DAZ aktuell

EU-Verordnung zu Kinderarzneimitteln

Studien mit Kindern für Kinder

(du). Am 26. Januar ist die neue EU-Verordnung zu Kinderarzneimitteln in Kraft getreten. Sie macht die Durchführung von Kinderstudien zur Zulassungsvoraussetzung und soll die Arzneimitteltherapie bei Kindern sicherer machen (siehe auch S. 50). Ein Label auf jeder Packung wird in Zukunft sofort zeigen, ob und für welche Altersgruppe das Arzneimittel zugelassen ist. Über Chancen, aber auch über Probleme der neuen Verordnung haben wir mit Dr. Andreas Franken vom Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH), Bonn, gesprochen.

DAZ In Zukunft soll mit Hilfe einer speziellen Kennzeichnung sofort auf jeder Arzneimittelpackung ersichtlich sein, ob das Präparat für Kinder zugelassen ist. Wie soll diese Kennzeichnung aussehen?

Franken: Ein Symbol hierfür gibt es noch nicht. Der Zeitplan sieht so aus, dass zunächst in den nächsten sechs Monaten der für die Kinderarzneimittel zuständige Ausschuss bei der europäischen Arzneimittel-Zulassungsbehörde (EMEA) einberufen wird. Er wird nach seiner Konstituierung im folgenden halben Jahr der EU-Kommission ein Symbol vorschlagen, das diese dann beschließen wird. Die pharmazeutischen Unternehmer haben danach zwei Jahre Zeit, ihre Packungen und Packungsbeilagen entsprechend anzupassen. Vom heutigen Zeitpunkt an gerechnet müssen dann spätestens in drei Jahren alle Packungen, die in den Verkauf kommen, mit dem entsprechenden Symbol versehen sein.

DAZ Die neue EU-Verordnung macht die Durchführung von Studien mit Kindern zur Zulassungsvoraussetzung. Was bedeutet das konkret?

Franken: Ein pharmazeutischer Unternehmer, der ein neues Arzneimittel auf den Markt bringen will oder aber auch nur die Indikation eines schon zugelassenen Arzneimittels, das noch mit Patent oder erweitertem Schutzzertifikat geschützt ist, erweitern möchte, muss mit den Zulassungsunterlagen entweder schon die Ergebnisse von Kinderstudien vorlegen oder eine verpflichtende Vorlage einreichen, aus der ersichtlich ist, wann und wie die notwendigen Studien für eine Anwendung bei Kindern durchgeführt werden sollen. Nur unter diesen Voraussetzungen kann eine Zulassung für ein neues Arzneimittel oder für eine Indikationserweiterung erteilt werden. Plant der Hersteller eine Indikationserweiterung bei einem Arzneimittel, dann muss er ein Konzept für die Durchführung von Kinderstudien nicht nur für die neue Indikation, sondern für alle schon erteilten Indikationen vorlegen. Das Prüfkonzept legt nicht nur die zeitliche Abfolge der durchzuführenden Studien mit Kindern fest und muss von dem EU-Ausschuss für Kinderarzneimittel genehmigt werden, sondern beschreibt auch, in welchen der fünf Altersgruppen die Forschung betrieben werden soll. Kommt der Unternehmer den Vorgaben nicht nach, dann sind neben der Veröffentlichung des Verstoßes unter Nennung des Namens zusätzlich Strafmaßnahmen vorgesehen, die wiederum noch von der EU festgelegt werden.

DAZ Die Zulassung eines Arzneistoffs für Kinder wird nicht generell für alle Kinder von 0 bis 18 Jahren erteilt werden. Vorgesehen sind, Sie haben es schon erwähnt, fünf Altersstufen. Was bedeutet das für das Prüfkonzept?

Franken: Nach Abschluss der pharmakokinetischen Untersuchungen bei Erwachsenen soll bereits das pädiatrische Prüfkonzept vorgelegt werden. In der Regel wird man jedoch größere Studien mit Erwachsenen (Phasen II und III) abwarten, um ausreichend Daten zur Arzneimittelsicherheit zu bekommen. Dann erst sollte man die ersten Studien mit 12- bis 17-jährigen Kindern durchführen und mit diesen Erfahrungen dann schrittweise nacheinander das Arzneimittel bei zwei- bis elfjährigen Kindern, Kleinkindern, Säuglingen, Neu- und Frühgeborenen untersuchen. Die Ergebnisse in jeder Altersklasse sind offen zu legen. Alles natürlich unter der Prämisse, dass eine Entwicklung für die jeweilige Altersgruppe überhaupt Sinn macht.

DAZ Das ist aufwendig und kostenintensiv. Welche Möglichkeiten hat ein Hersteller, die vorgeschriebenen Studien mit Kindern zu umgehen?

Franken: Jeder Hersteller muss, wenn er keine Studien mit Kindern durchführen möchte, dies eingehend begründen. Der EU-Ausschuss für Kinderarzneimittel wird dann diesen Freistellungsantrag bewerten und entscheiden, ob auf die Durchführung der Kinderstudien verzichtet werden kann oder muss. Generell gilt, auch das ist gesetzlich vorgegeben, dass die Erforschung der Anwendung eines Arzneimittels bei Kindern nicht zu einer Verzögerung der Entwicklung des Arzneimittels bei Erwachsenen führen darf.

DAZ Die neuen Vorschriften machen die Entwicklung eines Arzneimittels nicht billiger. Wie wird sichergestellt, dass die finanziellen Hürden nicht doch dazu führen, dass notwendige Innovationen ausbleiben?

Franken: Neben den Verpflichtungen bietet die Verordnung auch eine Reihe von Anreizen. Dazu gehört eine sechsmonatige Verlängerung der Schutzfrist für die entsprechenden Arzneimittel, also die Garantie eines alleinigen Vertriebsrechtes in der EU. Hierdurch werden sicherlich ein Teil der Investitionen getragen. Für bereits länger bekannte Wirkstoffe, bei denen alle Schutzfristen schon abgelaufen sind, bietet die Verordnung die Möglichkeit, eine selbstständige Kinderzulassung zu erwirken. Hier können für ein solches neues und ausschließliches Kinderarzneimittel bis zu zehn Jahre Datenschutz erreicht werden.

Als zusätzliche Alternative gibt es in der EU bei Arzneimitteln für Krankheiten, die nur sehr selten auftreten (sogenannte orphan drugs) seit Januar 2000 einen Weg, nach eingehender Prüfung durch ein EU-Gremium verschiedene Vergünstigungen, z. B. bei den Gebühren, für sich geltend zu machen, damit in diesen Fällen eine Wirtschaftlichkeitsprüfung nicht zu einem ökonomischen K.-o.-Kriterium für die Entwicklung derartiger Arzneimittel (hier auch Arzneimittel für eine der pädiatrischen Subgruppen) wird.

DAZ Studien mit Kindern durchzuführen, ist sicher nicht einfach. Eltern werden ungern ihre Kinder als "Versuchskaninchen" zur Verfügung stellen wollen. Mit welchen Problemen ist zu rechnen?

Franken: Grundsätzlich ist zu betonen, dass Kinderstudien nur mit Kindern durchgeführt werden, die krank sind und einer Therapie bedürfen. Die geplanten Studien werden von einer Ethikkommission und von einer Bundesoberbehörde parallel aus unterschiedlichen Gesichtspunkten begutachtet und müssen von beiden genehmigt werden. Die betroffenen Eltern, so ist die Erfahrung, willigen in der Regel gerne ein, wenn ihnen erklärt worden ist, dass das Kind in dieser Studie besser betreut und kontrolliert wird, als wenn es im Rahmen einer experimentellen Therapie Arzneimittel erhält, die für die Anwendung bei Kindern nicht zugelassen sind. Dies ist leider heutzutage in vielen Bereichen der Fall, weil den Ärzten nichts anderes übrig bleibt, als sich der Erwachsenen-Arzneimittel zu bedienen und eine Anwendung bei den Kindern auf der Basis von Erfahrungswerten vorzunehmen. Eine Studie aus dem Jahr 1999 hatte ergeben, dass damals auf den Intensivstationen für Säuglinge ein Spitzenwert von 90% für derartige Anwendungen außerhalb der zugelassenen Altersklassen erfolgte.

Es sei aber an dieser Stelle betont, dass die Teilnahme an klinischen Studien nach einer umfangreichen Aufklärung immer eine freiwillige Sache ist. Weder die teilnehmenden Kinder noch die Erziehungsberechtigten erhalten, abgesehen von einer Aufwandsentschädigung, die sich eng an Fahrtkosten etc. orientiert, eine Bezahlung für die Teilnahme.

Sie erwähnten bereits gewisse Vorurteile gegen solche Studien in Ihrer Frage. Diese existieren zweifelsohne und ich begrüße jede Möglichkeit, die sich mir bietet, um diesen zu begegnen und ein wenig mehr das Vertrauen in die pädiatrische Forschung zu stärken. Die pharmazeutische Industrie kann den neuen Anforderungen durch die Verordnung nur gemeinsam mit allen Beteiligten entgegentreten. Dazu gehören nicht nur die Ärzte, die Behörden und ein schwieriges Gesundheitssystem, sondern selbstverständlich in erster Linie die Kinder mit ihren Eltern. Es ist eine gemeinsame Forschung mit Kindern für Kinder.

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