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Gemeinschaftsrecht
EuGH-Generalanwältin: Knoblauch-Kapseln sind keine Arzneimittel
LUXEMBURG/BERLIN (ks). Der Europäische Gerichtshof (EuGH) könnte den deutschen OTC-Markt schon bald erheblich aufmischen. In einem Verfahren der Europäischen Kommission gegen die Bundesrepublik Deutschland um die Einstufung eines thailändischen Knoblauchpräparats als Arzneimittel hat nun Verica Trstenjak, Generalanwältin beim EuGH, ihre Schlussanträge gestellt. Darin führt sie aus, dass die von der thailändischen Firma Piddimax hergestellten "Knoblauch-Extrakt-Pulver-Kapseln" nicht unter den gemeinschaftsrechtlichen Arzneimittelbegriff fallen. Das letzte Wort haben nun die Richter.
Ausgangspunkt des Verfahrens war ein Antrag des Herstellers an das Bundesgesundheitsministerium, ihm eine Allgemeinverfügung für die Einfuhr und den Vertrieb seiner Knoblauchkapseln nach dem Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz zu erteilen. Das Ministerium lehnte diesen mit dem Hinweis ab, bei dem fraglichen Präparat handele es sich nicht um ein Lebensmittel, sondern um ein Arzneimittel. Im Juni 2001 erhielt die Bundesrepublik deshalb ein Mahnschreiben der Kommission, die durch den ablehnenden Bescheid die Grundsätze des freien Warenverkehrs verletzt sah. Im Dezember 2002 forderte die Kommission Deutschland auf, die Verwaltungspraxis abzustellen, nach der Erzeugnisse, die aus getrocknetem pulverisierten Knoblauch bestehen und die erkennbar nicht als Arzneimittel gekennzeichnet sind, als Arzneimittel zu behandeln. Knapp fünf Jahre später steht die Entscheidung der Luxemburger Richter über diesen Fall ins Haus. Folgen sie der Argumentation der Generalanwältin, wird die Kommission Recht behalten.
In ihrem ausführlichen Votum vom 21. Juni führt die Generalanwältin aus, dass in Kapseln abgefüllte Knoblauchpräparate nicht zwangsläufig Arzneimittel im Sinne von Art. 1 Nr. 2 der EG-Richtlinie 2001/83/EG seien. Sie betont, dass die dort gegebene Definition des Arzneimittels abschließend und vollständig harmonisiert sei. Die Mitgliedstaaten seien damit bei der Einstufung von Arzneimitteln an diese Definition gebunden. Im vorliegenden Fall spreche einiges dafür, dass das Ministerium die fraglichen Knoblauchkapseln zu Unrecht als Arzneimittel eingestuft hat. Nach der Richtlinie 2001/83/EG besteht die Definition des Arzneimittels aus zwei Teilen: Es gibt Arzneimittel nach der Bezeichnung (das "als Mittel zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten bezeichnet wird") und nach der Funktion (das "dazu bestimmt ist, im oder am menschlichen Körper zur Erstellung einer ärztlichen Diagnose oder zur Wiederherstellung, Besserung oder Beeinflussung der menschlichen physiologischen Funktionen angewandt zu werden"). Die Generalanwältin plädiert für eine einschränkende Auslegung des Begriffs. Der Begriff "Arzneimittel" verlöre seine Unterscheidungskraft, wenn darunter Produkte subsumiert würden, die nach Beschaffenheit und Wirkung nicht als solche einzustufen seien. Zudem ginge eine "schleichende" Ausweitung des Arzneimittelbegriffs auf Produkte, die nicht dazugehörten, zu Lasten des freien Warenverkehrs.
Kapselform nicht arzneispezifisch
Aus Sicht der Generalanwältin fallen die Knoblauchkapseln weder unter die eine noch unter die andere Definition. Für die Einstufung als Arzneimittel nach der Bezeichnung sei entscheidend, ob das Produkt ausdrücklich als Arzneimittel bezeichnet werde oder ob beim Verbraucher der Eindruck entstehe, dass dieses Erzeugnis in Anbetracht seiner Aufmachung die betreffenden Eigenschaften als Arzneimittel haben müsse (erkennbare Zweckbestimmung). Abgesehen von der Kapselform, in der das Knoblauchpräparat vertrieben wird, spreche nichts für die Einordnung als Arzneimittel nach der Bezeichnung, heißt es im Votum. Und allein dies könne keinen Ausschlag für die Einstufung geben. Dabei sei zu beachten, dass die Darreichungsform als Kapsel für eine eventuelle Qualifizierung als Arznei-
mittel an Bedeutung verloren haben dürfte, da heutzutage auch zahlreiche Nahrungsergänzungsmittel und diätetische Lebensmittel in typischen Arzneiformen angeboten werden. Der durchschnittlich informierte Verbraucher sei mittlerweile daran gewöhnt, dass die Kapselform nicht länger als arzneispezifisch gelte.
Kein Mehrwert gegenüber Knoblauch in natürlicher Form
Auch als Funktionsarzneimittel kann die Generalanwältin die Knoblauchkapseln nicht erkennen. Maßgebliche Kriterien hierfür sind nach der Rechtsprechung des EuGH die Zusammensetzung des Produktes, die pharmakologischen Eigenschaften, die Art und Weise des Gebrauchs, der Umfang seiner Verbreitung, die Bekanntheit beim Verbraucher und die Gefahren, mit denen sein Gebrauch behaftet ist. Vorliegend komme dem Kriterium der pharmakologischen Eigenschaften entscheidende Bedeutung zu. Aus Sicht der Generalanwältin sollten nur Erzeugnisse mit wissenschaftlich feststellbaren pharmakologischen Eigenschaften unter die Definition des Funktionsarzneimittels fallen dürfen. Lediglich ernährungsphysiologische Wirkungen hält sie für nicht ausreichend. Vielmehr müsse das Präparat gegenüber seiner natürlichen Form – hier dem Knoblauch – einen Mehrwert be-
sitzen. Diesen kann die Generalanwältin jedoch nicht erkennen. Das streitige Präparat sei nicht mehr als ein Konzentrat des natürlichen Wirkstoffs Allicin, dessen physiologische Wirkungen einfach durch eine höhere Einnahme des Nahrungsmittels Knoblauch erzielt werden könnten. Das Argument der deutschen Regierung, Knoblauchpräparate könnten der Arteriosklerose vorbeugen, erscheint der Generalanwältin nicht schlüssig genug. Auch das Vorbringen, wonach sich in Deutschland eine Verkehrsauffassung für hochkonzentrierte Knoblauchpräparate herausgebildet habe, weist die Generalanwältin als zu pauschal zurück. Abschließend kommt sie somit zu dem Ergebnis, die deutsche Regierung habe nicht den Nachweis dafür erbracht, dass die Erteilung einer Verkehrsgenehmigung für das betreffende Knoblauchpräparat als Arzneimittel zum Schutze der öffentlichen Gesundheit erforderlich ist. Damit habe sie den freien Warenverkehr in unzulässiger Weise beschränkt.
BAH: Arzneimittelbegriff nicht einseitig verwässern
Das letzte Wort haben nun die Richter des EuGH. Ihr Urteil ist in den kommenden drei bis sechst Monaten zu erwarten. Zumeist folgt der Gerichtshof den Voten der Generalanwälte – doch dies ist nicht zwingend (anders war es beispielsweise, als das deutsche Arzneimittelversandhandelsverbot auf dem Prüfstand stand).
Der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) verwies darauf, dass das Urteil unmittelbar nur das streitgegenständliche Präparat der Firma Piddimax betreffe. Selbst wenn der EuGH dessen Arzneimitteleigenschaft verneine, seien bestehende Arzneimittelzulassungen für identische oder ähnlich zusammengesetzte Knoblauchprodukte in Deutschland hiervon nicht betroffen. Allerdings, so der BAH, wären dann nicht nur ausländische, sondern auch deutsche Knoblauchpräparate als Nichtarzneimittel ohne arzneimittelrechtliche Zulassung verkehrsfähig. Dann könnten große Lebensmittelhersteller zu einer neuen Konkurrenz für kleinere deutsche Arzneimittelhersteller werden. Doch ob ein Urteil des EuGH auch Auswirkungen auf andere Präparategruppen aus dem Grenzbereich Lebensmittel/Arzneimittel hat, die als Arzneimittel eingestuft sind, müsse abgewartet werden. Der BAH kündigte an, sich gegenüber der Politik und den Zulassungs- und Aufsichtsbehörden dafür einzusetzen, dass der Arzneimittelbegriff und die klare Abgrenzung von Arzneimitteln zu anderen Produkten nicht einseitig verwässert werden. Dies sei auch aus Gründen des Verbraucherschutzes und der Wettbewerbsfähigkeit von Arzneimittel-Herstellern gegenüber anderen Wirtschaftsbranchen notwendig.
RA Kirsten Sucker-Sket, Berlin
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