Schlagabtausch zum Fremdbesitzverbot

LUXEMBURG (cr). Es bleibt spannend: Das europarechtliche Schicksal des Fremdbesitzverbots bei Apotheken ist weiterhin offen. Auch nach einem über siebenstündigen Schlagabtausch der Kontrahenten gaben die 13 Richter der Großen Kammer des Europäischen Gerichtshofs nicht zu erkennen, zu welcher Entscheidung sie neigen. Zunächst wird jetzt am 16. Dezember Generalanwalt Yves Bot seinen Schlussantrag stellen. Mit einer Entscheidung des Gerichts ist dann im Frühjahr 2009 zu rechnen.

Mündliche Verhandlung vor dem Europäischen Gerichtshof

Das Medien- und Besucherinteresse war riesig, das Auditorium dicht besetzt, als der Vorsitzende Richter, Vassilios Skouris, am Mittwochmorgen um 9.30 Uhr die mündliche Verhandlung in einem Verfahren eröffnete, dessen Bedeutung für die Apotheker Deutschlands und Europas kaum überschätzt werden kann. Fällt das Approbationsgebot für Apothekeneigentümer, dürfte auch das apothekenrechtliche Mehrbesitzverbot kaum mehr zu halten sein. Celesio/DocMorris & Co stehen in den Startlöchern, um "den Apothekenmarkt umzukrempeln" (FAZ). Für alle Beteiligten steht viel auf dem Spiel.

Der EuGH hatte für seinen Termin zwei anhängige Verfahren zusammengefasst: Zum einen hatte das Verwaltungsgericht Saarland dem EuGH u. a. die Frage vorgelegt, ob das apothekenrechtliche Fremdbesitzverbot in Deutschland mit geltendem Gemeinschaftsrecht in Einklang steht. Diesem Verfahren lag der "Fall Hecken/DocMorris" zugrunde, bei dem der damalige saarländische Justiz-, Sozial- und Gesundheitsminister Josef Hecken an DocMorris, eine niederländischen Kapitalgesellschaft, apothekengesetzwidrig die Erlaubnis zum Betrieb einer Fremdbesitzapotheke in Saarbrücken erteilt hatte. Parallel hierzu wurde in Luxemburg auch über das Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission gegen Italien verhandelt, bei dem es um die Gemeinschaftskonformität des dortigen Fremdbesitzverbotes geht. Das Verfahren gegen Italien war laut Kommissionsvertreter "aufgrund von Klagen aus dem Markt" in Gang gesetzt worden.

Klare Mehrheit gegen Fremdbesitz

Im Vorfeld hatten sich zehn Mitgliedstaaten zur Frage der rechtlichen Beurteilung des Fremdbesitzverbotes bei Apotheken geäußert. Schon damit zeichnete sich ab: Eine klare Mehrheit der Mitgliedstaaten ist nicht gewillt, der "apothekenrechtlichen Deregulierungslogik" der EU-Kommission bzw. des saarländischen Ex-Hecken-Ministeriums zu folgen. Daran vermochten auch in Luxemburg die Statements der Vertreter der EU-Kommission, des DocMorris-Anwalts und des saarländischen Staatssekretärs Wolfgang Schild (CDU) nichts zu ändern.

Der saarländische Staatssekretär wettert höchstpersönlich

Für Letzteren, dessen Rolle im Vorfeld der Erteilung der Betriebserlaubnis an die Fremdbesitzapotheke in Saarbrücken nach wie vor im Dunkeln liegt, scheint der Fall des Fremdbesitzverbotes inzwischen eine Herzensangelegenheit zu sein. Schild stieg, unter den Augen seines neuen Dienstherrn Minister Gerhard Vigener, in Luxemburg höchstpersönlich in die Bütt, um wider das Fremdbesitzverbot zu wettern. Dabei scheute er sich nicht, die EuGH-Richter auf die jüngsten und für einzelne Berliner Apotheken wenig schmeichelhaften Ergebnisse der Stiftung Warentest hinzuweisen und diese mit dem besseren Abschneiden der DocMorris-Versandapotheke zu kontrastieren. Bemerkenswert auch die Feststellung des früheren Richters und Staatsanwalts, dass bei Wegfall des deutschen Fremdbesitzverbotes schon heute fast alle Bestimmungen des Apothekenbetriebsrechts "analog" angewendet werden könnten; im Übrigen habe ein Apotheker bei Arzneimittelabgaben in "drei Viertel der Fälle" aufgrund der ärztlichen Verschreibungen ohnehin keinen Spielraum, so dass es gleichgültig sei, ob ein Apotheker oder eine Kapitalgesellschaft (also z. B. auch ein Pharmaunternehmen) eine Apotheke betreibe. Nicht alle Tage kommt es auch vor, dass der Staatssekretär eines kleinen Bundeslandes das Verhalten seines Bundesgesetzgebers vor einem europäischen Gericht als "treuwidrig" bezeichnet. In Luxemburg ging Schild den deutschen Gesetzgeber frontal an: den gesetzlichen Bestimmungen des Apothekenrechts fehle "jede Konsistenz". Für Schmunzeln auf der Richterbank sorgte der Hinweis Schilds auf die "Witwenregelung" im Apothekengesetz. Danach darf ein überlebender Ehegatte bis zum Zeitpunkt der Wiederverheiratung seine Apotheke auch als Nichtapotheker verpachten. Das sei, so Schild, doch auch ein Fall des Fremdbesitzes, der die Volksgesundheit in der Vergangenheit nicht gefährdet habe. (Was folgern wir daraus? Was Apothekerwitwen ausnahmsweise erlaubt ist, muss – gemeinschaftsrechtlich – auch Kapitalgesellschaften gestattet werden?)

"Getrennt marschieren, vereint schlagen"

Vor Schild hatten Hannes Krämer und Emanuela Boglione die Position der EU-Kommission dargelegt und versucht, die in Europa bestehenden Fremdbesitzverbote als unverhältnismäßig darzustellen. Aus Sicht der Brüsseler Behörde könne der Gesundheitsschutz der Bevölkerung und die ordnungsgemäße Arzneimitteldistribution durch mildere Mittel als ein Fremdbesitzverbot bei Apotheken gewährleistet werden. Das Problem einer vertikalen und horizontalen Konzentration zwischen verschiedenen Marktteilnehmern (Apotheken, Ärzten, Großhandlungen, Industrie) müsse wettbewerbsrechtlich gelöst werden und sei der Frage des Fremdbesitzes nachgelagert. Immerhin sei es denkbar, unter strengen Voraussetzungen bestimmte Unternehmensgruppen vom Apothekeneigentum auszuschließen. Der Gefahr einer übermäßigen Druckausübung auf angestellte Apotheker könne durch spezifische arbeitsrechtliche Regelungen entgegengewirkt werden. Fremdbesitzverbote dürften nicht mit der Begründung aufrecht erhalten bleiben, dass andere mögliche Kontrollmechanismen zum Schutze der Gesundheit versagten. Kein Mitgliedstaat dürfe sich auf eigenes "Kontrollversagen" berufen. Und an seinen Mitstreiter Schild gewandt: "Die saarländische Behörde hat im Fall DocMorris in geradezu exemplarischer Weise ihre Loyalität gegenüber der Gemeinschaft unter Beweis gestellt." Schon vor Verhandlungsbeginn hatten der deutsche Vertreter der EU-Kommission und Schild ihren engen Schulterschluss demonstriert. In einer Runde mit seinen Verbündeten gab Krämer die Parole aus: "Getrennt marschieren, vereint schlagen!"

Von Philanthropen …

Die italienische EU-Vertreterin Emanuela Boglione stieß ins gleiche Horn wie ihr Vorredner: "Apotheker sind keine Philanthropen, sondern Kleinunternehmer. Das Gewinnstreben bei berufsfremden und approbierten Apothekeneigentümern ist unzweifelhaft gleich." Bereits heute würden nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel in Supermärkten angeboten und mit den kommunalen Apothekenketten bestehe in Italien schon aktuell ein Regime des Fremdbesitzes, ohne dass dadurch eine ordnungsgemäße Arzneimittelversorgung in Mitleidenschaft gezogen werde. Hinzu komme, dass bei jeder vierten italienischen Apotheke Kreditgeber am Gewinn der Apotheke beteiligt seien. Auch dies sei ein Fall des faktischen Fremdbesitzes.

… und finanziell geförderten Forschungsarbeiten

Erwartungsgemäß sah auch der Rechtsvertreter von DocMorris, Professor Dr. Christian Koenig, in seinem Plädoyer keine Rechtfertigung für ein apothekenrechtliches Fremdbesitzverbot. "Kategorische Fremdbesitzverbote" verletzten die Niederlassungsfreiheit. Alle bislang behaupteten Gefahren und Risiken bei Zulassung von Apothekenketten entbehrten "jeglichen empirischen Grundlagen". Dabei berief sich der DocMorris-Anwalt der ersten Stunde insbesondere auf eine "äußerst fundierte" Forschungsarbeit des Fachbereichs Wirtschaftswissenschaften der Universität Duisburg-Essen ("Wasem-Papier"), das auszugsweise auch in der jüngsten Ausgabe der Zeitschrift "Gesundheitsrecht" veröffentlicht wurde – ohne freilich zu erwähnen, dass die Ausführungen von seinem Mandanten in Auftrag gegeben und (wie er auf Nachfrage einräumte) von DocMorris "finanziell gefördert" worden war.

Der Widerstand gegen die EU-Kommission formiert sich

Den Freunden des Fremdbesitzes gegenüber stand die Phalanx der Verteidiger eines in Europa pluralen Apothekenwesens, das den unterschiedlichen nationalen gesundheits- und sozialpolitischen Rahmenbedingungen Rechnung trägt.

Für Moritz Lumma, den Beauftragten der Bundesregierung, verhindert das deutsche Fremdbesitzverbot im Rahmen der Arzneimittelversorgung gesundheitsgefährdende Interessenkonflikte. Anders als bei anonymen Kapitalgesellschaften gewährleiste das apothekenrechtliche Fremdbesitzverbot nämlich eine Kongruenz der pharmazeutischen Verantwortung von Apothekeneigentümer und Apothekenangestelltem. Es bestehe eine "natürliche Kongruenz der Ziele". Im Gegensatz zu Kapitalgesellschaften, die dem Shareholder Value verpflichtet sind, haftet der unabhängige Apothekeneigentümer nämlich finanziell und berufsrechtlich persönlich für die Erfüllung seines Versorgungsauftrages. Das saarländische Vorgehen in Sachen DocMorris nannte der Beauftragte der Bundesregierung verfahrensrechtlich inakzeptabel und in der Sache unbegründet.

Strukturelle Gefahren …

Welche Risiken eine Abkehr vom Fremdbesitzverbot in sich birgt, verdeutlichten die Vertreter der Apothekerkammer des Saarlandes und des Deutschen Apothekerverbandes, Rechtsanwalt Claudius Dechamps und Professor Dr. Jürgen Schwarze, Direktor des Instituts für Öffentliches Recht und Direktor des Europa-Instituts an der Universität Freiburg.

Danach sind Kapitalgesellschaften strukturell anfälliger für ein "unrechtmäßiges Gewinnstreben", d. h. für ein Gewinnstreben, hinter das im Konfliktfall eine ordnungsgemäße Berufsausübung zurücktritt. Vorrangiges Ziel von Kapitalgesellschaften ist die kurz- bis mittelfristige Steigerung des Gewinns. Angesichts bestehender Rabattverbote kann dies nur durch mehr verkaufte Arzneimittel oder Einsparungen bei der Betriebs- und Personalausstattung von Apotheken erreicht werden. Die durchgängigen Grundsätze der Gewinnmaximierung stehen aber im Widerspruch zu gesundheitspolitischen Zielen, wie z. B. der Verhinderung eines Arzneimittelmehr- und -fehlgebrauchs. Nachdrücklich warnte Dechamps vor einer vertikalen Konzentration im Bereich der Arzneimitteldistribution. Konzerne, die Apotheken betrieben, könnten neben pharmazeutischen Herstellern und Großhändlern auch Krankenhäuser und Arztpraxen umfassen und so zu einer bevorzugten und sachfremden Vermarktung konzerneigener Arzneimittel führen. Außerdem stellte Dechamps klar, dass in Deutschland 49 von 100 abgegebenen Arzneimittelpackungen nicht verschreibungspflichtig sind. Allein dieser Umstand, nicht das Umsatzverhältnis von verschreibungspflichtigen zu nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln, ist für die Funktion des Apothekers entscheidend. Hinzu kommt, dass die Politik in Deutschland und in Europa Apotheken bei der Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel verstärkt weitreichende Auswahlmöglichkeiten, z. B. im Rahmen von Rabattverträgen, einräumt. Betreiben konzernzugehörige Gesellschaften die Apotheke, besteht die strukturelle Gefahr, dass diese Auswahl nicht von fachlichen, sondern unternehmerischen Erwägungen geleitet wird.

… und mangelnde Alternativen zum Fremdbesitzverbot

Professor Dr. Jürgen Schwarze wies in seinem Plädoyer zunächst darauf hin, dass eine Verletzung der berufs- und standesrechtlichen Regeln für einen angestellten Apotheker nicht die gleichen praktischen Konsequenzen habe wie für einen selbstständigen Apotheker, der nicht nur seine Anstellung, sondern seine gesamte Lebensgrundlage und freiberufliche Existenz aufs Spiel setze. Auch bestünden in Kapitalgesellschaften "subtilere Einflussmöglichkeiten", die normativ nur schwer beherrschbar und in der Praxis nicht zu überwachen seien (z. B. Belohnungen und Einschüchterungen im Hinblick auf erzielte und zu erzielenden Gewinne). In den Verfahren, so Schwarze, stehe letztlich die Frage im Mittelpunkt, ob die "apothekenrechtliche Systementscheidung des deutschen Gesetzgebers" gemeinschaftsrechtlich erlaubt sei oder nicht. Dabei dürfe es keine Rolle spielen, ob andere Mitgliedstaaten unter den Regeln des Gemeinschaftsrechts in ihrer Verantwortung zu anderen Entscheidungen gelangen könnten. Vielmehr sei eine Gesamtbetrachtung der jeweiligen nationalen Gesundheitssysteme erforderlich. Immerhin setzen heute 21 von 27 Mitgliedstaaten bei aller Verschiedenheit der jeweiligen Instrumente (Fremd- und Mehrbesitzverbot, Bedarfsprüfung) entsprechende Regelungen ein. Würde das Fremdbesitzverbot untersagt, könnte z. B. in Deutschland nicht ersatzweise auf das Steuerungsinstrument der Bedarfsprüfung zurückgegriffen werden. Denn anders als das Fremdbesitzverbot, das in Deutschland verfassungsrechtlich erlaubt ist, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine Bedarfsprüfung bei der Zulassung von Apotheken unzulässig. Ein gleichwertiger Ersatz des Kontrollmechanismus Fremdbesitzverbot ist daher, so Schwarze, nicht möglich. Das von der Kommission gelobte Vorgehen des saarländischen Ministeriums im Fall DocMorris bezeichnete der anerkannte Europarechtler als bloßes "Manöver der Rechtspolitik".

Arzneimittelversorgung als "Chefsache"

Rechtsanwalt Dr. Heinz-Uwe Dettling, Prozessvertreter der Saarbrücker Apothekerin Helga Neumann-Seiwert, betonte, dass das Fremdbesitzverbot "ein Instrument zur Kontrolle und Mäßigung des Gewinnstrebens" ist. Es gehe dabei nicht darum, ob ein selbstständiger oder ein angestellter Apotheker besser beraten könne – es gehe um das Verhältnis von Eigentum und Unternehmen und um den Einfluss des Unternehmenseigentümers auf das Verhalten angestellter Apotheker. Während Kapitalgesellschaften dadurch gekennzeichnet sind, dass die persönliche Haftung und Verantwortung der Eigentümer ausgeschlossen und die verschiedenen Funktionen im Unternehmen aufgespaltet werden, ist bei inhabergeführten Apotheken das unternehmerische und das pharmazeutische Versorgungsinteresse in einer Person auf der Eigentümerebene angesiedelt. Manager in Kapitalgesellschaften und Eigentümer von Apotheken leben in verschiedenen Werte-Welten. Dettling mit Blick auf abschreckende Beispiele aus britischen und amerikanischen Kettenapotheken: "Die Arzneimittelabgabe ist keine Fließbandarbeit. Nur in unabhängigen Eigentümerapotheken ist die Arzneimittelversorgung ‚Chefsache’."

"Kapitalgesellschaften haben Fachwissen, aber kein Gewissen"

Die Bevollmächtigten der beigeladenen Mitgliedstaaten verteidigten mit großer Mehrheit die in Europa bestehenden Fremdbesitzverbote. Besonders vehement griffen der italienische Generalstaatsanwalt Guiseppe Fiengo und der spanische Vertreter Juan Rodriguez Cáramo die von der EU-Kommission eingeleiteten Verfahren an. Für Fiengo ist der korrekte Ansatz zur Beurteilung des Fremdbesitzverbotes nicht das gemeinschaftsrechtliche Gesellschaftsrecht, sondern das subjektive Recht auf Gesundheit, das jeder Bürger hat. "Wer hat denn gesagt, dass der Apothekenbereich dereguliert werden muss? Die Niederlassungsfreiheit bedeutet doch nicht, dass, nur weil ein Mitgliedstaat seinen Markt frei gibt, dies alle anderen Mitgliedstaaten auch tun müssen. Wir brauchen kein einheitliches Apothekensystem in Europa. Vielfalt muss möglich sein, denn Pluralismus schafft Reichtum", so der italienische Generalstaatsanwalt. Und weiter in Richtung Brüssel: "Kapitalgesellschaften haben Fachwissen, aber kein Gewissen. Sie sind nicht zu fassen, wenn es um die Kontrolle der ausgeübten Tätigkeiten geht. Wir haben in Italien schon einen Großhändler, der zugleich Hersteller ist."

Kämpferisches Spanien

Auch der spanische Vertreter stellte die Harmonisierungszuständigkeit der EU-Kommission im Apothekenbereich grundsätzlich in Frage: "Sind die anhängigen Verfahren die Idee eines Kommissions-Beamten, der morgens mit der Eingebung aufwacht, die Apothekensysteme in Europa umkrempeln zu müssen?" Weder das EU-Parlament noch die Regierungen der Mitgliedstaaten, Apothekerkammern oder Verbraucherverbände seien bei den Beschlüssen konsultiert worden. "Mit der Gesundheit soll man nicht spielen. Was geschieht, wenn das ‚neue’ Apothekensystem nicht funktioniert?" Der Europäische Gerichtshof werde in der Frage des Fremdbesitzverbotes von der EU-Kommission auf unzulässige Art und Weise instrumentalisiert: "Die Kommission möchte via Gerichtshof etwas harmonisieren, was sie nicht harmonisieren darf. Eine größere Revolution der Rechtsordnung ist kaum möglich."

"Fremdbesitzverbote sind gemeinschaftskonform"

In jeweils fünfzehnminütigen Statements plädierten schließlich auch die Prozessbevollmächtigten von Frankreich, Österreich, Finnland, Irland und Lettland für die Möglichkeit der Beibehaltung und Gemeinschaftskonformität des apothekenrechtlichen Fremdbesitzverbotes. Eine interessante Frage stellte die finnische Vertreterin: Wie sieht es eigentlich mit der Arzneimittelsicherheit und einer flächendeckenden Arzneimittelversorgung aus, wenn in einem Land, in dem es – wie in Norwegen – nur noch drei große Apothekenketten gibt, eine der Ketten in Insolvenz geht?

Irische Kritik am Saarland

Überraschend war das Votum Irlands, das sich im Schriftlichen Verfahren einer Stellungnahme zum deutschen Fremdbesitzverbot noch enthalten hatte. Nunmehr trug der irische Prozessvertreter vor, dass in Irland durch die Zulassung von Apothekenketten die Gesundheitsversorgung zwar nicht gefährdet sei. Die Frage der Organisation der Arzneimittelversorgung müsse jedoch in der Kompetenz der einzelnen Mitgliedstaaten liegen.

Massive Kritik äußerte der irische Vertreter auch am Verhalten Saarlands. Es sei inakzeptabel, dass eine Behörde sich anmaße, ein im Jahre 1960 in Kraft getretenes Apothekengesetz unter Hinweis auf seine angebliche Gemeinschaftswidrigkeit plötzlich nicht mehr anzuwenden. Immerhin war das Gesetz in der Vergangenheit bereits Grundlage zahlreicher Entscheidungen gewesen, ohne von Gerichten gemeinschaftsrechtlich in Frage gestellt worden zu sein.

Lettland: Schlechte Erfahrungen mit Ketten

Auf besondere Aufmerksamkeit stießen die Ausführungen der Vertreterin Lettlands, Esmeralda Balode Buraka. In Lettland sind die Erfahrungen mit Apothekenketten schlecht: Obwohl Ketten-Apotheken dort höhere Gewinne erzielen als Einzel-Apotheken, werden die Vorteile nicht an Kunden weitergereicht. Außerdem zeigen die Erfahrungen, dass Ketten-Apotheken im Vergleich zu Einzel-Apotheken keine gleichwertigen Dienstleistungen anbieten. So werden z. B. Rezepturen in Ketten-Apotheken oftmals nicht beliefert. Das Resümee Burakas: Die Verknüpfung beruflicher Qualifikationen mit der Eigentumsfrage gewährleistet am besten einen ausreichenden Gesundheitsschutz. Lettland hat deshalb 2001 beschlossen, künftig nur Apotheker als Apothekeneigentümer zuzulassen. Eine Übergangsfrist bis 2010 ist vorgesehen.

Polen und Niederlande scheren aus

Lediglich Polen und die Niederlande, in denen bereits heute der Apothekenfremdbesitz erlaubt ist, schlossen sich der Argumentation der EU-Kommission an – allerdings auch nur mit Einschränkungen, die den Brüsseler Deregulierungs-Beamten nicht gefallen dürften. So sprach sich die polnische Vertreterin zwar für eine "Liberalisierung" aus, plädierte aber dafür, mittels nationaler Regelungen zu verhindern, dass in einer Region mehr als fünf Prozent der Apotheken in eine Hand gelangen.

Der Kreis schließt sich

Noch einmal munter wurde es am Schluss des Verhandlungsmarathons, als der französische Richter vom Vertreter der EU-Kommission wissen wollte, welche "Klagen aus dem Markt" denn nun letztlich dazu geführt hätten, das Vertragsverletzungsverfahren gegen Italien in Gang zu setzen. Das sei ein "in Italien aktiver Großhändler" gewesen, der dort ehemals kommunale Apotheken übernommen hatte, konkretisierte der Kommissionsvertreter. Gegenüber der DAZ bestätigte der italienische Prozessvertreter Guiseppe Fiengo, dass es sich bei dem Großhändler um Celesio handelt. Womit sich der Kreis schließt: Celesio ist rund neunzigprozentiger Anteilseigner von DocMorris – dem Versandhändler, der als niederländische Kapitalgesellschaft – mit dem ersten Standbein in Saarbrücken – erstreiten will, dass auch in Deutschland (und anderswo) Apotheken von Kapitalgesellschaften betrieben werden dürfen ….

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