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- DAZ 27/2007
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Seite 3
Der Kardinalfehler
Die Meldungen häufen sich: Fast monatlich warnt das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte die Bevölkerung vor neuen Arzneimittelfälschungen, die per Internetapotheken vertrieben werden. Immer wieder kann das Arzneimittelinstitut auf Publikationen verweisen (zum Beispiel die Propecia-Untersuchung des Zentrallabors Deutscher Apotheker), in denen Internetangebote von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln systematisch untersucht und als Fälschung identifiziert wurden. Ganz abgesehen davon, dass diese verschreibungspflichtigen Arzneimittel ohne Vorlage eines Rezepts versandt worden waren. Die Fälschungen enthalten keinen Wirkstoff, den Wirkstoff in geringer Menge, von minderer Qualität oder in Mischung mit anderen kaum identifizierbaren Stoffen.
Das Amt greift auch Meldungen der US-amerikanischen Zulassungsbehörde FDA auf, die vor unseriösen Internetangeboten warnt. Beispielsweise wies die Behörde auf Internetangebote von Schlaf- und Beruhigungsmitteln hin, die mit hochpotenten Neuroleptika wie Haloperidol verunreinigt waren. Es spricht vieles dafür, dass Arzneimittelfälschungen in Zukunft zunehmen werden. Denn in Ländern, in denen solche Fälschungen vorgenommen werden, gelten diese Taten nicht als schwere Vergehen. Arzneimittelfälscher werden in diesen Ländern nur gering und milde bestraft, während Handel und Vertrieb mit Rauschgiften dort sehr hart bestraft werden. Kein Wunder, wenn die Kriminellen sich lieber mit Arzneifälschungen befassen: geringere Strafen, weniger Gefahren entdeckt zu werden und hohe Gewinne.
Schlagzeilen machte unlängst die Meldung aus den USA, wonach die große Mehrheit (87%) der insgesamt 187 Internetapotheken, die auf den US-amerikanischen Markt abzielen, verschreibungspflichtige Arzneimittel anbieten und liefern, ohne jemals ein Rezept hierfür erhalten zu haben. Es ließen sich noch zahlreiche weitere Beispiele anführen, die belegen, dass es mit der Sicherheit des Versands von Arzneimitteln aus Internetapotheken nicht weit her ist und größte Gefahren für Leben und Gesundheit der Bevölkerung davon ausgehen.
Jetzt könnte man meinen, dass Sicherheit beim Arzneimittelversand in erster Linie ein Problem der ausländischen Versandapotheken sei. Weit gefehlt. In diesem Heft veröffentlichen wir eine Untersuchung von Professor Schweim, die belegt, dass es im Internet-Versandhandel mit Arzneimitteln praktisch keine Sicherheit gibt – selbst bei inländischen Versandapotheken nicht. Anhand von selbst durchgeführten Manipulationen konnte er – für wissenschaftliche Zwecke – zeigen, wie leicht es für Hacker ist, Internetseiten von Versandapotheken zu imitieren, zu fälschen. Bis hin zur Fälschung von Zertifikaten und Erlaubnisurkunden und Siegeln: Personen mit ausreichend krimineller Energie können die Seiten so manipulieren, dass nicht nur Laien darauf hereinfallen.
Sein Fazit, dem ich mich vorbehaltlos anschließe, ist eindeutig: Die Öffnung des legalen Internethandels durch die Bundesregierung war ein Kardinalfehler. "Wir hatten vor Frau Schmidt das beste und sicherste System der Welt", so Schweim, "aber die Verantwortlichen und ihre Berater glaubten ja im tiefen Inneren, die bewährte deutsche Distributionskette über öffentliche Apotheken aus Kostengründen zerstören zu müssen."
Für vermeintliche Kosteneinsparungen, für einen Pseudowettbewerb im Gesundheitswesen hat das Bundesgesundheitsministerium seinerzeit den Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln geöffnet – und trieb über Werbung für den Versandhandel die Patienten ins Internet, damit sie bei Online-Apotheken ihre Arzneimittel bestellen. Die Bundesregierung setzt damit die Gesundheit der Bürger und die Sicherheit im Arzneimittelverkehr aufs Spiel. Mit den wachsenden Gefahren – Arzneimittelfälschungen und dubiose Internetapotheken – werden die Patienten alleine gelassen. Eine kompetente Internetüberwachungsbehörde aber, die das Angebot systematisch nach schwarzen Schafen durchkämmt und permanent davor warnt, hat die Regierung nicht installiert. Der Verbraucher kann nicht unterscheiden und – wie der Beitrag zeigt – erkennen, ob es sich um eine legale Internetapotheke handelt. Die Seiten lassen sich fälschen.
Vielleicht kann dieser Beitrag einige Politiker wachrütteln und die Gefahren vor Augen führen. Und vielleicht trägt dieser Beitrag dazu bei, die geplante Bundesratsinitiative zu unterstützen, den Internethandel mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln wieder zu verbieten.
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