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Die neuen Hoffnungsträger Biosimilars
Biopharmazeutika sind eines der am schnellsten wachsenden Segmente im Pharmamarkt. Während die Generikapreise stark reguliert sind, müssen die Kassen für die neuen High-Tech-Arzneien tief in die Tasche greifen. Und so dürfte es die Kostenträger freuen, dass die ersten Patente auslaufen und günstigeren Nachahmerpräparaten der Weg auf den Markt eröffnet wird. Dabei erweist sich Europa als Vorreiter bei der Zulassung von Biosimilars: die europäische Zulassungsagentur EMEA hat bereits ein umfangreiches Regelwerk entwickelt – in den USA ist man dagegen längst nicht so weit. Noch ist die Zahl der in Europa zugelassenen Biosimilars allerdings übersichtlich. Verfügbar sind derzeit Präparate mit dem Wachstumshormon Somatropin und verschiedene Epo-Präparate zur Behandlung der Anämie (Epoetin alfa und Epoetin zeta). Mitte September erteilte die EMEA zudem die Zulassung für G-CSF-Präparate (Filgrastim) zur Behandlung von Neutropenie nach einer Chemotherapie.
Wie einst bei Generika wird heute bei Biosimilars die Austauschbarkeit mit dem Referenzpräparat teilweise angezweifelt. Für Wolf-Dieter Ludwig, Vorstandsvorsitzender der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft, ist dies allerdings kein Problem der Wirksamkeit dieser neuen Präparate – diese zweifelt er nicht an. Aus seiner Sicht ist jedoch schon eine rationale Therapie mit den Originalen schwierig. Selbst für Erstanbieterpräparate, die bereits zehn Jahre auf dem Markt sind, lägen noch zu wenige klinische Studien vor. Von einer Umstellung rät Ludwig angesichts dieser unzulänglichen Datenlage bei der Pharmakovigilanz ab. Dennoch sind Biosimilars mit großen Hoffnungen verknüpft: So sehen Generikahersteller, die sich von den vielfältigen Preisregularien an die Wand gedrückt fühlen, ein neues lukratives Geschäftsfeld und Krankenkassen spekulieren auf Einsparungen. Wer Biosimilars herstellen will, hat es jedoch schwerer als beim Nachahmen chemisch-synthetischer Arzneimittel. Die Anforderungen sind ungleich höher und die Risiken liegen in ganz anderen Dimensionen.
Ähnlich, aber nicht identisch
Grund hierfür sind die deutlichen Unterschiede zwischen Biophamazeutika und chemisch-synthetischen Medikamenten, wie Prof. Theo Dingermann von der Johann-Wolfgang-Goethe Universität Frankfurt erläuterte: Während Generika und ihre Originale auf kleinen chemischen, fest verbundenen Substanzen basieren, werden Biosimilars aus lebenden Zellen hergestellt; es handelt sich um große Moleküle, Proteine mit dreidimensionaler Struktur, die nur durch schwache Kräfte gehalten werden und daher sehr anfällig sind. Hier, so Dingermann, kommt es auf den gesamten Herstellungsprozess an – er sorgt dafür, dass die Moleküle konstant gehalten werden. Doch während die Moleküle nach Ablauf eines Patents kopiert werden können, bleiben die Herstellungsprozesse – deren einzelne Schritte ebenfalls patentiert sein können – geheim. Nur die Zulassungsbehörde kennt den Prozess. Anders als klassische Generika können Biosimilars daher niemals identisch mit dem Referenzarzneimittel sein, denn jeder Hersteller muss erst seinen Herstellungsprozess finden. Gleichwertig hinsichtlich ihrer Wirksamkeit sind die nachgeahmten Biopharmazeutika jedoch, wie Dingermann betonte: "Epo ist immer Epo". Knackpunkt ist dagegen die Sicherheit. Vor allem um diese zu belegen, muss der Hersteller eigene umfangreiche Studien durchführen. All dies führt dazu, dass der Biosimilars herstellende Generikahersteller als Forscher gefragt ist, die Rede ist bereits von den "forschenden Generikaherstellern". Auch nach der Zulassung müssen die Pharmaunternehmen die Wirkungen ihrer Arzneien kontinuierlich überwachen (Pharmakovigilanz). Dies können natürlich nur solche Unternehmen, die sich die hierzu nötigen Investitionen leisten können. Bislang sind in Deutschland etwa CT Arzneimittel, Ratiopharm, Sandoz/Hexal, Stada und Medice mit Präparaten im Biosimilarmarkt vertreten.
Neuland für Generikahersteller
Vertreter der Biosimilar-Hersteller machten deutlich, dass sie in vielerlei Hinsicht einen ähnlichen Aufwand haben wie der Originalhersteller. Christof Schumann vom Vorstand der Stada betonte, dass sein Unternehmen acht Jahre an der komplexen Entwicklung und Produktion seines ersten Biosimilars gearbeitet habe. Gefordert sei zudem ein Know-how, das man sich durch Kooperationen mit Universitäten und externen Experten ins Haus holen müsse. Auch bei den nun erforderten klinischen Studien betrete die Generikaindustrie Neuland. Nötig ist überdies eine hohe Vorfinanzierung über mehrere Jahre – und diese ist gekoppelt mit einem hohen Entwicklungsrisiko: Erwische man bereits am Anfang eine falsche Zelllinie, so gebe es keinen Weg zurück, betonte der Stada-Vorstand. Dies bestätigte auch Udo Meurle von Sandoz: "Die richtige Zelllinie ist das A&O." Dr. Hermann Allgaier, Geschäftsführer der Merckle Biotec GmbH, erklärte, dass Biosimilar-Hersteller gegenüber den Erstanbietern dennoch auf der Ebene der Forschung und Entwicklung mit geringeren Kosten rechnen können. Insbesondere müssten keine neuen Targets gesucht werden. Die Entwicklungskosten für ein Biosimilar bezifferte Allgaier auf 80 Mio. bis 120 Mio. Euro. Die Kosten für die Entwicklung eines neuen Biopharmazeutikums werden dagegen mit etwa 900 Mio. Euro veranschlagt.
Die große Sparhoffnung der Kassen
Aufgrund der besonderen Anforderungen, die die Biosimilar-Herstellung an die Unternehmen stellt, sind die prozentualen Einsparquoten für die GKV im Vergleich zu Generika auf den ersten Blick bescheiden. Sie liegen laut Wolfgang Kaesbach vom GKV-Spitzenverband bei 20 bis 25 Prozent. Dennoch können die tatsächlichen Einsparungen beträchtlich sein: "Ein biopharmazeutisches orphan drug kann das Volumen eines generischen Blockbusters haben", betonte Kaesbach. Tatsächlich gibt es Spezialpräparate, die mit 450.000 Euro Jahrestherapiekosten zu Buche schlagen, bestätigte Dingermann. Für ihn ist es daher dringend notwendig, dass nach Patentabläufen der Wettbewerb auch im Biosimilarmarkt in Gang kommt – ansonsten könnten diese hochpotenten Moleküle das Gesundheitswesen ruinieren. Dabei machte Dingermann zugleich deutlich, dass nicht jedes Biopharmazeutikum ein Biosimilar wert sei. Teilweise sind die Märkte schlicht zu klein, teilweise geht der Innovationsprozess so rasant voran, dass bei Ablauf des Patents bereits viel neuere und bessere Therapiemöglichkeiten zur Verfügung stehen. Für den Pharmazeuten ist daher klar, dass es angesichts der hohen Kosten für die Entwicklung und Herstellung von Biosimilars ein Rosinenpicken geben wird. Auch wenn es einige Herausforderungen zu meistern gilt: Die Hersteller von Biosimilars sehen für ihre neuen Produkte eine große Zukunft. Zugleich hoffen sie, dass die Einsparungen durch Biosimilars weitere Preisregulierungen im Generikamarkt überflüssig machen. Schumann etwa kann sich – wie auch Kaesbach – vorstellen, auf regionaler Ebene Quoten für Biosimilars einzuführen. Dingermann hält eine solche Regelung dagegen für gefährlich, wenn sie Patienten dazu zwingen, in der Langzeittherapie ein anderes Präparat als das bekannte zu nehmen. Er warnte: "Wir dürfen das System nicht kaputt machen, ehe es richtig ins Laufen kommt."
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