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Pharmaziegeschichte
Carl von Linné (1707–1778) und die "klinische Prüfung"
Carl Linnaeus, als erstes Kind des Pfarrers von Stenbrohult (Småland) 1707 geboren, studierte, obwohl zum Theologen bestimmt, von 1727 bis 1728 Medizin in Lund, von 1728 bis 1734 in Uppsala. Während dieser Zeit unternahm er eine Forschungsreise nach Lappland (1732), auf der er auch Erfahrungen mit Volksarzneimitteln sammelte. Da der Erwerb des medizinischen Doktorgrades zu dieser Zeit in Schweden nicht möglich war, begab er sich 1735 an die kleine Universität Harderwijk in Holland. In seinem Reisegepäck befand sich neben seinem epochemachenden Werk "Systema naturae", in dem er u.a. das Pflanzenreich in 24 Klassen ordnete, seine Doktorarbeit über die verschiedenen Wechselfieber: "Hypothesis nova de febrium intermittentium causa". Zu deren Behandlung empfahl er neben Entleerungsmitteln (Abführ- und Brechmitteln) Bittermittel wie die Chinarinde und übelriechende Materien, wobei er sich bei der Chinarinde auf "alle medizinischen Verfasser" und beim Teufelsdreck (Asa foetida) auf Santorio Santorio (1561–1636) berief. Die Theorie des Johann Konrad Dippel (1673–1734), dass Wechselfieber die Folge einer Entzündung des Zwölffingerdarms seien, widerlegte er aufgrund eigener Beobachtungen bei einer Obduktion.
Linné als Marinearzt
1738 kehrte Linné nach Schweden zurück, eröffnete in Stockholm eine Arztpraxis und wurde rasch bekannt, weil er "junge Kavaliere" erfolgreich von der Gonorrhö heilte. Seinen Patienten aus den herrschenden Kreisen verdankte er, dass er am 15. Mai 1739 zum Arzt bei der Admiralität berufen wurde. Dieses Amt gab ihm – neben dem zusätzlichen Einkommen – reichlich Gelegenheit, in den Krankenbaracken der Flotte weitere medizinische Erfahrungen zu sammeln und Arzneimittel zu prüfen. Im Januar 1740 berichtete er einem französischen Kollegen, dass er die Erlaubnis erhalten habe, verstorbene Matrosen zu obduzieren, und deshalb die Frage nach der Ursache der Wechselfieber in einem Jahr beantworten werde. Der Optimismus des Briefes verdeutlicht, dass Linné den Obduktionen eine große Bedeutung für die Krankheitslehre beimaß und ähnliche Ziele verfolgte wie sein Zeitgenosse Giovanni Battista Morgagni (1682–1771). Dieser beschrieb in seinem Werk "De sedibus et causis morborum" (1761) die Ergebnisse von etwa 700 Obduktionen und demonstrierte als Erster klar den Zusammenhang zwischen klinischer Diagnostik und pathologischem Befund.
Arzneimittelprüfung am Menschen
Nachdem Linné 1741 zum Professor der Medizin in Uppsala berufen worden war, veröffentlichte er in dem Almanach für Uppsala von 1742 den Aufsatz "Des Professors der Medizin ... Herrn Doktor Carolus Linnaeus’ höchstnützliche Hauskuren für Wechselfieber". Darin beschrieb er die Wirkung von 28 damals gebräuchlichen Fiebermitteln, die er bei etwa 200 kranken Seeleuten geprüft hatte (Tab. 1). Die Liste zeigt, dass Linné in seiner Zeit anerkannte und ökonomische Fiebermittel angewendet hat.
Der Chinarinde, dem bekanntesten Mittel gegen Wechselfieber, ist die 1758 unter Linné verteidigte Dissertation "De Cortice Peruviano" gewidmet. Sie beginnt mit einer chemischen Untersuchung der "konstituierenden Bestandteile" der Chinarinde, den gummiartigen und harzigen Extrakten sowie dem essentiellen Salz (wässriger Trockenextrakt). Um zu zeigen, "wie die Rinde im lebenden menschlichen Körper wirkt", erklärt der Autor, "habe ich verschiedene Versuche … sowohl in meinem eigenen als auch in anderen Körpern eingerichtet und … die Veränderungen … schriftlich aufgezeichnet und beobachtet."
Für die Prüfungen, die einmal oder wiederholt durchgeführt wurden, wählte er
- gesunde, männliche Personen
- von unterschiedlichem Temperament
- im Alter von 12 bis 50 Jahren.
Die Prüfungen der Extrakte, von Pulver, essentiellem Salz und Dekokt erfolgten mit ansteigenden Dosen. Dabei wurden die Zeiten von der Aufnahme des Mittels bis zum Abklingen der sensorischen Wahrnehmungen (bitterer, zusammenziehender Geschmack, Vermehrung der Speichelsekretion) gemessen und notiert.
Erwachsenen-Dosis: 1 oder 1½ Skrupel = 1,25 oder 1,875 g, Kinder-Dosis: 15 Gran = 0,9 g). Die Verabreichung der höheren Dosen rief bei allen Teilnehmern stärkere Wirkungen hervor, die sich in einer Erschwerung der Atmung und Pulserhöhung äußerten. Der Autor schlussfolgerte, dass die Veränderungen, die das Arzneimittel an "Subjekten verschiedenen Alters und verschiedenen Zustandes" hervorruft, völlig dieselben sind, was aus heutiger Sicht schwer nachvollziehbar ist.
Prüfungen an Kranken beschreibt diese Dissertation nicht, doch werden darin die Heilwirkungen, die das Mittel beim Drei-Tage-Wechselfieber im Vorjahr gezeigt hatte, detailliert beschrieben.
Spekulation über das Wirkprinzip
Entgegen seiner Erwartung hatte Linné nur selten die Gelegenheit, an Wechselfieber verstorbene Patienten zu obduzieren, um so die Wirkung der Chinarinde aufzuklären. Aber er kannte und referierte die Versuche von Stephen Hales (1677–1761), der an einem frisch isolierten Hundedarm mit dem Dekokt der Chinarinde eine starke Kontraktion hervorgerufen hatte. Daraus schloss Linné: Wenn diese Wirkung auch in einem lebendigen Körper durch die Mischung mit dem Blut abgeschwächt wird, so wirkt die Chinarinde doch auf das Feste und Flüssige des Körpers ausgleichend und führt beide zu ihren natürlichen Funktionen zurück.
Zusammenfassend kann man Linné aufgrund seiner Studien über Arzneimittel als einen Wegbereiter der pharmakologischen Forschung ansehen, die sich im 19. Jahrhundert zunächst als experimentelle Pharmakologie, dann auch als klinische Pharmakologie an den Universitäten etablierte und die systematische Entwicklung neuer Arzneimittel ermöglicht hat.
LiteraturHövel, Gerlinde: "Qualitates vegetabilium", "vires medicamentorum" und "oeconomicus usus plantarum" bei Carl von Linné (1707–1778). Erste Versuche einer zielgerichteten Forschung nach Arznei- und Nutzpflanzen auf wissenschaftlicher Grundlage. Stuttgart 1999.
Danksagung: Frau Professor Dr. Irmgard Müller, Ruhr-Universität Bochum, sei für wertvolle Hinweise und Anregungen herzlich gedankt.Anschrift der Verfasserin: Dr. Gerlinde Hövel Breite Straße 42, 58452 WittenTab. 1: Die 28 Arzneimittel gegen Wechselfieber in Linnés Almanach-Aufsatz von 1742 | |
Arzneimittelname im Original* |
Ergebnis** |
China bark (Chinarinde, als Pulver, Mus, Tropfen, Pillen, Dekokt) |
I |
Malört (Wermut) |
I |
Gråbo (Beifuß) |
I |
Gentian |
I |
Centaurium minus |
I |
Flores Chamomillae |
I |
Scabiosa africana frutescens |
I |
Libbesticke-rot, blad, frön [Radices, Semen Levistici] (u. Blatt) |
I |
Coriander frö [Semen Coriandri] |
I |
Cumin [Semen Carvi] |
I |
Syrenträd (Syringa vulgaris) |
I |
Album graecum ... med Canel (weißer Hundekot mit Zimt) |
I |
Muslortar … med Spinnelwäf (Mäusekot mit Spinnweben) |
– |
Dyfwelsträck [Gummi s: Resina Asae Foetidae] |
I |
Bäfwergiäl [Castoreum optimum] |
I |
Oleum Cornu cervi (Destillat aus Hirschhorn) |
IO |
Gummi Gutta ... Swafwel rök = Turkiska methoden [Gummi Guttae] (mit Schwefel imprägniert) |
I+
|
Siurygg fisk, Cyclopterus Artedi (Seehase, Lumpfisch) |
– |
Martialia ("Sauerbrunnen", "Stahlwein") |
I |
Unguentum martiatum |
– |
Rötter af spitsige Groblad, Plantago lanceolata (Wurzeln) |
O |
Sperma ceti [Wallrat] |
I |
Cusinta, eller Nätslesilke … på Humble, Lijn, Nätslor &c. (Cuscuta europaea auf Hopfen, Lein, Nesseln etc.) |
IO |
Flores salis armoniaci martiales (eisenhaltige Salmiakblüte) |
I |
Mercurius dulcis (Quecksilber(I)-chlorid, Kalomel) |
I |
Swehlört, Chelidonium majus (Saft) |
I++
|
Theriaca diatesseron och Andromachi |
I |
Orsten, Lapis suillus (bituminöser Kalkstein) |
I |
* Bezeichnungen der Taxa Stockholm 1741 in [ ], Erläuterungen und Zubereitungen in () ** Die Ergebnisse sind gemäß "Pan suecicus" (1749) gekennzeichnet: I = positiv, O = negativ, IO = teils positiv, teils negativ, – = fragliches und nicht geprüftes Mittel + nur für grobes Volk ++ nur bei armem Volk geprüft |
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