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Arzneimittel und Therapie
Dabigatran verbessert die Thromboseprophylaxe
DAZ:
Warum gab es Ihrer Meinung nach seit so langer Zeit keine Innovationen im Bereich der Antikoagulation?
Lipp: Zum einen gilt die parenterale Prophylaxe und Therapie von venösen Thrombosen als kaum weiter optimierbar. Bei der Entwicklung einer oralen Antikoagulation ging es neben der Suche nach einer optimalen Dosierung auch um eine gute Verträglichkeit bei einer Anwendung über längere Zeit.
DAZ:
Welche Ansprüche stellen Sie als Pharmakologe an ein ideales Antikoagulans?
Lipp: Ein neues Antikoagulans sollte mindestens genauso gut wirken wie die bisher standardmäßig eingesetzten Substanzen, wenn möglich sogar noch besser. Wünschenswert wäre ein einfaches Dosierschema, eine gute Verträglichkeit, die keine regelmäßigen Kontrollen beim Patienten erforderlich machen. Dass Nebenwirkungen auftreten, wird man eigentlich immer erwarten müssen, aber es sollten möglichst keine schweren Nebenwirkungen zu beachten sein. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die möglichst einfache Kombinierbarkeit mit anderen Medikamenten.
DAZ:
Der orale direkte Thrombininhibitor Dabigatranetexilat wurde und wird in verschiedenen Phase-III-Studien geprüft. Kann die neue Substanz Ihren Ansprüchen gerecht werden?
Lipp: Die Anwender wünschen sich Alternativen zu den parenteralen Applikationsformen. Nach den bisherigen Untersuchungen kann man mit Sicherheit sagen, dass das therapeutische Fenster von Dabigatran bei weitem höher ist als beispielsweise bei den oralen Antikoagulanzien wie Phenprocoumon oder Warfarin. Die Wirkung ist gut vorhersagbar und die Substanz gut verträglich. Bisher sind keine Wechselwirkungen mit Nahrungsmitteln und – noch wichtiger – mit Medikamenten beobachtet worden und sind auch nicht zu erwarten. Denn die Substanz interagiert nicht mit dem Cytochrom-P450-System, das durch viele Arzneistoffe beeinflusst werden kann. Es gab ja bereits vor einigen Jahren einen oralen direkten Thrombininhibitor, das Ximelagatran, das zwar gezeigt hat, dass der Weg über die orale direkte Thrombinhemmung funktioniert, der dann aber wegen erhöhter Lebertoxizität vom Markt genommen werden musste.
DAZ:
Wie unterscheiden sich Dabigatran und Ximelagatran?
Lipp: Die beiden Substanzen lassen sich ganz klar hinsichtlich ihrer Pharmakokinetik trennen. Beide sind zwar Prodrugs, aber die Aktivierung des Ximelagatran verlief über andere Schritte als die des Dabigatran. Neben einer Esterase ist auch eine Cytochrom-b5-Reduktase involviert, die vermutlich zu reaktiven Intermediaten bei dieser Substanz geführt hat, welche die Leberreaktionen ausgelöst haben könnten. Die Bioaktivierung von Dabigatran hingegen erfolgt über ubiquitär vorhandene Esterasen, ist damit auf jeden Fall frei von reaktiven Intermediaten. Nach den Erfahrungen mit Ximelagatran wurde im Rahmen der Studienkontrollen eine mögliche Lebertoxizität unter Dabigatran sehr genau geprüft. Bisher gibt es keine Anzeichen für eine auffällige Erhöhung der Leberenzymwerte. Und aufgrund des unterschiedlichen Schritts in der Bioaktivierung ist das auch nicht zu erwarten.
DAZ:
Dabigatran wirkt über direkte Hemmung des Gerinnungsfaktors Thrombin. Können Sie kurz den Wirkmechanismus erläutern?
Lipp: Die Thrombinhemmung ist ein wichtiger Ansatzpunkt, wie wir auch durch andere Medikamente, die in die Thrombinhemmung eingreifen, gelernt haben. Diese stehen aber bisher nur parenteral zur Verfügung. Thrombin steht in der Gerinnungskaskade unmittelbar vor der Umsetzung des Fibrinogens in Fibrin und die Inhibierung von Thrombin stellt wegen dieser Schlüsselposition ein wichtiges therapeutisches Prinzip dar. Um das Thrombin sehr selektiv hemmen zu können, wurde ‚ der Wirkstoff mittels computer aided drug design (CADD) entwickelt, um nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip passgenau in das aktive Zentrum des Thrombins eingreifen zu können. Damit kann Dabigatran auf das Thrombin wirken, unabhängig davon, ob es sich um fibringebundenes oder freies Thrombin handelt.
DAZ:
Welche Vor- und Nachteile bringt die Therapie mit niedermolekularen Heparinen mit sich?
Lipp: Alle niedermolekularen Heparine werden parenteral verabreicht. Vorteile der subkutanen Applizierung sind eine sehr hohe absolute Bioverfügbarkeit von mindestens 90% und ein schneller Wirkeintritt. Wechselwirkungen mit Endothelzellen oder Makrophagen finden nicht statt – das spricht für eine hohe Arzneimittelsicherheit. Aber genau die subkutane Anwendung ist es, die auch Probleme mit sich bringt. Unabhängig von den Schmerzen bei den Injektionen und auch möglichen Nadelstichverletzungen beim Klinikpersonal oder bei den betreuenden Angehörigen, gibt es weitere unerwünschte Reaktionen, die für den Patienten sehr unangenehm sein können. Dazu gehören pseudoallergische Reaktionen, die zum Teil starke Rötungen an der Applikationsstelle auslösen. Und natürlich ist ein weiteres Risiko, das bei den niedermolekularen Heparinen bis heute nicht beseitigt werden konnte, die sogenannte heparininduzierte Thrombozytopenie Typ II, kurz HIT II, eine schwere arzneimittelinduzierte Allergie, die erhebliche Risiken für den Patienten mit sich bringen kann. Im Rahmen einer HIT Typ II können die Thrombozyten stark absinken und gleichzeitig ausgeprägte arterielle Thrombosen entstehen.
DAZ:
Könnte Dabigatran eine sinnvolle Alternative zum derzeitigen Therapiestandard sein?
Lipp: Die im europäischen Design durchgeführten Studien zur Thromboseprophylaxe in der orthopädischen Chirurgie mit Dabigatran haben bezüglich Wirksamkeit und Verträglichkeit gegenüber dem europäischen Standard Enoxaparin in den verschiedenen Zentren absolute Gleichwertigkeit gezeigt. Man hat damit offensichtlich eine sehr sichere Substanz in der Hand. Darüber hinaus besteht durch wahrscheinlich zwei verschiedene Dosierungen bei Dabigatranetexilat für den Kliniker bei der Thromboseprophylaxe eine gewisse Flexibilität in der Dosierung, beispielsweise bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion. Mittel- und längerfristig wird Dabigatran sicher an Bedeutung gewinnen. Therapiestandards selbst werden in der Regel durch die Fachgesellschaften bestimmt. Auf die entsprechenden Stellungnahmen darf man gespannt sein.
DAZ:
Worin sehen Sie die Vorteile im täglichen Ablauf?
Lipp: Dazu zähle ich den Verzicht auf Injektionen, die vielleicht auch einen Zeitgewinn für das Pflegepersonal mit sich bringen, weil nur noch eine Kapsel am Tag einzunehmen ist. Es ist zu erwarten, dass sich Patientencompliance und Patientenzufriedenheit erhöhen, weil die tägliche Praxis erleichtert wird. Ich selbst würde auch lieber eine Tablette nehmen als eine Spritze. Die orale Applikation ist eine neue Option, die vielerorts Diskussionen in Gang bringen wird, wie man die gesamten Abläufe im System vereinfachen kann.
DAZ:
Herr Dr. Lipp, vielen Dank für das Gespräch!
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