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Selbstmedikation

Das grüne Rezept ist eine richtige Idee …

(diz). Der Markt der Selbstmedikationsarzneimittel wächst, aber er tut es – in den Augen der Industrie – nicht so stark wie erhofft. Wir unterhielten uns über diesen Markt mit Hans-Georg Hoffmann, Vorsitzender des Bundesverbands der Arzneimittel-Hersteller (BAH). Nach seiner Auffassung litt das Image der OTC-Arzneimittel durch den Ausschluss aus der Verordnung. Die Einführung des grünen Rezepts hält er für eine richtige Idee, die allerdings zerredet wurde. Dennoch: der Selbstmedikationsmarkt hat eine Zukunft, wenn sich auch der Apotheker noch stärker in der Beratung, in der Präsentation dafür einsetzt.

DAZ Seit dem Ausschluss der OTC-Arzneimittel aus der Erstattungsfähigkeit ist Bewegung in diesen Markt gekommen. Hat dieser Ausschluss dem Ansehen, dem Image dieser Arzneimittel geschadet?

Hoffmann: Unsere Sorge war bereits im Gesetzgebungsverfahren, dass eine Diskriminierung stattfindet. Wir prognostizierten, dass sich die Lage für diese Arzneimittel verschlechtern wird, weil sich das Image verschlechtert. Den Patienten wurde nicht erläutert, warum diese Arzneimittel von der Erstattungsfähigkeit ausgeschlossen wurden. Die Politik und die Krankenkassen haben den kostensparenden Effekt einfach mitgenommen, ohne dem Patienten deutlich zu machen, was die Hintergründe für den Ausschluss sind, nämlich Einsparungen bei den Arzneimittelausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung. Man hätte den Patienten darüber aufklären müssen, dass das Solidarsystem erst dann einspringen soll, wenn den Versicherten eine Krankheit trifft, die er alleine nicht schultern kann. Für die Therapie von leichteren Erkrankungen sollte der Versicherte die Arzneimittel durchaus selbst bezahlen. Der Gesetzgeber hätte Bereiche definieren sollen, wo man es dem Versicherten zumutet, sich selbst um die Beseitigung oder Linderung von Krankheiten zu kümmern. Da dies sicher ein aufwendiges Verfahren ist, hat man aus reinen Praktikabilitätsgründen eine bereits vorhandene Unterteilung im Markt aufgegriffen: von der Krankenversicherung werden alle verschreibungspflichtigen Arzneimittel bezahlt, alle anderen zahlt der Patient selbst. Es ist eine Unterteilung, die nichts mit der Schwere einer Krankheit zu tun hat. Aus dieser Unterteilung entstand ein Erklärungsbedürfnis gegenüber dem Patienten, das weder die Politik, noch die Krankenkassen, noch die Ärzte geleistet haben. Merkwürdig war, dass sich der Gemeinsame Bundesausschuss bei der Erstellung der Ausnahmeliste, welche OTC bei bestimmten Krankheiten noch verordnet werden dürfen, in der Lage sah, solche Kriterien zu definieren. Hätte man einen solchen Kriterienkatalog für alle Arzneimittel aufgestellt, hätte dies dazu führen können, dass einerseits auch verschreibungspflichtige Arzneimittel aus der Erstattung ausgeschlossen worden wären, andererseits statt einer Ausnahmeregelung nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel erstattungsfähig geblieben wären Bei den Lifestyle-Präparaten wurde dieser Gedanke bereits umgesetzt.

Mit der jetzigen Regelung allerdings hat man den Patienten alleine gelassen. Er hat sich in dieser Situation dazu seine eigene Meinung gebildet, nämlich: diese Arzneimittelgruppen haben eine unterschiedliche Qualität. Sein Gedankengang: Was er nicht mehr erstattet bekommt, ist von minderer Qualität und daher auch nicht mehr für die Behandlung seiner Erkrankung geeignet. Warum sollte er sich ein solches Arzneimittel dann selbst kaufen? Mit dieser Situation sehen wir uns heute leider konfrontiert.

DAZ Haben Sie Belege dafür, dass der Verbraucher dies tatsächlich so sieht?

Hoffmann: Ja, wir haben anhand einer vom BAH in Auftrag gegebenen Studie Zahlen, dass der Verbraucher dies so sieht. Und wir wissen aus der Untersuchung, warum der Versicherte dies so sieht. Die Ergebnisse bestätigen unsere Befürchtungen, wie ich sie eben dargelegt habe.

DAZ Ist das Kind jetzt schon in den Brunnen gefallen oder kann man hier noch etwas retten?

Hoffmann: Das Kind ist in den Brunnen gefallen – aber es schwimmt noch ganz gut. Jetzt kommt es darauf an, wie lang die Kräfte reichen. Und da müssen alle dazu beitragen, Politik, Krankenkassen, Ärzte und Apotheker. Sie müssten kommunizieren, dass der Ausschluss dieser Produkte nichts mit geringer Qualität zu tun hat. Die Aussagen der Industrie zur Qualität ihrer eigenen Produkte können hier allein nicht ausreichend überzeugen.

DAZ Wo könnte man hier zu einer Besserung der Situation ansetzen? Ist das Grüne Rezept so ein Rettungsanker?

Hoffmann: Der fortgesetzte und intensivierte Gebrauch des Grünen Rezepts ist auf jeden Fall auch vom Grundsatz her eine richtige Idee. Mit der Verordnung auf einem Grünen Rezept kann der Arzt dem Patienten verdeutlichen, dass seine frühere Therapie mit dem OTC-Arzneimittel die richtige war und fortgesetzt werden sollte, nur mit dem Unterschied, dass die Krankenkasse heute dafür nicht mehr bezahlt. Leider ist diese richtige Idee des Grünen Rezepts zerredet worden bis hin zur Diskussion, wer die grünen Formrezeptblätter bezahlen soll.

Mehr Kommunikation und Information sind weitere Maßnahmen. Es sollte die Aussage kommuniziert werden, dass Arzneimittel, gleich ob verschreibungspflichtig oder nicht, sich nicht in Qualität und Wirksamkeit unterscheiden, sondern allein aufgrund eines Risikos der einen oder anderen Kategorie zugeteilt werden. Ich verstehe vor allem nicht die Krankenkassen, die ein ureigenes Interesse daran haben müssten, dies ihren Versicherten zu vermitteln. Selbstmedikation ist 100 Prozent Selbstbeteiligung. Jedem Patienten, den ich davon überzeuge, dass es hier eine Möglichkeit zu einer sinnhaften Selbstmedikation gibt, entlastet die Kasse. Mich wundert, dass die Kassen unter diesem Gesichtspunkt ihre Möglichkeiten der Patienteninformation nicht nutzen.

DAZ Wie sieht eigentlich die Industrie die Freigabe der OTC-Preise? War dies im Sinne der Industrie oder hätte man lieber weiterhin die Preisbindung gehabt?

Hoffmann: Geregelte Preise sind zwar ganz schön, aber wenn man für Wettbewerb im Markt ist, muss man sich mit der freien Preiskalkulation arrangieren. Problematisch wird es, wenn man aus Gründen des Wettbewerbs gleichzeitig andere Elemente des Wettbewerbs wie Rabatte reglementiert. Die Apotheker sind bisher noch eher zurückhaltend damit umgegangen, von einigen Ausnahmen abgesehen.

DAZ Bei all diesen Veränderungen im Markt – wo sehen Sie für den OTC-Markt in Deutschland die Zukunft?

Hoffmann: Natürlich gibt es eine Zukunft für den OTC-Markt. Das Krankenversicherungssystem wird weiterhin unter Geldmangel leiden. Und es gibt Krankheiten, Befindlichkeitsstörungen, bei denen ein Arztbesuch zu aufwendig wäre. Wobei aus meiner Sicht auch die Selbstmedikation auf der Basis einer ärztlichen Empfehlung eine normale und sinnvolle Sache ist.

DAZ Fehlen auf dem deutschen Selbstmedikationsmarkt neue Wirkstoffe? Sollten weitere Arzneistoffe aus der Verschreibungspflicht entlassen und in die Selbstmedikation überführt werden? Stichwort: mehr Switches?

Hoffmann: Man kann sich natürlich noch einige weitere Switches vorstellen. England geht auf diesem Gebiet besonders forsch voran und wird in der nächsten Zeit weitere Arzneistoffe aus der Verschreibungspflicht in die Selbstmedikation entlassen. Bei diesen Veränderungen ist es wichtig, dass der Patient die notwendigen Informationen hat. Die bekommt er von der Industrie aber auch insbesondere durch die Beratung des Apothekers und auch vom Arzt. Wenn der Arzt seine Arzneitherapie nur auf die Präparate beschränkt, die er zu Lasten der Krankenkasse verordnen kann, dann hat er meiner Meinung nach hier etwas missverstanden. Ein Arzt sollte unbedingt auch den Bereich der OTC-Arzneimittel mit einbeziehen. Hier sehe ich auch noch Zukunft für die Selbstmedikation. Möglicherweise wird die Industrie neue Produkte schaffen. Allerdings kommen hier einige in einen Grenzbereich zur Selbstmedikation, wenn nämlich die neuen Produkte in Richtung Nahrungsergänzungsmittel gehen. Diesen Weg geht die Industrie, wenn handfeste Belege, wie sie bei einer Arzneimittelzulassung gefordert werden, nicht zu erbringen sind oder der Aufwand dafür zu groß ist. Diese Schiene dürfte in Zukunft wachsen. Auch hier stellt sich die Frage, wie sich der Apotheker verhalten wird. Und ob der Gesetzgeber dem Apotheker nicht gestatten sollte, alle Produkte, die mit Gesundheit zu tun haben, in der Apotheke zu verkaufen.

DAZ Ein Blick in Richtung Europa: Viele OTC-Produkte wandern in europäischen Ländern bereits raus aus der Apotheke in den Supermarkt oder an die Tankstelle. Fürchten Sie eine solche Entwicklung auch für Deutschland oder stehen sie dem eher gelassen gegenüber?

Hoffmann: Wir halten die Marktvertriebsmöglichkeiten für OTC in Deutschland so, wie sie sind, für in Ordnung. Änderungsbedarf gibt es hier aus unserer Sicht nicht. Fakt ist allerdings auch, dass derzeit neue Strukturen diskutiert werden. Solche Fragen werden meist damit verknüpft, ob das Fremd- und Mehrbesitzverbot fällt. Meine Prognose geht in die Richtung, dass dieses Verbot auf europäischer Ebene wahrscheinlich beanstandet wird und es folglich abgeschafft werden wird. Das ist nicht der Wunsch der OTC-Industrie. Ich meine, es wird im Moment von allen Beteiligten zu wenig darüber nachgedacht, was denn wäre, wenn die derzeitige Situation nicht zu halten ist. Das ist meine Sorge. Man sollte verstärkt darüber nachdenken, was man erhalten kann. Wenn ich erkenne, dass eine Front nicht zu halten ist, muss ich sehen, wo ich eine Rückzugslinie aufbauen kann, hinter die ich mich begeben kann. Wenn ich mich schon vorn überrennen lasse, werde ich hinten nichts mehr gewinnen können. Die Apotheker müssten Ideen entwickeln, welche kleinen Besitzstände sie aufgeben könnten, um das, was ihnen wirklich wichtig ist, zu retten. Arzneimittel an Tankstellen brauchen wir in Deutschland nicht. Eine andere Frage aber wäre, ob die Apotheker nicht darüber nachdenken sollten, wie sie die Verfügbarkeit von Arzneimitteln, die Versorgung aus der Apotheke noch flexibler gestalten können, beispielsweise durch andere Öffnungszeiten oder Angebotsmöglichkeiten, so dass ein noch leichterer Zugang flächendeckend rund um die Uhr gewährleistet ist.

DAZ Das bringt mich zur letzten Frage: Was wünschen Sie sich als Vertreter der OTC-Industrie vom Apotheker? Setzt er sich ausreichend für OTC-Arzneimittel ein? Sollte er die OTCs noch stärker in den Vordergrund rücken? Sind Sie mit dem Einsatz des Apothekers für die Selbstmedikation zufrieden?

Hoffmann: Nein und ja. Die Beratungsleistung des Apothekers im Einzelfall ist meist gut. Andererseits könnten die Apotheker, im Gesamten betrachtet, hier noch mehr tun – bei der Beratung, bei der Präsentation. Ich denke, wenn der Apotheker im stillen Kämmerlein seine Situation analysiert, wird er zu der Überzeugung kommen, dass es noch Potenzial in diesen Bereichen gibt.

DAZ Herr Hoffmann, vielen Dank für das Gespräch.

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