Kommentar
Vielschichtige Bewertung
In der oben dargestellten Analyse wird eine Differenz von etwa 20 Milliarden Euro bei der Bewertung der deutschen Apotheken ermittelt, die es zu vereinnahmen gelte und die den Antrieb für die jüngste Entwicklung bei Celesio bilden könnte. Doch lehrt die ökonomische Erfahrung, dass der Markt nicht irrt, zumindest nicht langfristig. Daher ist zu fragen, ob die Bewertungsdifferenz wirklich so hoch ist oder womit sie zu begründen ist. Die Börse bewertet keineswegs alle Unternehmen mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 15, sondern einige viel höher, manche aber auch niedriger, beispielsweise bei wenig zukunftsträchtigen Geschäftsmodellen. An der Börse ist das Gewinnwachstum meist wichtiger als das KGV.
Aufschlussreicher als die Ermittlung des KGV scheint der Vergleich mit britischen Apotheken. Für deren auffällig hohe Bewertung sprechen mehrere Gründe: Erstens haben die dortigen Kettenbetreiber gezeigt, dass die Gewinne im Fremdbesitz nachhaltig erzielt werden können. Zweitens sind die Einzelhandelsmargen in Großbritannien allgemein sehr viel höher als in Deutschland. Drittens – und das dürfte der wichtigste Aspekt sein – besteht in Großbritannien keine Niederlassungsfreiheit für Apotheken. So können dort quasi staatlich garantierte Oligopolgewinne von den großen Ketten abgeschöpft werden – eine praktisch einzigartige Situation, die naturgemäß von der Börse gut bezahlt wird. Dagegen gibt es in Deutschland Niederlassungsfreiheit und zudem bleibt fraglich, mit welchen Apotheken auch ohne eigenverantwortlich tätigen Leiter überhaupt nachhaltige Gewinne erzielt werden könnten. Auch Filialapotheken sind keineswegs mit Kettenapotheken gleichzusetzen. In der Gesamtbetrachtung erweist sich die Niederlassungsfreiheit als zentrales Argument. Dies dürfte auch erklären, warum Celesio/Gehe so massiv vor einer Liberalisierung im "Wildwest"-Stil warnt und den Politikern eine neue Niederlassungsbeschränkung schmackhaft machen will. Denn nur so könnte es tatsächlich zu einer massiv höheren Neubewertung der Apotheken beziehungsweise den entsprechenden Gewinnzuwächsen kommen.
Mit der bestehenden Niederlassungsfreiheit lassen sich britische Bewertungsrelationen aber nicht auf Deutschland übertragen. Apothekern, die auf Verkaufspreise nach britischem Vorbild spekulieren, sei zudem gesagt, dass solche Kalkulationen ohnehin nur für Apotheken gelten, die langfristig hohe Gewinne ohne das typische Engagement eines eigenverantwortlichen Leiters erzielen. Eine sehr große und für die Versorgung unverzichtbare Zahl von Apotheken kommt daher in dieser Rechnung gar nicht vor. Anders sähe es jedoch aus, wenn diese Apotheken von der Bildfläche verschwänden und die verbleibenden Apotheken sich deren Geschäft teilen würden. Dann könnten die angeführten Bewertungen realistisch werden. Das dürfte das eigentliche Ziel von Kettenbetreibern sein, wenn ihre Rechnung aufgehen soll.
Thomas Müller-Bohn
0 Kommentare
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.