Fortbildungskongress

Vom Todesurteil zur chronischen Erkrankung

Während früher eine HIV-Infektion einem Todesurteil gleichkam, haben die Infizierten heute dank 25 antiretroviraler Arzneimittel eine fast normale Lebenserwartung. Welche gut wirksamen und verträglichen Kombinationstherapien für die First-line-Therapie der HIV-Infektion zur Verfügung stehen, erläuterte Priv.-Doz. Dr. Jan van Lunzen, Hamburg.

Auch mit den modernen Arzneistoffen ist eine Viruselimination und damit eine Heilung der HIV-Infektion nicht möglich. Möglich ist es allerdings, die Vermehrung des Virus ein Leben lang zu unterdrücken. Dafür müssen die Arzneimittel gezielt und diszipliniert eingesetzt werden, bei einer schlechten Compliance droht eine Resistenzbildung.

Das ist auch der Grund, warum die hochspezialisierte Therapie von Schwerpunktärzten überwacht werden sollte, wie van Lunzen forderte. Und daher nütze es auch nichts, Menschen in Entwicklungsländern die Arzneimittel ohne das entsprechende Wissen zur Verfügung zu stellen: "Nur die Therapie verfügbar zu machen, wird die Probleme nicht lösen", so van Lunzen.

Manchmal kann man abwarten

Angesichts der langen Therapiedauer stellt sich die Frage nach dem Therapiebeginn neu. Während früher die Devise galt "Hit hard and early", wird heute nicht mehr jeder Infizierte sofort behandelt. Van Lunzen sagte, dass ein Patient mit einer symptomatischen Infektion immer behandelt werden müsse, ebenso ein Patient mit einer CD4-Zellzahl von unter 200 pro Mikroliter.

Da sich bei uns etwa jeder zehnte Patient mit einem resistenten Virus infiziert, ist eine Resistenztestung vor einer Therapie obligatorisch, ebenso bei einem Therapieversagen.

Kombination ist Standard

Das HI-Virus ist ein Retrovirus, das sein genetisches Material auf zwei RNA-Strängen enthält, die in der Wirtszelle in DNA umgeschrieben werden müssen. Diesen Schritt verhindern die ersten und ältesten Arzneistoffe zur Behandlung der HIV-Infektion, die Reverse-Transkriptase-Inhibitoren.

Leider führten die Monotherapien mit diesen Wirkstoffen rasch zur Resistenzbildung. Heute ist die Kombinationstherapie mit mindestens drei verschiedenen Wirkstoffen aus mindestens zwei Substanzklassen Standard, Kombinationspräparate sind zu bevorzugen.

Bei einem schweren Immundefekt werden vor allem Proteaseinhibitoren wie Lopinavir eingesetzt. Proteasehemmer verhindern die Bildung funktionstüchtiger Virusproteine. Da sie rasch abgebaut werden, werden sie mit niedrigen Dosen von Ritonavir kombiniert, das über die Hemmung von CYP3A4 ihren Abbau verhindert und so für eine hohe Plasmakonzentration sorgt. Diese Vorgehensweise wird als Boostern bezeichnet.

Neue Angriffsziele

Neue Substanzen richten sich gegen neue Zielmoleküle im Replikationszyklus des HI-Virus. So verhindern Entry-Inhibitoren das Eindringen des Virus in die CD4-Zelle. Dazu gehören Attachment-Inhibitoren, Corezeptor-Antagonisten und Fusions-Inhibitoren. CCR5-Antagonisten wie das neue Maraviroc blockieren den CCR5-Rezeptor, der für die Infektion der Zelle notwendig ist. Der Fusionsinhibitor Enfuvirtid verhindert das Verschmelzen des Virus mit der Zellmembran.

Ein weiterer Angriffspunkt ist die Integrase, die für den Einbau der viralen DNA in das Wirtszellgenom verantwortlich ist. Dieser Schritt wird durch Raltegravir gehemmt.

Wie bei anderen chronischen Erkrankungen kommen auch zur HIV-Infektion mit zunehmendem Alter der Infizierten weitere Erkrankungen hinzu. Deshalb müssen jetzt neben der Wirksamkeit und Verträglichkeit auch zunehmend Wechselwirkungen mit anderen Arzneistoffen beachtet werden. Man sollte deshalb die Medikation "immer wieder prüfen", sagte van Lunzen.

Langzeit-Therapie mit mehr Nebenwirkungen

Mit der längeren Therapiedauer treten ebenso die Langzeit-Nebenwirkungen der Arzneimittel in den Vordergrund, zum Beispiel auf Knochen, Nieren und den Fettstoffwechsel. Als besonders belastend hob Lunzen die Lipodystrophie hervor, die sich nach mehreren Monaten der Therapie einstellt. Abacavir kann Herzinfarkte begünstigen, weshalb bei seinem Einsatz andere kardiale Risikofaktoren minimiert werden sollten.

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