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- AZ 39/2009
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Gesundheitspolitik
Rabatt auf Rabattverträge!
Rund 8000 Rabattverträge soll es mittlerweile geben, so eine jüngst kursierende Zahl. Wie wäre es da mal mit Rabatt auf die Rabattverträge? Etwa so: Auf je zehn neue Verträge gibt es einen Nachlass von drei alten ...
Aber im Ernst: Die Zahl erstaunt einerseits. Andererseits illustriert sie, welche Blüten selbst verhältnismäßig klein ausschauende Gesetzesänderungen treiben können. Kaum jemand hätte wohl vorausgesehen, welche gerichtlichen Auseinandersetzungen damit verbunden sind, mit immer neuen Finten insbesondere der Herstellerfirmen und schlussendlichen Konsequenzen, die nur schwer zu abzuschätzen sind. Das macht das Ganze eher zu einer Geisterbahnfahrt denn zu einem berechenbaren Weg.
Ganze Seminare werden heute zu dem Thema abgehalten. Hochbezahlte Damen und Herren referieren, Beratungsunternehmen haben sich des Themas bemächtigt und bieten ihre Dienste an. Selbstverständlich nicht gratis, wenn auch wohl vielfach umsonst. Insoweit bringen solche Gesetzesänderungen immer auch neue Profiteure hervor, an die im ersten Augenblick keiner gedacht hat. Interessant, welche Mittel doch das System immer wieder an welchen Stellen auszuschütten imstande ist. Nun, 260 Mrd. Euro Gesundheitsausgaben in Deutschland, davon rund 170 Mrd. Euro alleine in der GKV, sind schließlich kein Pappenstiel und stellen schon einen gewaltigen Teich dar, in welchen viele ihre Angel durchaus erfolgreich hineinhalten können.
Dass der Patient hierbei nur wenig zu melden hat, daran haben wir uns schon gewöhnt. Man könnte natürlich auch sagen: Selbst schuld, geht doch auf die Barrikaden! Offensichtlich ist der Leidensdruck noch lange nicht hoch genug.
Dabei bilden seine zwangseingetriebenen Beiträge die gesicherte Nahrungsgrundlage für alle Beteiligten, und er selbst rangiert in der Nahrungskette ganz weit unten – wie das duldsame Gras, auf dem alle anderen weiden ...
Bis heute zieht niemand ehrliche Bilanz. Der Herbst, nach der Wahl, wäre dafür ein guter Zeitpunkt, können da doch neue Weichen gestellt werden. Die ganze Zahl der Verträge will ausgehandelt, administriert und überwacht werden. Selbst auf Seiten der Krankenkassen dürfte da das Plus nicht allzu hoch ausfallen, zumindest bei den kleineren Kassen. Dass gesamtvolkswirtschaftlich der Aufwand bei allen Beteiligten höher ist als der Nutzen, dürfte unbestritten sein. Es findet letztlich eine Gewinn- und Aufwandsverlagerung statt. Da an Gewinnen wiederum Steuern und Arbeitsplätze hängen, sieht die Gesamtrechnung wahrscheinlich recht düster aus. Über Folgekosten mangelnder Compliance und womöglich abgebrochener Therapien sowie pharmazeutischen Umstellungsproblemen allgemein legt sich ebenfalls der Mantel des Schweigens. Glaubt man nur annähernd den kursierenden Schadensdaten, die bereits ohne Rabattverträge auf das Konto von Arzneimittelzwischenfällen aller Art gehen (es werden allein mindestens mehrere tausend Tote pro Jahr bis hin zu niedrig fünfstelligen Zahlen genannt), dann schlummert hier ein gewaltiges Dunkelfeld.
Wie sollte es auch anders sein? Es ist eben ein Irrglaube, zu meinen, man mache etwas günstiger, indem man es komplizierter macht. Genau das geschieht aber bei der zersplitterten Vertragslandschaft. Und manche Verträge werden erst einmal wesentlich teurer – man denke nur an verschiedene Hausarztverträge beispielsweise in Baden-Württemberg mit der dortigen AOK. Es kann also mit entsprechendem Geschick auch Gewinner auf Seiten der Leistungserbringer geben. Ob es überhaupt sinnvoll ist, innerhalb der GKV für einen AOK-Patienten andere Honorare zu zahlen wie für einen TK-Patienten, darüber kann man lange diskutieren vor dem Hintergrund der "großen Solidargemeinschaft". Eine Gemeinschaft, durch die sich nämlich empfindliche Risse ziehen ...
Sicher, die zahlreichen Verträge bringen einen Vielstufen-Prozess schrittweise in Gang, der bei Kollektivverträgen nur schwer zu gehen ist. Für Wirkstoff A gibt es hier etwas mehr Rabatt als für B, für die Kasse C etwas mehr als für die kleinere Kasse D, in der nächsten Vertragsrunde geht nochmals etwas mehr Einzelverträge brechen zudem korporale Strukturen auf. Doch es stellt sich, neben der Aufwands-Nutzen-Relation, die Frage, wo der Mittelwert über alle Konditionen hinweg zu liegen kommt – die entscheidende Frage. Liegt dieser soviel ungünstiger wie bei zentral ausgehandelten Verträgen? Und wenn es so ist: Woran liegt dann das offenkundige Versagen der damaligen Kollektiv-Vertragspartner?
Warum kann das bisherige Festbetragssystem nicht Ähnliches wie das heutige System leisten? Gerecht auf alle Kassen verteilt? Mit der schlichten Möglichkeit, dass der Patient gegebenenfalls aufzahlen kann, wenn er sein angestammtes Präparat wünscht. Das Ganze ohne die organisatorischen Verwerfungen, die hinter dem Einzelvertragsmodell stehen. Sind die Berechnungsgrundlagen für die Ermittlung der sinnvollen Preise eines Medikamentes so insuffizient, dass es dazu erst einer Schar von Einzelverträgen bedarf? Dies würde ein schlimmes Bild auf die Nachfrageseite werfen: Kennt diese den Markt, die Produktions- und Kostenstrukturen ihrer Lieferanten in diesem gewaltigen Markt so wenig, dass sie eben auf das plumpe Spiel "wer macht es am billigsten" (und nicht am besten) ausweichen müssen?
Ja, das ist die Marktwirtschaft, so werden die Vertreter der reinen Lehre sagen. Nur: Marktwirtschaft pur in unserem GKV-System, das ist ein Widerspruch in sich. Und eben in der reinen Form mitnichten gewünscht. Also machen wir wenigstens ein bisschen Marktwirtschaft, die Kollateralschäden treffen definitionsgemäß die anderen, und dann schauen wir eben einmal, wie sich das Ganze entwickelt ...
Oder ist der Vertragswettbewerb nur ein Mosaiksteinchen auf dem Weg, die Zahl der Kassen zu reduzieren, was die Politik auf anderem Wege sich nicht anzugehen getraut (ein wesentlich größerer Baustein hört auf den Namen Gesundheitsfonds), also letztlich eine auf dem Rücken anderer ausgetragene Form des Politikversagens?
Viele Fragen, und noch wenige Antworten. Im Wahlprogramm der CDU steht u. a., dass man sich für eine Vereinfachung der Strukturen und Steuerungsmechanismen im Gesundheitswesen einsetzen möchte. Da nach jetziger Sachlage nur schwerlich eine Regierungskonstellation ohne Beteiligung der CDU vorstellbar ist, sollten wir nicht müde werden, die Verantwortlichen an diese Passagen zu erinnern – wenn irgend möglich, mit eigenen, konzeptionellen Vorschlägen. Die Apotheken wären durchaus in der Lage, wesentlich mehr, auch wirtschaftliche Verantwortung zu übernehmen, falls man ihnen die entsprechenden Freiheiten einräumt und sie an den erforderlichen Daten teilhaben lässt. Zielpreise sind ein vorgeschlagener Ansatz, doch weitergedacht könnten irgendwann für die vielen Chroniker sogar feste Tagestherapiekosten an die Kassen "verkauft" werden, deren Management federführend die Apotheke übernimmt.
Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, Philosophenweg 81, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de
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