Rechtsprechung aktuell

Auszug aus § 11 ApoG

Bevorzugung einzelner Ärzte kann schwere Folgen haben

Für Apotheker sind Absprachen mit Ärzten über eine bevorzugte Belieferung mit Arzneimitteln tabu – dies bestimmt § 11 Apothekengesetz (ApoG). Wer dem Verbot zuwiderhandelt, kann in erhebliche Schwierigkeiten geraten: Nach einer kürzlich veröffentlichten Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm ist ein Apotheken-Kaufvertrag sittenwidrig und damit nichtig, wenn der dem Vertrag zugrunde gelegte Kaufpreis am Umsatz mit derart illegalen Geschäften ausgerichtet ist. Zieht sich der Käufer, dem seine wirtschaftliche Abhängigkeit bewusst ist, aus dem Geschäft zurück, kann der Verkäufer aus dem Kaufvertrag keinerlei Rechte, insbesondere keine Schadensersatzansprüche, geltend machen.

(Urteil des Oberlandesgerichts Hamm vom 29. August 2006, Az.: 19 U 39/06)

Im vorliegenden Fall hatte der klagende Apotheker jahrelang einen Hol- und Bringdienst für zwei Arztpraxen unterhalten. Dieser war geschäftsmäßig etabliert und betraf hochpreisige kühlpflichtige Medikamente – insbesondere Polyglobin und Granozyte. Die Ärzte hatten dem klagenden Apotheker die Bevorratung angeraten, obwohl es im Ort auch andere Apotheken gab. Täglich wurden die Arzneimittel direkt von den Arztpraxen in der Apotheke bestellt und von dieser per Botendienst an die Ärzte ausgeliefert. Die Patienten traten dabei nicht in Erscheinung. Diese Geschäfte brachten dem Kläger 55 Prozent seines Umsatzes ein. Als er seine Apotheke später verkaufte, war der vereinbarte Kaufpreis von 300.000 Euro maßgeblich am erzielten Umsatz ausgerichtet. Der Käufer war vor Vertragsschluss über die besonderen Geschäftspraktiken und den daraus resultierenden Umsatz nicht zuletzt durch die Geschäftsunterlagen informiert. Knapp einen Monat nach Abschluss des Kaufvertrages zog sich der Beklagte aus dem Geschäft zurück, ohne dass er den Kaufpreis gezahlt hatte. Er erklärte, den Hol- und Bringdienst erst bei Vertragsabschluss erkannt zu haben und nahm dies zum Anlass, seinen Rücktritt vom Vertrag zu erklären. Daraufhin klagte der Verkäufer auf Zahlung von Schadensersatz von mehr als 350.000 Euro. Neben dem Kaufpreis verlangte er den Ersatz weiterer Ausgaben, die er im Zusammenhang mit dem Apothekenverkauf hatte. Die Apotheke selbst konnte der Verkäufer später nur noch für 30.000 Euro anderweitig verkaufen.

Nach Auffassung des OLG steht dem Kläger unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Schadensersatzanspruch zu. Ausgangspunkt des Urteils ist, dass der Kaufvertrag sittenwidrig und damit nach § 138 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) nichtig ist. Aus einem nichtigen Vertrag lassen sich keine vertraglichen Ansprüche ableiten. Wie das Gericht ausführt, liegt im gegebenen Fall "ein nach dem Gesamtcharakter sittenwidriges Geschäft in Form eines gemeinsamen sittenwidrigen Verhaltens der Parteien gegenüber der Allgemeinheit vor". So könne ein Apotheken-Kaufvertrag einen Sittenverstoß begründen, wenn durch ihn eine den rechtlichen Erfordernissen entsprechende Berufsausübung des Käufers gefährdet wird. Wird ein Betrieb verkauft, dessen Betreiber standesrechtlich gebunden ist, dürfen die Vertragsbedingungen nicht die Gefahr begründen, dass der Erwerber diesen in einer den Allgemeininteressen widersprechenden Weise fortführt. Eben dies sei vorliegend jedoch der Fall.

Verstoß gegen das Ärztebevorzugungsverbot

Der Verkäufer hat durch die Vereinbarung eines regelmäßigen Hol- und Bringdienstes für hochpreisige Arzneimittel mit zwei Ärzten gegen das sogenannte Ärztebevorzugungsverbot des § 11 Apothekengesetz (ApoG) verstoßen. Eine solche Absprache ist nach § 12 ApoG nichtig. Nach dem eigenen Vortrag des Klägers hat es eine ausdrückliche Absprache zur Vorratshaltung gegeben. Die daran anschließenden regelmäßigen Zuweisungen der Verschreibungen sowie der damit einhergehende Hol- und Bringdienst sind nach Überzeugung des Gerichts von den Beteiligten auf Dauer gewollt gewesen. Dass der Kläger hierzu anführte, diese Praxis erfolgte im Einverständnis mit den Patienten, ist für die Richter ohne Belang. Erstrangiger Regelungszweck des § 11 ApoG sei die vom Gesetzgeber gewollte strenge Trennung zwischen dem Beruf des Apothekers und des Arztes. "Die zur Wahrung einer funktionell differenzierten Gesundheitsfürsorge zu sichernde Unabhängigkeit zwischen den Heilberufen liegt im öffentlichen Interesse", heißt es in dem Urteil. Sie dürfe deshalb auch nicht durch das Einverständnis einzelner Patienten verwischt werden.

Fortführung der berufswidrigen Geschäfte durch den Käufer

Es bestand auch die begründete Gefahr, dass der Beklagte diese berufsrechtswidrige Praxis nach dem Kauf der Apotheke aufrecht erhalten würde. Aus dem Vorbringen der Parteien ließe sich zumindest eine stillschweigende diesbezügliche Willensübereinstimmung erkennen. Dies schließt das Gericht insbesondere aus dem Umstand, dass dem Käufer bekannt war, wie sich der Umsatz zusammensetzte, der für den Kaufpreis maßgeblich war. Der Beklagte habe sich bereits durch die Höhe des Kaufpreises in eine wirtschaftliche Abhängigkeit begeben – um das Umsatzniveau zu halten, habe er die Geschäfte genau so fortführen müssen. Dies habe er auch tatsächlich nach der Übernahme der Apotheke getan.

Subjektiv reicht das Wissen um das Verbot

Nicht zuletzt hätten die Vertragspartner auch subjektiv sittenwidrig gehandelt. Dazu ist es ausreichend, dass die Tatsachen, die die Sittenwidrigkeit des Vertrages gegenüber der Allgemeinheit begründen, kennen oder sich ihrer Kenntnis grob fahrlässig verschließen. Nicht notwendig ist, dass sie den Vertrag selbst als sittenwidrig und nichtig einstufen. Daher genüge es, dass beide Parteien im Verfahren einräumten, ihnen seien die einschlägigen Bestimmungen des Apothekengesetzes geläufig.

Keine Heilung

Der Vertrag ist nach den Ausführungen des Gerichts auch nicht durch den tatsächlichen Vollzug des Vertrages, also die Geschäftsaufnahme durch den Beklagten, nach § 141 BGB geheilt worden. Dies hätte vorausgesetzt, dass die Gründe für die Sittenwidrigkeit weggefallen sind. Tatsächlich bestanden sie jedoch fort. Dass sich der Beklagte auf die Sittenwidrigkeit berufe, sei auch nicht ausnahmsweise treuwidrig. Das Interesse des Klägers an der Vertragserfüllung trete wegen der dargestellten wirtschaftlichen Abhängigkeit hinter den Interessen der Allgemeinheit und des Beklagten zurück. Überdies dürfe die Folge einer etwaigen Treuwidrigkeit nicht sein, dass ein sittenwidriges Geschäft auch in Zukunft aufrechterhalten wird.

Keine Ansprüche aus sonstigen Normen

Auch nach anderen Anspruchsgrundlagen des BGB ist ein Schadensersatzanspruch aus Sicht des OLG nicht gegeben. Weder seien die Voraussetzungen für Schadensersatz wegen Verschuldens nach Vertragsschluss (§§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB), noch nach den Regelungen zum Auftrag (§§ 662, 280 Abs. 1 BGB) bzw. zur Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 667, 280 Abs. 1 BGB) erfüllt. Ebenso wenig bestehen Ansprüche aus unerlaubter Handlung nach den §§ 823, 826 BGB. Eine Revision gegen das Urteil ließen die Richter nicht zu. <

Rechtsanwältin Kirsten Sucker-Sket
Abs. 1: Erlaubnisinhaber und Personal von Apotheken dürfen mit Ärzten oder anderen Personen, die sich mit der Behandlung von Krankheiten befassen, keine Rechtsgeschäfte vornehmen oder Absprachen treffen, die eine bevorzugte Lieferung bestimmter Arzneimittel, die Zuführung von Patienten, die Zuweisung von Verschreibungen oder die Fertigung von Arzneimitteln ohne volle Angabe der Zusammensetzung zum Gegenstand haben. (...)
Das hier genannte Urteil können Sie neben anderen apotheken- und arzneimittelrechtlichen Entscheidungen im Wortlaut abrufen bei DAZonline unter www.deutsche-apotheker-zeitung.de in der Rubrik Recht/Urteile, Benutzername: apotheke, Kennwort: daz

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