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Teil I: Apotheke heute – und die wohlfeilen Ratschläge für die Zukunft

Eine Serie von Malte W. Wilkes
Noch nie wurde so oft über die Zukunft der Apotheke nachgedacht wie heute. Der Grund ist bekannt: Der Europäische Gerichtshof wird im nächsten Jahr entscheiden, ob das Fremd- und Mehrbesitzverbot bei Apotheken in Deutschland weiterhin Gültigkeit hat oder ob es ganz oder teilweise fällt. Wie auch immer die Entscheidung ausfallen wird: sie wird die Zukunft der deutschen Apotheke nachhaltig beeinflussen. Wir baten vor diesem Hintergrund den Unternehmensberater und "Vater des Apotheken-Marketing", Malte W. Wilkes, um seine Gedanken zur Apothekenzukunft. Herausgekommen ist eine fünfteilige Serie, die an die Beschäftigung mit der Zukunft der Individualapotheke heranführt und erste Ratschläge gibt, wie man zukunftsgerichtet denkt.

Wenn die Gegenwart hart ist, so hoffen viele auf die Zukunft. Wer im 2. Weltkrieg, in der tiefsten Finsternis des Lebens war, der hoffte auf das Licht im Tunnel. Viele Apotheker wähnen sich in so einer lebensbedrohlichen Situation. Denn viele "schießen" auf sie und wollen ihnen das Geschäft madig machen: Versandhandel und die Drohung der Präsenzkette, undurchschaubare Aktivitäten von Franchise-Gruppen und preisaggressive Kooperationen, Postverfahren in Drogerien sowie der europäische Blick von Politik und Gesetzesauslegung schnüren ihm mental die Luft zum Atmen ab.

Langfristige Zukunftskonzepte jetzt individuell entwickeln

Die Folgen der Serie
I Apotheke heute – und die wohlfeilen Ratschläge für die Zukunft
Es wird uns beschäftigen, dass alle Zukunftsdiskussionen heute im Grunde Ratschläge sind, die wir kennen und die das Tagesgeschäft betreffen. Oder aber den Interessen des Absenders dienen. "Zukunft" ist damit zumeist nicht zu machen. (DAZ 2008, Nr. 49, S. 76)
II Zukunftsforschung – Denken in Zukünften
Zukunftsdenken ist keine Beliebigkeit. Zukunftsdenken ist keine Prognose und damit keine Astrologie. Wenn ein Apotheker als Unternehmer Zukunft denken will, muss er sich an die richtigen Methoden wenden. Dann kann er mit Ergebnissen arbeiten. (DAZ 2008, Nr. 50, S. 62)
III Zukunftsergebnisse: (Basis-)Trends und -Wünsche für Individualstrategien
Heute kennen wir bereits Basistrends, die auch morgen noch stabil sind. Wir wissen, dass sie Emotionen auslösen und Sehnsüchte wecken. Es sind die Trends für den Apotheker der Zukunft. (DAZ 2008, Nr. 51/52, S. 91)
IV Zukunftskonzept: Geschäftspläne mit individuellem Apothekenzweck
Die Grundpositionierung einer Apotheke ist Sicherheit. Doch jede Apotheke braucht zusätzlich eine Individualpositionierung. Diese sollte sich auf einen oder mehrere Basistrends beziehen. Von dort kann der Apotheker alles, was sein Unternehmen macht, herunterbrechen und operationalisieren. Personal, Marketing, Einrichtung … (DAZ 2009, Nr. 1/2, S. 66)
V Zukunftslenker: Vom Pharmazeuten zum managenden Entrepreneur
Apotheker-Unternehmer, die die Zukunftsapotheke entwickeln wollen, brauchen bestimmte Denkweisen und Fertigkeiten. Er muss einerseits hoch kreativ sein. Doch dann muss er völlig systematisch, konsequent und diszipliniert arbeiten. Das ist das dialektische Prinzip im Unternehmer, das schon Joseph Schumpeter 1912 erkannte. Es hat sich bis heute nichts daran geändert. (DAZ 2009, Nr. 3 S. 72)

Es ist darum kein Wunder, dass sich Individualapotheker nach Hilfe umschauen. Wir sollten diesen definitorisch dringend von der Präsenzapotheke unterscheiden, denn auch Ketten können durchaus als Präsenzapotheken geführt werden, wie uns das Ausland lehrt. Die Individualität [lat. Ungeteiltheit] bezeichnet in diesem Zusammenhang, dass Subjekt Apotheker und Objekt Apotheke sich von anderen Apothekern und Apotheken unterscheiden. Und damit stehen die Idee der Individualapotheke und die Konzeption der unternehmerischen Differenziertheit auf einem gemeinsamen geistigen Boden.

Kongressveranstalter und neue Anbieter von Apothekenkongressen und Seminaren entdecken nun diese Individualapotheken neu und stecken die Köpfe aus dem Boden wie schnell wachsende Champignons. Ein empirisches Zeichen der totalen Unruhe, Verunsicherung oder Neuorientierung. "Folge den Zeichen" lautet die fast schamanistische Botschaft, als wäre das Zeichen schon selbst die Heilung.

Doch die Zeichengeber sind eine sich selbst referenzierende Gruppe. Der eine verweist auf den anderen, die Titel der Vorträge sind ähnlich, die handelnden Personen kommen zu häufig aus denselben Unternehmen oder Institutionen. Das ist schon besser als nichts. Denn dieses Nichts werfen sogar seriöse, renommierte Wirtschaftszeitungen inzwischen selbst der ABDA vor, die sich krampfhaft und verkrampft verweigert, Zukunftskonzepte und Wege dazu wenigstens als Diskussionsansatz vorzulegen. Mehr kommt da schon aus den Vereinen. Doch untersuchen wir darum mangels ABDA-Masse diejenigen Ratschläge genauer, die auf den Kongressen von der Bühne schallen.

(1) Der OTC-Markt muss es bringen: So proklamiert das Marktforschungsinstitut A.C.Nielsen, dass jetzt die Zeit des Massmarket kommt. Das bedeutet, man muss auch als Individualapotheker an seinen Marktanteil denken, an sein Image, generell an die Marke. Überhaupt liegt im OTC-Bereich der Kern der Zukunftsgewinne.

Doch wirklich überzeugend ist das für eine langfristige Zukunftskonzeption alleine nicht. Denn seit Jahrzehnten formiert sich der OTC-Markt nicht gerade als ein Boom. Und seine Tendenz ist eher stagnierend-rückläufig. Der Kampf findet innerhalb der Produktsegmente statt, weitet diese aber nicht großartig aus. Neue Produkte schreiben viel zu selten eine Erfolgsstory, neue Kunden für das Segment regnen nicht vom Himmel. OTC ist Kärrner-Arbeit. Der Apotheker muss mit der Industrie den Karren ziehen. Dabei hagelt das Wetter jedes Jahr neu in die Umsätze. "Heuschnupfen war schlecht in diesem Jahr, Grippe und Erkältungen waren keine starke Welle". Ein Geschäft, das wie beim Bauern läuft. Wenn die Anzag, stellvertretend für andere, postuliert "So machen Sie Kunden zu Käufern", so ist das aller Ehren wert. Ein starker Turbo-Zukunftsschub wird das aber nicht.

(2) Eigenmarken sollen eine neue Zukunft heraufbeschwören. Zumindest parmapharm setzt darauf. Wirtschaftlich hochinteressant – ein perfektes Kundenbindungstool sollen sie sein. DocMorris geht auch schon diesen Weg. Das muss nicht ganz falsch für das kleine Tagesgeschäft sein. Doch dem Individualapotheker wird das nicht das Geschäft so zum Blühen bringen, dass seine Wettbewerber vor Zorn tot umfallen.

Eigenmarken des Handels sind in der Mode kräftig – aber nur deswegen, weil sie der Kunde bei Peek & Cloppenburg gar nicht als Eigenmarke erkennt. Im Lebensmittelhandel ist der Umsatzanteil der Eigen[Handels-]marken von um die 40 Prozent am LEH-Gesamtumsatz nicht zu unterschätzen. Er korreliert jedoch stark mit einem besonderen Betriebstyp, dem Discounter. Metro wiederum setzt eine Eigenmarke in Obst und Gemüse ein – dort, wo sich bisher überhaupt nur selten Marken beim Verbraucher etablieren konnten. dm und Coop Schweiz setzen sehr stark auf diesen Markentypus bei Bio- und Naturprodukten mit eigenen Standards. Schon dieser kleine Blick in die große Welt der Eigenmarken zeigt, dass sie sich im Markt dann etablieren, wenn der Kunde davon einen Vorteil hat: (a) er erkennt dieses nicht als Eigenmarke, sondern nimmt sie mit der Qualität einer Herstellermarke, (b) er kauft sie vornehmlich aus Preisgründen ein, (c) er sieht eine Marke, wo er vorher keine erkannt hat und (d) der Kunde bekommt mit dieser Marke eine erkennbare Mehrwertleistung. Auf eine Apothekenkette übertragen kann sie bedeutsam werden, auf eine Individualapotheke bezogen wird die Eigenmarke nicht die Lösung für die langfristige Zukunftskonzeption sein.

(3) Der Apothekentyp soll eine andere Zukunftslösung sein. So argumentieren diejenigen, die sich auf den Betriebstyp schon eingeschworen haben. DocMorris steht für eine Franchise-Markenapotheke. Avie setzt ebenfalls auf die Systemapotheke. Das Prinzip kennen wir aus der Systemgastronomie: McDonald mit hoch standardisierten Waren und (!) Prozessen wird jedem lebhaft das Bild vermitteln, was auf lange Sicht eine Apotheken-Systemkette ausmacht. Auch die Discountkette à la easyApotheke deutet nur das Preissegment an, in dem sie sich als Kette positionieren will. Sie alle zusammen geben jedoch das Prinzip der Individualapotheke auf und sind darum für diesen persönlichkeitsgetriebenen Betriebstypus keine Zukunftsvision.

(4) Das Preissegment als Zukunftslösung wird von der i- punkt-Apotheke in Augsburg anvisiert. Mit einem Marketingpreis 2004 für die Dienstleistungsorientierung ausgezeichnet begibt sie sich auf den Weg in eine Sparmarkt-Einzelapotheke. Dagegen setzt die Premiumapotheke wie Saint Charles in Wien. Preisführerschaft und Premiumorientierung sind bekannte Standardstrategien. Alleine überlebt man mit ihnen die Zukunft nicht, weil eine inhaltliche Positionierung unbedingt erlebbar und für den Kunden relevant dazukommen muss.

Besonders bei der Preisführerschaft muss man durchhalten können. Denn letztendlich kann dieses bei neuen Wettbewerbern in vernichtende Preiskriege ausarten. Da der Preis immer wieder von Individualapothekern heiß diskutiert wird, sollten wir uns ein paar Regeln und Methoden in Erinnerung rufen:

Preiskriege, so sagt Prof. Oliver Heil von der Johannes Gutenberg Universität in Mainz, beginnen nach seinen Untersuchungen immer "bei dem anderen". Es ist wie bei Kindern: Der Andere hat angefangen! Der Preiskrieg ist eine Spirale nach unten: Wiederholte Preisreduktionen bei der wechselseitige Reaktionen erfolgen. Die branchenüblichen Preisschwankungen werden überschritten und mindestens eine beteiligte Marke oder gar ein Unternehmen sind gefährdet. Das letzte Ergebnis ist aber entscheidend: Der Verbraucher ist nicht mehr bereit, den alten höheren Preis zu bezahlen. Darum muss ein Apotheker einen echten Preiskrieg mit seinem Nachbarn stoppen, und zwar mit einer Reaktion des kalten Herzens:

Mehr differenzierte Leistung in die Marktleistung. Hier kann und muss jeder Markt genau hinschauen, was er für seine Zielgruppe leisten kann. Internationale 5-Stars-Hotels z. B. versprechen den nicht selbst zahlenden Managern ein deutlich besseres Businesspaket

Neu-Segmentierung: Wenn McDonald beim Hamburger angegriffen wird, dann reagiert das Unternehmen, indem es den Wettbewerber in ein neues Segment steckt und dieses entsprechend bewirbt (kein Doppel-Mac, sondern ein "Quick Lunch") – und in diesem neu ausgerufenen Segment die Preisführerschaft übernimmt. Ergebnis: Die Preise im Hauptsegment bleiben stabil, der Wettbewerber im "neuen" Segment kommt in Probleme.

Argumente: Dumping (regulatorisches Argument); jetzt weniger Qualität beim Wettbewerber (Sicherheits-, Verbraucherschutzargument), der Große macht den Kleinen kaputt (Underdog-Argument);

Aufbau von Kundenloyalitätsprogrammen wie Kundenclubs: ein Konzept wie bei miles and more und zum Teil Benzinanbietern.

Die anderen "Preiskriegsstopper" sind auf den Preiskrieg ausgerichtete Rabattintelligenzen. Man kann sehr gut Rabattformen nutzen, um im Bruttopreis nicht reagieren zu müssen. Die preisliche und kostenmäßige Konzeption dazu muss dringend psychologische und (!) betriebswirtschaftliche Elemente berücksichtigen:

Wettbewerbscouponing: Der Apotheker gibt beim Kauf einen Coupon für neue Einkäufe des Produktes, die dem Preisunterschied zu anderen Anbietern entsprechen. Effekt: Bis zu 25% der Coupons kommen nicht zurück, der Bruttopreis bleibt hoch, das eigene Produkt wird vornehmlicher gekauft, es gibt Erkenntnis durch Marktrückkoppelung und Dialogsysteme.

Couponing/Gutschein-Werbung anderer Art: z. B. 2 Euro Nachlass bei jedem Kauf über 40 Euro; 10% Nachlass für Senioren jeden Mittwoch; spare x Euro bei jedem Einkauf drei verschiedener Teile für die Hausapotheke. Man kann Couponprogramme entwerfen mit instore coupons (= werden automatisch mit dem Kassenbon ausgedruckt; dabei können gezielt Kunden z. B. Käufer von fettreduzierten [oder anderen Eigenschaften] Präparate angesprochen werden) und/oder Coupons aus dem Internet. Cave: Dieses sind generelle Methoden, die vom Apotheker intelligent in Bezug auf die Preiskriegs-Stopziele konzeptioniert werden müssen.

Sonderpreise für ausgewählte Verbrauchergruppen (Kundenkarteninhaber, Studenten, Frauen, Männer, Brillenträger – zeitlich befristet).

Bundlingsonderpreise bei ausgewählten Kundengruppen auf das ganze Sortiment und zeitlich befristet.

Kundenbindungssysteme, z. B. Rabatt bei Erreichung von Umsatzvorgaben (Auszahlung in bar oder als Prämie); Rabatt in Form von Sachprämien (Wert der Sachprämie muss offengelegt werden).

Heute kaufen und in x Monaten bezahlen: zinsloser Kredit.

Zugaben für Produkte mit Preisbindung.

Man merkt: Wer als Kunde zu früh kauft, den bestraft das Sonderangebot oder die Rabattaktion. Für den Apotheker gilt: Barrabatte sind teuer und differenzieren am wenigsten. Darum bringt auch die Preissenkung alleine auf Dauer nur einen nach unten nivellierten Preis für alle. Sach- und Erlebnisprämien sind zielführender, sie können zum emotionalen Anreizsystem eines Individualapothekers gehören. Doch letztendlich wird auch bei diesem Exkurs klar: Der Kampf über den Preis mag im Tagesgeschäft intelligent durchgeführt punkten. Eine langfristige Zukunftskonzeption steckt auch da nicht hinter. Oder ironisch gesagt: Es gilt der betriebswirtschaftliche Grundsatz, dass Rabatte den Umsatz niemals überschreiten sollten.

(5) An neue Zielgruppen, wie die Senioren erinnert den Apotheker die Feierabend-Dienste-für-Senioren-AG, wobei man sich schon verwundert die Augen reibt: Welche Zielgruppen sieht man denn wohl heute in der Apotheke?

Die Ansprachekompetenz bei neuen Zielgruppen wird von vivesco angemahnt. Hier lässt sich sicherlich auch die Verbesserung des Kundenbeziehungsmanagements bei Stammkunden noch wohlwollend einordnen. Das Ganze wird optimiert durch Standortanalysen und Mikromarktdaten. Zukunftskonzeption? Tagesgeschäft!

(6) Die Apotheke als Gesundheitszentrum braucht mehr Kooperation. Dabei versteht Sanicare sicherlich etwas anderes darunter als Prof. Gerd Glaeske aus Bremen. Er denkt an einen Professionen-Mix und eine besondere Teampflichtigkeit. Nun ist der Gesetzgeber gerade dabei nachzudenken, in Reha-Einrichtungen auch angestellte Ärzte zuzulassen. Wenn das die Richtung ist, die der regulierte Markt in der Apotheke nehmen wird, so wird das eine spannende Marktwirkung haben.

Wenn man alle diese Ratschläge sieht, dann kann es nicht wundern, dass 57 Prozent der deutschen Apotheker glauben, dass es ihnen in fünf Jahren schlechter geht. Sie sehen die Begehrlichkeit auf einen Markt, der immerhin noch mit 4,5 Prozent wächst (Lebensmittelhandel ca. 1 Prozent) und dessen Rendite dreimal höher ist als die des Einzelhandels im Durchschnitt. Die typischen Ratschläge bedienen kaum nachhaltige Zukunftsoptionen, sondern das Tagesgeschäft. Ihr Haltbarkeitsdatum liegt zudem durchaus mal unter dem eines Joghurts. Vieles davon muss der Unternehmer Apotheker sowieso beherrschen. Davor rettet ihn keiner.

Letztendlich ist jedoch die Stimmung schlechter als die Möglichkeiten, die eine nachhaltig geplante Zukunft aufweisen. Wer langfristig Zukunft gestalten will, muss anders als über das Tagesgeschäft und Eigeninteressen von Anbietern hinaus denken.

Wie das die Zukunftsforscher machen, das wird uns darum im nächsten Teil der Serie beschäftigen. Diese halten es mit Albert Schweitzer: "Mich interessiert vor allen Dingen die Zukunft, denn das ist die Zeit, in der ich leben werde".

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