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Neues zur Tuberkulose
1999 erklärte die Weltgesundheitsorganisation WHO den 24. März zum Welttuberkulosetag. Das Datum erinnert an den 24. März 1882, als Robert Koch (1843–1910; Nobelpreis 1905) der Deutschen Physiologischen Gesellschaft in Berlin über die Entdeckung des Tuberkelbazillus berichtete, wobei er prophezeite: "In Zukunft wird man es […] nicht mehr mit einem unbestimmten Etwas, sondern mit einem fassbaren Parasiten zu tun haben." Und weiter: "Die Statistik lehrt, dass ein Siebtel aller Menschen an Tuberkulose stirbt." Daran hat sich bis heute einiges, aber nichts Wesentliches geändert. Noch immer stecken sich jährlich acht bis zehn Millionen Menschen weltweit an, und knapp zwei Millionen sterben. In Deutschland werden 5000 bis 6000 Neuerkrankungen pro Jahr registriert.
"Die Mikrobe ist nichts, das Milieu ist alles. " Claude Bernard (1813–1878) |
Nachdem Robert Koch zur Tuberkulosetherapie das Tuberkulin, eine aus der Nährlösung von Tuberkelbakterien gewonnene, parenteral applizierte Zubereitung, entwickelt hatte und damit spektakulär gescheitert war, blieb seine Überzeugung, dass eine inflammatorische Reaktion zur Heilung notwendig sei, dennoch lange Zeit anerkannt. Heute stützt sich die medikamentöse Behandlung auf eine Auswahl geeigneter Antibiotika (Antituberkulotika).
Seit 8000 Jahren humanpathogen
Bisons scheinen bereits vor 17.000 Jahren unter Tuberkulose gelitten zu haben. Auch Mensch und Tuberkelbazillus sind alte Bekannte, denn die Tuberkulose ist in 8000 Jahre alten Menschenknochen nachgewiesen. Der älteste dokumentierte Fall in England liegt 4200 Jahre zurück. Auch Pharaonen waren infiziert. In der westlichen Hemisphäre trat die Lungenschwindsucht dagegen erst seit dem 14. Jahrhundert auf. In Europa ist für das späte 18. Jahrhundert ein starker Anstieg von Tuberkulosefällen verbürgt.
Seit den letzten 20 Jahren ist Aids ein wesentlicher Grund für die dramatische Ausbreitung der Tuberkulose in einigen Ländern. Betroffen sind vor allem weniger entwickelte Länder.
Tuberkulose in DeutschlandNach dem soeben erschienenen Bericht des Robert Koch-Instituts zur Epidemiologie der Tuberkulose in Deutschland wurden im Jahr 2006 insgesamt 5402 Krankheitsfälle – davon 78 Fälle (2,2%) mit multiresistenten Stämmen – und 201 Todesfälle registriert. Damit setzte sich der rückläufige Trend der Vorjahre fort. |
Genetische Taxonomie
Eine Tuberkulose ist das Resultat einer Infektion mit Vertretern des Mycobacterium-tuberculosis-Komplexes (siehe Grafik).
Die Erkrankung des Menschen wird überwiegend von "modernen" M.-tuberculosis-Stämmen und zu einem geringen Teil von dem weniger aggressiven M. canettii verursacht. Die "alten" M.-t.-Stämme scheinen ursprünglich aus Afrika zu stammen; von ihnen unterscheiden sich die "modernen" M.-t.-Stämme durch die Deletion der Region TbD 1 aus dem Genom. (Eine Deletion ist der Verlust einer DNA-Sequenz undefinierter Größe, während eine Punktmutation den Austausch einzelner Basen bezeichnet.)
Die 16S-rRNA-Moleküle der ribosomalen RNA (rRNA) von M. tuberculosis, M. africanum, M. canettii, M. microti und M. bovis stimmen in einem erstaunlich hohen Maße, nämlich zu 99,9%, überein. Dennoch unterscheiden sich die Mykobakterien deutlich in ihrer Wirtsspezifität und Pathogenität. Während die ersten drei Arten ausschließlich den Menschen infizieren und M. microti auch einzelne Tiere befällt, hat M. bovis ein sehr breites Wirtsspektrum innerhalb der Säugetiere. Zudem bilden die Mykobakterien verschiedene Krankheitsbilder aus. Im Laufe der Evolution hat es also eine Spreizung und Spezialisierung der pathogenen Stämme gegeben.
KlassifikationArten der Tuberkulose gemäß aktueller internationaler Klassifikation der Krankheiten (ICD-10) A15 Tuberkulose der Atmungsorgane; bakteriologisch, molekularbiologisch oder histologisch gesichert A16 Tuberkulose der Atmungsorgane; weder bakteriologisch, molekularbiologisch noch histologisch gesichert A17 Tuberkulose des Nervensystems A18 Tuberkulose sonstiger Organe A19 Miliartuberkulose |
Die frühere Vermutung, dass M. tuberculosis sich aus dem wesentlich breiter angelegten M. bovis entwickelt hat, ist heute nicht mehr haltbar. Beide Arten haben gemeinsame Vorfahren, und ihre Abstammungslinie gabelte sich, als ein Virulenz-Operon – eine Kassette an zusammenwirkenden Genen – auf M. tuberculosis übertragen wurde. Der wahrscheinliche Übeltäter dieses horizontalen Gentransfers ist Agrobacterium tumefaciens, das normalerweise Virulenzgene auf Pflanzen überträgt. Erst danach erfolgte die Deletion der Region TbD 1 aus dem Genom des "modernen" M. tuberculosis. Dies dürfte erst vor etwa 15.000 bis 20.000 Jahren geschehen sein, denn die Housekeeping-Gene, die für den Grundumsatz sorgen und am häufigsten exprimiert werden, sind bei den drei Varianten fast identisch – der Genetiker spricht von "hoch konservierten Sequenzen".
Nun wollen die mit der Systematik des M.-t.-Komplexes befassten Forscher durch funktionelle Genanalysen klären, ob die TbD-1-Deletion direkt zum selektiven Vorteil der M.-t.-Stämme beiträgt oder ob andere Gene für deren Infektiosität und Pathogenität verantwortlich sind.
Regionen mit hoher Multiresistenzrate gegen AntituberkulotikaRegion und Multiresistenzrate Baku, Aserbaidschan 22,3% Moldawien 19,4% Donezk, Ukraine 16,0% Tomsk, Russland 15,0% Taschkent, Usbekistan 14,8% Estland 13,3% Lettland 10,8% Litauen 9,8% Armenien 9,4% Welt-Durchschnitt 5,3%
Quelle: WHO-Bericht vom Februar 2008. – Bei M.-tuberculosis-Stämmen unterscheidet man die Resistenz gegen Standardmedikamente (multi drug resistant, MDR) und die Resistenz gegen fast alle Antibiotika (extensively drug resistant, XDR), d. h. auch gegen Fluorochinolone und Amikacin, Kanamycin oder Capreomycin.
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Das Genom birgt Überraschungen
1998 wurde erstmals das Genom eines M.-t.- Stammes – H37Rv – vollständig sequenziert. Es zählt mehr als 4000 Gene. Inzwischen wurden Stämme des M.-t.-Komplexes aus Patienten in aller Welt genetisch untersucht, mit dem Ergebnis, dass in ihnen 224 verschiedene Gene fehlen können. Ganz erstaunlich ist, dass es sich häufig um Gene handelt, die für den Intermediärstoffwechsel, den Zellwandaufbau oder die Atmung zuständig sind, also für das Überleben und die Pathogenität des Organismus wichtig sind. In vielen Fällen dürften die Deletionen jedoch vorübergehend sein. Vermutlich wirken die jeweiligen Genprodukte als Antigene für die Immunabwehr des Wirtes. Bakterien mit solchen Deletionen könnten also einen Selektionsvorteil haben, wenn sie in der Lage sind, ihr Genom später wieder zu vervollständigen.
Eines dieser Gene ist beispielsweise für das Überleben des aeroben Bazillus in sauerstoffarmer Umgebung notwendig. Fehlt dieses Gen, verursacht M. tuberculosis stärkere Krankheitssymptome einschließlich Husten und sorgt durch den vermehrten Auswurf für seine weitere Verbreitung.
MultiresistenzBekämpfung der multiresistenten Tuberkulose im Jahr 2008 laut WHO-Bericht, Februar 2008:
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Gefahr durch schlummernde Bakterien
Aber Infektion bedeutet nicht immer gleich Erkrankung. Im Zustand niedriger Aktivität, eingesperrt in einer vom Wirtsorganismus gebildeten Kapsel, kann der Tuberkelbazillus 20 Jahre lang als "schlummernder Drache" überdauern, bevor er wegen Mangelernährung oder einer Immunschwäche seines Wirts erwacht und zuschlägt. Ein mutiertes Gen bewirkt die Latenzphase des Bakteriums – das haben Forscher des Max-Planck-Instituts für Infektionsbiologie in Berlin kürzlich herausgefunden. Das intakte Gen PhoP ist ein Transkriptionsfaktor, der die Gene des Dormanz-Regulons, eines Genkomplexes, inaktiviert. Die mutierte Version von PhoP reduziert also die Virulenz des Bakteriums. Ob es in Zukunft ein Medikament geben wird, mit dem man dieses Gen gezielt ausschalten kann, muss nach Aussage der beteiligten Forscher noch offen bleiben. Dennoch müsse dringend nach Wirkstoffen gesucht werden, die das ruhende Bakterium angreifen. Nur so könne die außerordentlich lange Behandlungszeit von derzeit sechs Monaten deutlich verkürzt werden.
Neue Antituberkulotika werden dringend benötigt, da sich die resistenten Stämme in vielen Ländern weiter ausbreiteten. Die wissenschaftlichen Voraussetzungen dafür sind gegeben, denn inzwischen ist auch die Zellwand der Tuberkelbazillen sehr gut erforscht. Sie besteht aus einer dünnen Lipiddoppelschicht mit den üblichen Porenproteinen. Demnach könnte man neue Wirkstoffe gezielt in die Bakterien einschleusen.
Tuberkulose im NetzLepra-Tuberkulosehilfe Dinslaken Deutsches Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose Überblick über Tuberkulose in Europa – Europäische Kommission Kuratorium Tuberkulose in der Welt Tuberkulose-Website der WHO International Tuberculosis Foundation – itf |
Literatur
[1] Brosch R, et al. A new evolutionary scenario for the Mycobacterium tuberculosis complex. Proc Natl Acad Sci USA 2002;99:3684-3689.
[2] Sousa AO, et al. An epidemic of tuberculosis with a high rate of tuberculin anergy among a population previously unexposed to tuberculosis, the Yanomami Indians of the Brazilian Amazon. Proc Natl Acad Sci USA 1997;94:13227-13232.
[3] Lee JS, et al. Mutation in the transcriptional regulator PhoP contributes to avirulence of Mycobacterium tuberculosis H37Ra strain. Cell Host Microbes 2008;3(2):97-103.
Dr. Uwe Schulte
Händelstraße 10, 71640 Ludwigsburg
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