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Arzneimittel und Therapie
"Rutschbahn" für das Baby
Bereits im alten Rom wurden bei Entbindungen Hilfsmittel wie Olivenöl verwendet. In der veterinärmedizinischen Geburtshilfe ist der Einsatz von Gleitgel bereits seit Langem Standard. Ausgangspunkt für die Entwicklung eines Geburtsgels für die Humangeburt waren Untersuchungen des Schweizer Gynäkologen Dr. med. Andreas Schaub, der herausfand, dass die Verwendung von sterilen Gleitmitteln während der Entbindung sowohl für die Gebärende als auch das Ungeborene von Vorteil ist.
Untersuchung zur Wirksamkeit und Verträglichkeit
Zur Überprüfung der Wirksamkeit und Sicherheit des daraufhin entwickelten Geburtsgels wurde an mehreren Schweizer Kliniken mit 251 Erstgebärenden eine prospektive, randomisierte Studie durchgeführt. Bei den 183 ausgewerteten Geburten war in 109 Fällen eine ärztliche Intervention wie zum Beispiel ein Notfall-Kaiserschnitt oder eine Zangengeburt notwendig. In Bezug auf die Anwendung des Geburtsgels zeigte sich kein Unterschied in der Häufigkeit der operativen Geburtseingriffe. Bei Gebärenden, bei denen Dianatal® Geburtsgel eingesetzt worden war, verkürzte sich die Eröffnungsphase um 65 Minuten, die Austreibungsphase um 26 Minuten und die Gesamtgeburtsdauer um 106 Minuten. Dies entsprach insgesamt einer 30-%igen Reduktion der Geburtsdauer. In einer Subgruppe konnte zusätzlich die Rate an Dammrissen signifikant reduziert werden. Das Gel war für Mutter und Kind gut verträglich; weder an der Vaginalschleimhaut noch an Nase, Mund, Augen oder Haut des Kindes wurden Nebenwirkungen beobachtet.
Geburtsgel mindert Reibungskräfte
Bei einer Geburt unterscheidet man zwischen der Eröffnungsphase und der Austreibungsphase. Mit der Applikation des Geburtsgels sollte bereits in der frühen Eröffnungsphase im Rahmen einer normalen vaginalen Untersuchung zur Beurteilung des Geburtsfortschritts begonnen werden, sodass möglichst keine zusätzliche Belastung für die Gebärende entsteht. Es wird empfohlen, die Anwendung bis zum Ende der Geburt fortzuführen, wobei pro Applikation etwa 3 bis 5 ml Gel mittels sterilem Handschuh in den Geburtskanal eingeführt und dort sorgfältig verteilt werden. 15 bis 30 Minuten nach dem Blasensprung empfiehlt sich eine zusätzliche Gelapplikation. Ein Dianatal® Geburtsgel-Set enthält zwei Gele unterschiedlicher Viskosität: das dickflüssige Dianatal® Stage-I-Gel wird während der Eröffnungsperiode, das dünnflüssigere Stage-II-Gel dagegen während der Austreibungsperiode oder während der Nachgeburtsphase zur manuellen Lösung der Plazenta verwendet.
GeburtsgelDianatal® Geburtsgel ist ein apothekenpflichtiges Medizinprodukt, das derzeit noch nicht von den Krankenkassen erstattet wird (ggf. aber nach individueller Anfrage). Wirksame Bestandteile sind Propylenglycol, Carbomer und Aqua purificata, der pH-Wert liegt bei 5,5 bis 6,5. Es enthält keine Konservierungsstoffe, ist latexfrei und hypoallergen, nicht reizend, geruch- und farblos und elektrisch leitfähig (relevant bei ggf. Anwendung der Elektrochirurgie zur Blutstillung). Es wird von geburtshilflichem Fachpersonal angewendet. Ein Dianatal® Geburtsgel-Set besteht aus drei sterilen Einwegspritzen à 11 ml Gel und zwei Applikatoren (Preis pro Geburt bis zu 125 Euro). |
Rein physikalisches Wirkprinzip
Die Wirkung des Geburtsgels ist rein physikalisch: Durch die bioadhäsiven Eigenschaften und die hohe Wasserbindungskapazität bildet sich ein Gleitfilm auf der Vagina, der die Reibungskräfte zwischen dem Ungeborenen und den Geburtswegen erheblich vermindern soll. Belege dafür liefern experimentelle Modelle mit Gewebeproben von Schweinen unter realistischen humanphysiologischen Geburtsbedingungen (in Bezug auf Anpressdruck, Geschwindigkeit, Kontaktfläche). In diesen Untersuchungen zeigte sich bei Anwendung von Geburtsgelen eine signifikante Reduktion der dynamischen Reibungskräfte um 30 bis 40% gegenüber Wasser als Kontrolle, die statische Reibung wurde um durchschnittlich 45% verringert. Dies soll nach Expertenansicht eine schnellere und sanftere Geburt sowie weniger Langzeitschäden wie Urininkontinenz oder sexuelle Störungen zur Folge haben. Das Geburtsgel ist auch für Wassergeburten sowie für Frauen geeignet, die schon einen Kaiserschnitt hatten.
Weitere Studien werden durchgeführt
Auf Basis der bisher vorliegenden Studienergebnisse empfehlen Gynäkologen das Geburtsgel vor allem bei zu erwartendem großen Kind, bei grenzwertigen Beckenmaßen der Mutter, verzögertem Geburtsverlauf und bei einer trockenen Scheide, wie dies beispielsweise nach Mehrfachanwendung von Prostaglandin-Gel zur Geburtseinleitung der Fall sein kann. Bei Verdacht auf Amnioninfektionssyndrom, Anzeichen auf eine fetale Asphyxie, bekannte Unverträglichkeiten gegen einen der Inhaltsstoffe oder Kontraindikationen für eine vaginale Geburt sollte das Geburtsgel nicht angewendet werden. Ob das Präparat auch einen positiven Einfluss auf die Kaiserschnitt-Rate oder die Häufigkeit von Eingriffen wie z. B. Vakuum- oder Zangengeburt hat, wird derzeit in klinischen Studien untersucht.
Quelle
Prof. Dr. med. Erich Saling, Berlin, Dr. med. Andreas F. Schaub, Zürich, Dr. med. Verena Geissbühler, Basel, Prof. Dr. Robert Riener, Zürich, Priv.-Doz. Dr. Maritta Kühnert, Marburg: "Dianatal® Geburtsgel – Weltneuheit für eine leichtere Geburt", Bonn, 24. April 2008, veranstaltet von der Kessel Marketing und Vertriebs GmbH, Mörfelden-Walldorf.
Schaub AF, et al.: Obstetric Gel shortens second stage of labor and prevents perineal trauma in nulliparous women: a randomized controlled trial on labor facilitation. J Perinat Med 36:129-135 (2008).
Apothekerin Dr. Claudia Bruhn
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