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Alle Jahre wieder

Der Jahreswechsel ist die Zeit der wiederkehrenden Rituale. So wird mittlerweile nahezu für jedes Weihnachtsfest der großflächige Start der elektronischen Gesundheitskarte angekündigt und ebenso regelmäßig wieder verschoben. Auch in diesem Jahr wird Ulla Schmidt unter ihrem Weihnachtsbaum nicht die heiß gewünschte und oft versprochene Karte finden. – Immerhin scheint es aus heutiger Sicht denkbar, dass im Laufe von 2009 in Teilen von Nordrhein-Westfalen tatsächlich neue Karten ausgegeben werden könnten. Doch gerade deshalb dürften die Verfechter des elektronischen Giga-Projekts von ihren Zielen weiter entfernt sein als je zuvor. Denn diese Karten werden kaum mehr als herkömmliche Versichertenkarten mit Bild sein. Die elektronischen Funktionen rücken dagegen in immer weitere Ferne. Denn die bisherigen Tests brachten überwiegend ernüchternde Erkenntnisse bis zur Verweigerung der Beteiligten wegen praktischer Undurchführbarkeit. Zudem hat der technische Fortschritt die ursprünglichen Pläne längst überholt. So drängt sich inzwischen eher eine USB-Lösung auf. Doch müssten die Tests dann praktisch von vorn beginnen. Außerdem müssten die zwischenzeitlich ausgegebenen Karten mit Bild und konventionellem Chip erneut ersetzt werden.

Noch schlechter stehen die Karten für das bisherige Konzept der neuen Karten angesichts der allgegenwärtigen Datenpannen, die sogar hart gesottene Optimisten von den Risiken eines komplett vernetzten Gesundheitswesens überzeugen sollten. Außerdem dürfte mittlerweile fast jeder seine nervenaufreibenden Erfahrungen mit Call-Centern gemacht haben. Dies scheint auf den ersten Blick nichts mit der Gesundheitskarte zu tun zu haben, doch lassen sich daraus auf den zweiten Blick Erkenntnisse zu diesem Thema ableiten: Ein Call-Center mag als Informationsstelle geeignet sein, aber die Probleme fangen an, wenn dort individuelle Aufträge abgewickelt werden. Denn bei der Kommunikation über vorgefertigte Formulare, die keine Eintragung "zwischen den Zeilen" zulassen, gehen individuelle Besonderheiten verloren. Irrtümer, Sonderfälle und nachträgliche Änderungen können im persönlichen Gespräch mit einem vertrauten Ansprechpartner geklärt werden, aber nicht mit anonymen Telefonberatern, die immer wieder nur auf das zuvor ausgefüllte Formular zurückgreifen können. Genau dieses Problem droht auch bei der Gesundheitskarte, wenn die Kommunikation zwischen Arzt, Apotheker und Kostenträger auf definierte Datenfelder reduziert wird. Dies macht den zentralen Fehler der elektronischen Gesundheitskarte deutlich: Sie mag – zumindest mit neuer USB-Technologie – als dezentrales Speichermedium geeignet sein, aber nicht als Kommunikationsmedium.

Daher hat der Plan, die Karte ausgerechnet mit dem elektronischen Rezept starten zu wollen, die größtmögliche Hürde für das ganze Projekt geschaffen. Wenn die neue Karte überhaupt noch eine Chance haben soll, gilt es diesen Irrtum zu korrigieren. Das würde viel Mut von den Politikern erfordern. Doch es würde den Weg für zwei praktikable Alternativen frei machen: Die einfachste Lösung wäre eine Karte mit Bild und wesentlichen Notfalldaten auf einem Chip. Dies würde den Missbrauch der Karten erschweren und die Krankenkassen dementsprechend entlasten. Die kompliziertere Lösung könnte eine USB-Karte sein, die nur als dezentraler Speicher für Befunde und nicht als Kommunikationsmittel für weiter zu bearbeitende Verordnungen verwendet wird. Dies würde eine praktikable Speicherung unter der Kontrolle der Versicherten ermöglichen und die vielfältigen Missbrauchsmöglichkeiten einer zentralen Speicherung vermeiden. Zugleich könnte es die Übergabe von Befunden beschleunigen und manche Doppeluntersuchung vermeiden, wovon sowohl Patienten als auch Krankenkassen profitieren. Doch was noch mehr zählt: In beiden Fällen bliebe der Patient Herr seiner Daten, und die Heilberufler könnten sich den größten Teil der Ausgaben für die neue aufwendige Technik sparen. Das elektronische Rezept und die missbrauchsanfällige Kommunikation mit einer zentralen Speicherarchitektur würden entfallen. Der Arbeitsalltag würde nicht durch noch mehr technischen Ballast beschwert und verlangsamt. Vielleicht ist das zu viel verlangt. Doch es wäre mein Weihnachtswunsch zum Thema Gesundheitskarte – leider bleibt noch offen, in welchem Jahr dies zu erfüllen ist.


Thomas Müller-Bohn

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