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- DAZ 17/2008
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Interpharm 2008
Fetische und Maultaschen
Die Interpharm 2008 – soviel moralische und argumentative Unterstützung für die Sache der deutschen Apotheker hat es noch nie gegeben wie in den Hallen der neuen Stuttgarter Messe! Heilixblechle, da kam doch einer der profiliertesten und scharfsinnigsten deutschen Linksliberalen extra aus München herbeigeeilt, um dem Fetisch "Wettbewerb und Deregulierung des Apothekensystems die Maske herunterzureißen" und die wahre Natur dieses politischen Popanzes schonungslos darzustellen: Es geht nur um die Kohle und um nix anderes! Heribert Prantl, ein im besten Sinn kritischer Geist und Innenpolitik-Chef bei der "Süddeutschen Zeitung", zerlegte die Argumente der Totengräber unserer Apotheken ins Nichts: Deregulierung – sprich: das Ende unseres seit Jahrzehnten bewährten Systems – macht a) das Leben für die Patienten schwieriger, ist also b) unsozial und verletzt c) die Würde der Menschen. Schützenhilfe bekam der brillante Prantl (Gratulation an unsere Interpharm-Organisatoren: so einen sollten wir jedes Jahr den Festvortrag halten lassen!) von einem nicht minder fesselnden, weil ebenso scharf analysierenden Experten: Andreas Kaapke von der Forschungsstelle für Arzneimitteldistribution entlarvte alle ach so modernen, "zwingend notwendigen" Umgestaltungswünsche interessierter Kreise (Politik, kettengierige Großhändler und Aasgeier aus der Lebensmittel-, Kaufhaus- und Drogeriemarkt-Szene) als das, was sie sind: pure Profitgier. "Mit Dosensuppen ist für Edeka, Rewe und Co. nichts mehr zu verdienen, mit Arzneimitteln schon!" Kopfschüttelnd steht Kaapke aber vor der Reaktion der Apotheker: Statt sich auf ihre einmalige Fachkompetenz zu kaprizieren, versuchen sie nach wie vor, billiger als der billigste Billigheimer ihre Ware zu verramschen: "Das geht aber nicht!" warnte Kaapke und fürchtet: "In ein paar Jahren gibt’s den Apotheker nur noch im Kölner Karneval zu sehen – so wie den Drogisten heute schon!" Dabei will der deutsche Patient eigentlich schon seinen Pharmazeuten behalten; das zeigen Umfragen und Untersuchungen immer wieder. Gestützt werden sie durch Erfahrungen im "deregulierten Ausland": die Briten weinen ihrem Apotheker hinterher, Boots und Co. bieten vielleicht mehr Parkplätze und längere Öffnungszeiten, aber auch steigende Preise und schlechtere (Beratungs-)Qualität! So ist das, liebe neoliberale Wettbewerbsfreunde, alles andere ist "Mumpitz" (Kaapke). Was so ein Apotheker drauf hat, zeigte einmal mehr unser Herr der Globuli und Tropfen: Markus Wiesenauer sorgte launig für den nötigen Durchblick bei Kockelskörnern und Zaunrübe, empfiehlt ausgebrannten Apothekern und sonstigen Loosern Acid.Phosporicum D 12 und weiß auch, was unbedingt ins Gepäck deutscher PTAs gehört, die mit dem Bayerischen Rundfunk auf Gesundheitskreuzfahrt gehen: Belladonna D6 – ha ja, wege dr Sonn! Ansonsten stellte Wiesenauer erfreut fest: "Die innovative Präsenzapotheke hat jetzt Homöopathie in der Sichtwahl!" Na bitte, geht doch! Und so rundete sich die Interpharm 2008 wieder zu einem Ereignis, dem nicht beigewohnt zu haben alle Nicht-Teilnehmer ärgern wird. Jetzt ist es nämlich möglich, per Flugzeug zu mehr Fortbildung anzureisen – vom Flughafenterminal Stuttgart sind’s schlappe achteinhalb Fuß-Minuten zur Messehalle! Deren postmodernes Interieur ist ebenso edel wie die Toiletten, mit der Beschilderung haperte es no a bissle, beim Essen schüttelten nicht nur ökonomisch orientierte Schwaben den Kopf: 9 Euro 50 für ein paar Maultäschle (ohne Kartoffelsalat!) – des gooht oifach net! Für 19 Mark haben wir früher einen köstlichen Zwiebelroschtbrooda gekriegt! Da muss für die nächste Interpharm mehr Wettbewerb her. Oder wir (de)regulieren diesen Anbieter einfach weg …
Lutz Bäucker
Lutz Bäucker ist Apotheker, Mitarbeiter des Bayerischen Rundfunks und Korrespondent der DAZ
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