Aus Kammern und Verbänden

50 Jahre Niederlassungsfreiheit – und was kommt nun?

Bei der 6. Fortbildung der Apothekerkammer Nordrhein für Senior-Pharmazeuten am 15. Oktober 2008 in Bonn sprach der ehemalige ABDA-Geschäftsführer Dr. Johannes Pieck zum Thema "50 Jahre Niederlassungsfreiheit". Bei dieser Gelegenheit gab er auch eine Einschätzung hinsichtlich des in Kürze zu erwartenden Urteils des Europäischen Gerichtshofs zum Fremd- und Mehrbesitzverbot.

Pieck spannte einen großen Bogen über die rechtliche und berufspolitische Entwicklung hinsichtlich der Besitzregelungen für Apotheken in den letzten 50 Jahren, die er in seinem Berufsleben über weite Strecken mit begleitet hat.

Mit dem Urteil vom 11. Juni 1958 hatte das Bundesverfassungsgerichtes die unbeschränkte Niederlassungsfreiheit verkündet. Pieck erinnerte daran, dass dieses seinerzeit konditioniert war. So sollte die Liberalisierung wieder aufgehoben werden können, wenn die Sicherheit der Arzneimittelversorgung hierdurch beeinträchtigt würde. Mutmaßungen der Apotheker, die in diese Richtung gingen, haben sich jedoch in der Folge nicht bewahrheitet. Nachdem der "eklatante Nachholbedarf" in den 60er-Jahren zügig gedeckt worden war, ging es in der Folge darum, weiteren unerwünschten Auswüchsen durch die Beauftragung von Rechtsgutachten einen Riegel vorzuschieben – ohne Erfolg. Alle Gutachter kamen zu dem Ergebnis, dass ein Abgehen von der Niederlassungsfreiheit nicht gerechtfertigt sei.

Apothekengesetz verliert an Bedeutung

Als weiteren Meilenstein führte Pieck den Erlass des Apothekengesetzes im Jahr 1960 an und wertete dieses als großen Durchbruch hinsichtlich einheitlicher Regelungen auf Bundesebene. Das Gesetz wurde im Jahr 1980 novelliert – in eine Richtung, die, wie Pieck betonte, "heute kaum noch denkbar wäre". So wurden stille Gesellschaften und auch Umsatzmietverträge ausdrücklich verboten. 2004 wurde schließlich die heute bestehende Situation mit der Einführung der Filialapotheken und des Versandhandels hergestellt.

Pieck gab in der Rückschau zu bedenken, dass der politische Schwerpunkt in der Gewährleistung der Arzneimittelsicherheit in den letzten Jahrzehnten, vor allem seit dem Zweiten Arzneimittelgesetz von 1978, sukzessive vom Apothekenrecht ins Arzneimittelrecht abgewandert sei. Von vielen in Politik und Verwaltung werde das Apothekengesetz heute möglicherweise nicht mehr als essenziell angesehen. Im Übrigen hätten die Apotheker die Liberalisierung und Deregulierung durch verschiedene Signale an die Politik selbst promoviert. "Es gibt auch etwas wie Selbstliberalisierung in diesem Berufsstand", merkte Pieck an.

Zusammenhalt ist das Gebot der Stunde

Seit 1992 sei insgesamt eine zunehmend kritische Haltung von Politik und Rechtsprechung gegenüber den Apothekern zu registrieren. In der Öffentlichkeit habe sich zwar nicht das Grundvertrauen, aber eine gewisse "Ehrfurcht vor der Apotheke und dem Apotheker verflüchtigt" und einem kritischen Patienten Platz gemacht. Vor diesem Hintergrund hält es Pieck mehr denn je für geboten, die Interessen der Apotheker gebündelt wahrzunehmen. Zwar haben einzelne Aktionen, sich auf dem Klageweg aus den Standesorganisationen zu verabschieden, nicht zum Erfolg geführt.

Ungeachtet dessen sieht der ehemalige, langjährige ABDA-Justiziar mit Skepsis eine gewisse Lethargie der Apothekerschaft, sich noch in Kammern und Verbänden zu engagieren, sei es, weil sie die Wahrnehmung ihrer Interessen dort nicht adäquat realisiert sehen oder weil sie in ihrer Apotheke so gefordert sind, dass dafür keine Zeit mehr bleibt. Dabei bräuchten diese das Engagement der Apotheker in Zukunft wohl noch mehr, denn die Aufhebung des Fremd-und Mehrbesitzes wird seiner Einschätzung nach auch für die Standesorganisationen gravierende Folgen haben. Ob bei der zu erwartenden Diversifizierung der Ziele noch eine kumulierte Interessensvertretung möglich sein wird, hält er für höchst fraglich.

Als Instrumente zur Selbsthilfe führte Pieck die wirtschaftlich stabile Apotheker- und Ärztebank, die genossenschaftlich organisierten Großhändler, die Rechenzentren, die Versorgungswerke und last not least die Apothekenkooperationen für Werbung und Einkauf an. Gerade Letztere hält er in den jetzigen und kommenden Zeiten für "das Gebot der Stunde".

Für alle Fälle gerüstet sein

Ein klare Prognose hinsichtlich des Ausgangs des EuGH-Verfahrens wollte Pieck nicht stellen. Er hält beide Alternativen für denkbar. Sollte es zu einer Aufhebung des Fremdbesitzverbots kommen, wäre eine Übergangsfrist für die Erteilung von Betriebserlaubnissen an Nichtapotheker unverzichtbar, nicht nur für die jetzigen Inhaber, die sich auf die neue Situation einstellen müssen, sondern auch für die Politik, die zu prüfen haben wird, inwieweit infolge des Konfliktpotenzials mit bestehenden Vorschriften ein weiterer Regulierungsbedarf besteht.

Ideal wäre es, so Pieck, wenn die Apothekerschaft für diesen Fall bereits einen Vorschlag zur Änderung des Apothekengesetzes an der Hand hätte.


hb

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