weite Durchschnitt liegt bei neun", klagte Michael Lueb, Präsident der ADKA und Chefapotheker des Evangelischen Krankenhauses Bielefeld. In den Niederlanden, den USA, in Großbritannien oder Spanien ist die pharmakotherapeutische Kompetenz der Krankenhausapotheker längst erkannt und gilt als unverzichtbar. Dort sind die Kollegen für die komplette Arzneimitteltherapie und -distribution mit allen sich daraus ableitenden positiven Effekten verantwortlich. Am Ende werde sich auch hierzulande herausstellen, dass sich die Investition in die Krankenhauspharmazie lohnt, bekräftigte Schönermark den Standpunkt von Lueb.
Betriebswirtschaft kontra Gesamtwirtschaft
"Das Problem ist, dass auf die Krankenhäuser ein hoher Druck wirkt und Entscheidungen betriebswirtschaftlich getroffen werden, die gesamtwirtschaftlich problematische Folgen verursachen können. Die Realität ist, dass wir in 2003 noch 540 Krankenhausapotheken in Deutschland hatten, von denen vier Jahre später nur noch 460 übrig sind", verdeutlichte Dr. Steffen Amann, Vizepräsident der ADKA, die Situation. Eine Änderung der Rahmenbedingungen sei längst überfällig, aber noch gehen die politischen Bestrebungen eher in die andere Richtung, denn das Apothekensterben geht unverändert weiter.
Ein aktuelles Beispiel ist das Zentrum für Klinische Pharmazie in Bottrop, das zum 30. Juni dieses Jahres nach der Übernahme der Trägerschaft eines der beteiligten Krankenhäuser durch eine private Klinikkette geschlossen wird. "Wir wollen keine Schutzzäune", sagte Amann, aber er bat die politisch Verantwortlichen "wahrzunehmen, dass die Investition in die Arzneimittel- und Therapiesicherheit etwas ist, was nicht der Beliebigkeit kurzfristiger betriebswirtschaftlicher Entscheidungen anheim gestellt werden darf. Und die Krankenhausapotheke ist ein wesentlicher Leistungsfaktor für die Verbesserung der Arzneimittel- und Therapiesicherheit."
Klaus Tönne ADKA, Geschäftsführer gf@adka.de
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