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Wissenswert
Arzneistoffgeschichte
Diamorphin – Ironie eines Arzneistoff-Schicksals
Der Deutsche Bundestag berät derzeit über die kontrollierte Abgabe von "synthetischem Heroin" an Schwerstabhängige. Wissen unsere Volksvertreter eigentlich auch, von welchem Wirkstoff sie reden?
Diamorphin ist die übliche Kurzbezeichnung für Diacetylmorphin, besser bekannt unter dem Markennamen Heroin® .
Das erstmals von Friedrich Wilhelm Sertürner (1783–1841) als Gehilfe in der Cramer’schen Hofapotheke 1804 in Paderborn aus Opium isolierte und als dessen Hauptalkaloid erkannte Morphin ist eine amphotere Verbindung, die über eine basisch reagierende tertiäre Aminogruppe und eine sauer reagierende phenolische OH-Gruppe verfügt und somit unter Salzbildung sowohl in Säuren als auch in Laugen löslich ist. Es lässt sich daher weder aus saurer noch aus alkalischer wässriger Lösung mit einem organischen Lösemittel ausschütteln.
Dagegen ist beispielsweise Codein, der Methylether und ein Nebenalkaloid des Morphins, eine basisch reagierende Verbindung, der die freie phenolische und damit saure Funktion infolge der Veretherung fehlt.
Wird sowohl die alkoholische als auch die phenolische OH-Gruppe des Morphins acetyliert, was durch Erhitzen mit Acetanhydrid leicht zu erreichen ist und auch von Laien erfolgreich durchgeführt werden kann, so entsteht das basisch reagierende, gut kristallisierende, lipophile, leicht resorbierbare Diacetylmorphin, dessen analgetische Wirkung nach peroraler Verabreichung deutlich stärker ist als die Morphinwirkung. Auch nach i. v. Applikation ist die maximale Wirkstärke zwei- bis viermal größer als die des Morphins. Heroin verfügt über eine hohe Membranlipidlöslichkeit und überwindet – im Gegensatz zum Morphin – schnell die Blut-Hirn-Schranke, was wesentlich zur raschen Erzeugung eines Rauschzustandes beiträgt.
Von "synthetischem Heroin" zu sprechen ist Unsinn, denn Heroin ist kein natives Opiat und kann daher nur halbsynthetisch aus Opium oder anderen Morphinabkömmlingen gewonnen werden.
Verbesserung durch Acetylierung
Die Acetylierung eines Arzneistoffs, der über eine alkoholische oder eine phenolische OH-Gruppe respektive eine NH-Funktion verfügt, ist eine oft praktizierte Methode zur Verminderung der Toxizität.
Man denke zum Beispiel an Phenacetin oder Paracetamol als entgiftete Parahydroxy-aniline oder an die Acetylsalicylsäure (ASS). Durch die Acetylierung der nativen Salicylsäure an der phenolischen OH-Gruppe erreichte man nicht nur eine bessere Magenverträglichkeit, sondern auch eine stärkere analgetische, antipyretische und entzündungshemmende Wirkung. Noch bedeutungsvoller ist die thrombozytenaggregationshemmende Wirkung der ASS, die bei der Salicylsäure nicht zu beobachten ist. Sie inaktiviert die Cyclooxygenase-1 (COX-1) durch irreversible Acetylierung des Serinrestes in Position 529. Die COX-1 katalysiert die Bildung der Prostaglandin-Endoperoxide in den Endothelzellen der Herzgefäße, die nachfolgend in das Blutgerinnungs-fördernde Thromboxan A2 umgewandelt werden.
Ausnahme von der Regel
Völlig verschieden liegen die Verhältnisse beim Heroin. Hier kann man von einer Ironie des Schicksals sprechen, da durch die Acetylierung des Morphins dessen Toxizität nicht gemindert, sondern potenziert wird.
Maliziös mutet es heute an, dass die Firma Bayer das Heroin® 1898 als oral einzunehmendes Schmerz- und Hustenmittel auf den Markt brachte und als "nicht süchtigmachendes Medikament" gegen die Entzugssymptome des Morphins bewarb. Erst 1904 erkannte man, dass Heroin rasch zu Gewöhnung und Abhängigkeit führt. 1931 entfernte Bayer es aus seinem Arzneimittelangebot. Das Verkaufsverbot in Deutschland erfolgte erst 1971. Offizinell war Heroin in der 5. und 6. Ausgabe des Deutschen Arzneibuchs (1910 bis 1967). Wenn es wieder zur Behandlung Schwerstabhängiger zugelassen würde, was begründet erscheint, hätte es wieder den Status eines offizinellen Arzneistoffs.
Was bedeutet der Name?
Fragen wir nach der Ableitung des Namens Heroin, so ergeben sich verschiedene Meinungen, aber keine eindeutige Quelle. Das Herkunftswörterbuch des Duden meint, der Name des Rauschgiftes sei eine "gelehrte Bildung" des 20. Jahrhunderts, abgeleitet von gr. ηρος (heros) = Held. Im Kluge-Götze (Etymologisches Wörterbuch der Deutschen Sprache) ist zu lesen: "Neubildung aus gr. ηροιος (heroios) ‚heldenhaft‘ in der späteren Bedeutung ‚stark‘, einer Ableitung von gr. ηρος (heros), mit dem fachsprachlichen Suffix -in. Gemeint ist ein besonders stark wirkendes Arzneimittel." (Anmerkung des Verfassers: Der Unterschied zwischen Arzneistoff und Arzneimittel scheint dem Bearbeiter des Kluge nicht bekannt zu sein). Das 33-bändige Deutsche Wörterbuch der Gebrüder Grimm kennt das Wort Heroin verständlicherweise nicht, aber man findet dort die Formulierung "der arzt wendet heroische mittel an, um eine krankheit zu brechen". Und zu guter Letzt enthält ein Wörterbuch der Deutschen Sprache, das aus Gütersloh stammt, die Information "die Herkunft des Wortes ist nicht sicher; es soll vom griech. heros Held abgeleitet sein, vielleicht wegen der das Selbstwertgefühl erhöhenden Wirkung".
Prof. Dr. Dr. h. c. Hermann J. Rothinfo@h-roth-kunst.com
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