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- DAZ 47/2007
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Arzneimittel und Therapie
12. Socratec-Expertengespräch
Visionen für eine optimierte Opioidtherapie
Wie kann Patienten mit chronischen Schmerzen am besten geholfen werden? Was können die heute schon zur Verfügung stehenden Opioid-Arzneimittel leisten, was ist noch zu optimieren? Um diese Fragen zu klären, hatte Prof. Dr. Henning Blume, Geschäftsführer der Socratec R&D GmbH Oberursel, hochkarätige Experten am 7. November 2007 nach Frankfurt zum 12. SocraTec-Gespräch im Zentrum eingeladen. Im Focus stand die Therapie mit oral zu applizierenden retardierten Opioiden.
Die Ziele, die eine Schmerztherapie verfolgen soll, können aus ärztlicher und aus Patientensicht durchaus unterschiedlicher Natur sein. Das unterstrich der Einführungsvortrag von Privatdozent Dr. Rainer Sabatowski, Dresden, und die anschließend geführte Diskussion.
Neben der Reduzierung der Schmerzen ist es aus ärztlicher Sicht vor allen Dingen erstrebenswert, auch weitere Begleitsymptome, wie Schlafstörungen, zu reduzieren. Ein weiterer wesentlicher Aspekt ist die Verbesserung der körperlichen Funktion.
Aus ärztlicher Sicht hat die Therapie beispielsweise dann ihr Ziel erreicht, wenn damit eine Arbeitsfähigkeit wiederhergestellt werden kann. Auch Patienten wünschen sich neben der Reduktion von Schmerzen eine Verbesserung der körperlichen und emotionalen Funktion. Was als Verbesserung von Lebensqualität und Lebensfreude ("back-to-work" oder schon die Verbesserung der Schlafqualität, ohne begleitende klinisch relevante Verbesserung der körperlichen Aktivität) anzusehen ist, werden Ärzte anders definieren als Patienten. Ganz entscheidend bei der Umsetzung einer medikamentösen Schmerztherapie ist eine einfache Handhabung der Schmerzmittel, die die Compliance verbessert und somit als Grundvoraussetzung der Erreichung der zuvor gemeinsam von Arzt und Patient festgelegten Ziele zu betrachten ist.
Doch der Zielkriterienkatalog muss auch sozioökonomische und damit Kostenaspekte berücksichtigen. Konsens bestand, dass in der Regel eine alleinige Pharmakotherapie die Probleme chronisch Schmerzkranker nicht lösen kann, sondern immer in ein multimodales und individuell abgestimmtes Konzept eingebettet sein muss. Dies gilt ganz besonders bei Schmerzerkrankungen, die überwiegend auf psychische Faktoren zurückzuführen sind, wie beispielsweise somatoforme Schmerzstörungen oder Schmerzerkrankungen mit ausgeprägten (reaktiven) Begleitdepressionen. Hier sind andere Strategien gefragt. Psychotherapeutische Maßnahmen sind ebenso wie physikalisch-therapeutische (aktivierende) Strategien ein unverzichtbarer Bestandteil einer optimierten Schmerztherapie.
Chronoadjustiert oder "the flatter, the better"?
Diskutiert wird seit Langem, ob chronische Schmerzen wie Tumorschmerzen mit einem annähernd konstanten Analgetikaspiegel nach dem Slogan "the flatter, the better" in Schach gehalten werden sollen oder die Schmerzmittel angepasst an den Schmerzverlauf, also chronoadjustiert, gegeben werden sollen. Dazu muss zunächst geklärt werden, wie regelmäßig und kalkulierbar Schmerzspitzen auftreten. Der Pharmakologe Dr. Kuno Güttler, Köln, veranschaulichte, dass Durchbruchschmerzen beispielsweise bei Tumorpatienten meist nicht vorhersagbar sind. Durchbruchschmerzen lassen sich einteilen in
- spontan auftretende Schmerzen,
- Schmerzen, die unter Belastung auftreten können und in
- sogenannte "End-of-Dose-Failure"-Schmerzen.
Spontanschmerzen können in unterschiedlicher Frequenz unabhängig von der Tageszeit auftreten, eine chronoadjustierte Therapie ist also nicht möglich. Selbst durch Belastung auslösbare Schmerzen sind nicht immer vorhersagbar, so Güttler, denn sie können, müssen aber nicht jedes Mal unter der Belastung auftreten.
"End-of-dose-Failure"- Schmerzen vermeidbar
"End-of-Dose-Failure"-Schmerzen sollten jedoch bei der Anwendung retardierter Opioide mit entsprechender Galenik zu vermeiden sein. Ein entscheidendes Kriterium ist laut Güttler die Halbwertsdauer (HVD = half value duration) des retardierten Opioids. Die Halbwertsdauer gibt den Zeitraum an, in dem die Plasmakonzentration über der halbmaximalen Konzentration (1/2 Cmax) liegt. Sie ist neben der Bioverfügbarkeit ein wichtiger Parameter zur Charakterisierung von Retardpräparaten. Bei retardierten Morphinpräparaten bestehen laut Güttler große Unterschiede in der HVD. Retardpräparate, die zur Einnahme bis zu dreimal täglich angeboten werden und nur eine HVD von fünf Stunden haben, werden, so Güttler, eher zu End-of-Dose-Schmerzen führen als solche mit einer HVD von acht oder neun Stunden.
Schnelles Anfluten birgtNebenwirkungsgefahr
Von entscheidender Bedeutung ist auch die Anflutungsgeschwindigkeit der retardierten Opioide. Nebenwirkungen werden in dem Zeitraum am ausgeprägtesten sein, in dem maximale Plasmaspiegel vorliegen. Prof. Dr. Friedemann Nauck, Direktor der Abteilung Palliativmedizin am Bereich Humanmedizin der Universität Göttingen, empfiehlt daher für seine Palliativpatienten bei einigen retardierten Opioiden die morgendliche Gabe auf 10.00 Uhr zu legen. Die zu erwartende Müdigkeit wird dann in der Zeit auftreten, in der der Patient sowieso einen Mittagsschlaf macht.
Eine retardierte Arzneiform sollte dosiergenau sein, den Wirkungseintritt und die Wirkungsdauer zuverlässig garantieren. Der Plasmaspiegel zeigt im optimalen Fall einen flachen Verlauf. Keinesfalls sollte der Arzneistoff schlagartig aus der Retardform freigesetzt werden, es sollte also unter der Therapie kein Dose-Dumping auftreten.
Retardiertes Opioid einmal täglich wünschenswert?
Der pharmazeutische Technologe Prof. Werner Weitschies, Greifswald, beteuerte, dass aus Sicht der Galenik dies alles zu leisten ist. Zurzeit werden die retardierten Opioide in der Regel zweimal täglich gegeben. Sollte der Wunsch nach einem nur einmal täglich einzunehmenden Opioid bestehen, so ist das nach Ansicht Weitschies von technologischer Seite her kein Problem. Am Beispiel Amoxicillin und Clavulansäure machte er jedoch deutlich, dass bei den klassischen erodierenden Matrix-Retardformen – auch bei den meisten handelsüblichen retardierten Opioiden handelt es sich um erodierende Matrix-Formen – die Transportzeit, die für die Weiterleitung des Arzneistoffs aus dem Magen in den Darm benötigt wird, darüber entscheidet, wann und in welchem Ausmaß der Arzneistoff in die Blutbahn gelangt. Und hier gibt es große individuelle Unterschiede. Klassische Retardformen sollten nach Weitschies zu Beginn einer Mahlzeit eingenommen werden. Gesucht sind galenische Systeme, die eine verzögerte Freisetzung unabhängig von der Nahrungsaufnahme und gleichbleibend hohe Plasmaspiegel garantieren. Mit dieser Intention wurde das OROS-System (Oral Release Osmotic System) entwickelt.
Einigkeit bestand, dass ein optimiertes retardiertes Opioidarzneimittel zur Vermeidung von Nebenwirkungen und Kick-Phänomenen keinesfalls schnell anfluten sollte und der Plasmaspiegel ebenso wenig zur Vermeidung von End-of-Dose-Failure-Phänomenen bis zur nächsten Einnahme unter den Wirkspiegel absinken sollte. Gleichmäßige Plasmaspiegel nach dem Motto "the flatter, the better" sind das Ziel. Dabei scheint es aus Sicht der Schmerztherapeuten unerheblich zu sein, ob dieses Ziel mit einer einmal, zweimal oder dreimal täglichen Einnahme erreicht wird.
Für den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) ist es entscheidend, welche Vorteile ein Patient aus der Arzneiform zieht. Vor diesem Hintergrund hat er, so Dr. Jürgen Bausch, Mitglied im Unterausschuss Arzneimittel im G-BA, bei der Festsetzung der Festbeträge retardierte Opioide in einer Gruppe, Pflaster in einer anderen Gruppe zusammengefasst. Ein nur einmal zu verabreichendes orales Opioid wird nach Ansicht Bauschs wie die anderen retardierten Opioide zu behandeln sein. Er wollte einem potenziellen Hersteller keine Hoffnungen machen, dass er mit einem solchen Präparat den Markt aufrollen könne. Diese Position des Bundesausschusses fand im Expertengremium kein Verständnis. Wenn man sich das Wohl des Patienten auf die Fahne schreibe, dann dürfe man nicht akzeptieren, dass ein Produkt, mit dem man relativ gleichmäßige Spiegel erhalten kann, durch ein anderes ersetzt wird, bei dem große Schwankungen erwartet werden müssten. Insofern, so das Fazit der Experten, sei es auch nicht sachgerecht, biopharmazeutisch prinzipiell unterschiedliche Produkte, wie OROS und Matrixtabletten, in eine Festbetragsgruppe einzuordnen und dadurch ihre Substitution zu empfehlen. du
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