OTC im Sinkflug

Das OTC-Geschäft dümpelt vor sich hin. Billigstpräparate gehen über den HV, Versandapotheken reißen den Billig-Präparatemarkt an sich. Für die Apotheke mit dem heilberuflichen Anspruch bleibt da wenig übrig. Der Autor dieses Beitrags macht sich Gedanken darüber, wie dieser Markt wieder auf eine heilberufliche Basis gestellt werden kann, die die Beratungstätigkeit des Apothekers honoriert. In Analogie zum diskutierten Kombimodell des Großhandels hat er ein OTC-Kombimodell entwickelt, das er hier zur Diskussion stellt.

Neues Modell – neues Glück? Ein neues Preisbildungsmodell könnte das OTC-Geschäft wieder nach oben reißen, meint unser Autor und nennt konkrete Zahlen.
Lösungsansätze für eine strukturelle Krise

Inzwischen wird es deutlich ausgesprochen: Der deutsche OTC-Markt steckt in einer Krise. Nichts ist mehr zu spüren von den hochfliegenden Prognosen der 1990er Jahre, die dem Barverkauf eine goldene Zukunft versprachen. Nun, ein wenig Glanz hat die Apothekenkasse dennoch erreicht, nämlich in Form der Privatverordnungen, hier allerdings überwiegend in Form von Rx-Präparaten. Es handelt sich um ein Segment, welches kaum in den öffentlichen Analysen vorkommt. Vergleicht man jedoch die Packungszahlen, die über den gut ausgeleuchteten GKV-Markt abgesetzt werden, mit den Gesamtabsatzzahlen, so klafft hier eine zunehmende Differenz: die Privatverordnungen! Immerhin 15% der Versicherten gehören nicht der GKV an. Die gut 70 Millionen GKV-Versicherten erhalten zudem immer öfter ebenfalls Privatverordnungen. Das illustriert die Bedeutung des Privatrezeptes.

Manch OTC-Packung findet auf dem Weg über grünes Rezept oder klassisches Privatrezept ebenfalls seinen Weg über den HV-Tisch. Einige Konzepte stellen das grüne Rezept verstärkt in den Mittelpunkt. Nachteil ist dabei, dass dadurch die sowieso schon sehr hohe Fremdbestimmung der Apotheke (gut 80% des Umsatzes und immer noch gut 70% der Rohertrages gelangen im Durchschnitt letztlich nur auf ärztliche Anordnung in die Apotheke) weiter zementiert wird.

Doch warum sehen wir in der Apotheke seit etlichen Jahren bestenfalls stagnierende, bisweilen auch rückläufige Zahlen im OTC-Segment, insbesondere nach Stückzahlen? Mehrere Gründe lassen sich anführen:

International haben wir in Deutschland sogar relativ hohe OTC-Ausgaben; viele europäische Nachbarn liegen erheblich niedriger.

    Dieses vergleichsweise hohe Marktniveau, bei gleichzeitig stagnierender oder nur wenig steigender Kaufkraft und tendenziell schrumpfender Bevölkerung deutet auf einen gesättigten Markt hin: Es ist schlicht kein Wachstumsmarkt par excellence mehr, wie es lange suggeriert wurde.

      Der viel zitierte demografische Effekt macht sich nur mit höchstens etwa 1% pro Jahr bemerkbar (der Wandel verläuft eben doch relativ langsam), künftigen Rentnergenerationen dürfte es wirtschaftlich in der Masse zudem eher schlechter als besser gehen. Der Gesundheitsmarkt ist in erster Linie preis- und innovationsgetrieben.

        Die Innovationskomponente ist im OTC-Segment eher schwach ausgeprägt (trotz der vielen Neueinführungen), die größte Triebfeder ist nach wie vor der Rx-OTC-Switch. Wirtschaftlich ist dieser Switch übrigens für die Apotheke sehr ambivalent: Zwar steigt der OTC-Absatz, aber es wird ein ehemaliges Kombimodell-Präparat (mit Stückerträgen von mehr oder weniger deutlich über 7,00 Euro je nach Rabatt und Packungspreis) gegen ein OTC-Präparat mit üblicherweise deutlich niedrigeren Stückerträgen getauscht. Um einen Kombimodell-Stückertrag zu kompensieren, muss das OTC-Präparat nämlich in Preisregionen von 20,00 Euro aufwärts (Brutto-Endverkaufspreis) gelangen. In diesen Preisregionen wird es langsam dünn, und es werden mitnichten alle Verordnungen durch OTC-Käufe aufgefangen – wie schon der Verordnungsausschluss von Non-Rx im Zuge des GMG 2004 gelehrt hat. Mit anderen Worten: Häufig sinkt der Absatz mit dem jeweiligen Wirkstoff, der Wirkstoff wird rohertragsmäßig unter dem Strich "entwertet".

          Der Ausschluss von Non-Rx aus der Verordnungsfähigkeit hatte ohne Zweifel auch eine negative Abfärbewirkung auf das Image des ganzen Segmentes: Was die Kasse nicht mehr erstattet (und der Arzt kaum mehr aufschreibt), kann ja nicht viel taugen …

            Nicht zuletzt ist der Versandhandel vor allem bei hochpreisigen Produkten eine ernste Konkurrenz für die Präsenzapotheke geworden. Manche Produkte werden zu 20% bis 30% bereits über den Versand vertrieben.

              Etliche Probleme sind auch hausgemacht: Insbesondere sind viele Produkte schlicht zu teuer, um für breite Kundenkreise infrage zu kommen. Das gilt insbesondere für solche Präparate, die an und für sich für eine Daueranwendung interessant wären, seien es, nur beispielhaft, Ginkgo, Enzyme, verschiedene Phytopharmaka, Nachtkerzenöl oder hochwertige Mikronährstoffe. Für die Industrie mag die Rechnung "lieber 100.000 Packungen im Jahr zu 30 Euro verkauft als 300.000 zu 10 Euro" ja sogar noch aufgehen. Für die Apotheke ist es ein echter Hemmschuh, zumal mit dem Versand im Rücken.

                Dass viele Präparate aus der Marktrealität "herausgepreist" werden, hat historische Gründe. Die alte AMPreisV in degressiver Ausgestaltung mit Aufschlagssätzen von 68% bis hinab zu 30% hatte ihre Berechtigung als Mischkalkulationswerkzeug im Verordnungsbereich. Im reinen Barverkaufssegment passt diese Staffel im Grunde nicht mehr, auch wenn sie heute noch vielfach die Grundlage für die Preisempfehlungen bildet. Sie führt im unteren Preisbereich zu lächerlich geringen Stückerträgen. Es entbehrt nicht einer gewissen Tragikomik, wenn Paracetamol einerseits für 99 Cent oder weniger feilgeboten wird (bei noch weiterer Unterschreitung dieser schon geringen Aufschlagssätze!), und andererseits sich der Gesetzgeber zum Einschreiten gezwungen sieht, 30er Packungen wegen Suizidgefahr unter die Verschreibungspflicht zu stellen Im höheren Preissegment (ab 35,95 Euro AEP) hingegen sind 30% Aufschlag (zuzüglich der erhaltenen Rabatte!) aber eher zu hoch gegriffen, die Gefahr, sich aus dem Markt herauszupreisen, ist offensichtlich.

                  Sicher ist zudem das Engagement der Apotheken noch entwicklungsfähig. Beispielsweise, indem viel stärker konzeptionell-lösungsorientiert gearbeitet wird und nicht nur nachfrageorientiert (Beschwerden X – Präparat Y).

                  Lösungsansätze

                  An dieser Stelle soll vor allem die Preisbildung näher betrachtet werden. Es liegt auf der Hand, dass hier neu nachgedacht werden muss. Nachdem der Großhandel einen Anlauf genommen hat, sein Preisbildungsmodell auf eine Art "Kombimodell light" (gefordert waren 93 Cent fest pro Packung plus 3%) umzustellen und damit erst einmal scheitern musste, ist die Zeit reif, auch im OTC-Bereich über neue Preismodelle nachzudenken. Bedenken wir, dass zurzeit die politischen Karten neu gemischt werden. Es ist also die richtige Zeit, Neues vorzudenken und dann gleich in die richtigen Kanäle zu lenken.

                  Ein Lösungsansatz könnte ein entsprechendes OTC-Kombimodell sein. Im Grunde entfaltet es, in Analogie zum Großhandelsansatz, nur dann seine volle Wirkung, wenn der Festzuschlag tatsächlich gesetzlich festgeschrieben wird, also nicht dem Rabattgeschacher geopfert werden darf. Lediglich die variable Komponente steht zur Verteilung an, sodass ein (limitierter) Preiswettbewerb möglich wäre. Ob dies in der komplizierten, inzwischen auch EU-tangierten Rechtsmaterie tatsächlich realisierbar wäre, sei den Fachleuten zur Prüfung empfohlen. Im Zweifelsfalle wäre dann die strikte Preisbindung wie vor 2004 vorzuziehen, aber eben mit einem neuen Preisbildungsmodell. Das Ganze wird auf eine angemessene Rohertragsbasis gestellt.

                  Ein hier in den Raum gestellter Vorschlag lautet:

                  AVP (neu) =

                  AEP (netto) + 10% vom AEP (netto) + 3,50 Euro Festzuschlag + Mehrwertsteuer

                  Die Konsequenzen dieses Modells für die Endpreise und Stückerträge illustriert die untenstehende Tabelle.

                  Ein Aufschlag von 3,50 Euro lässt sich durchaus rational begründen:

                  Das reine Handling kann mit etwa 0,50 Euro je Packung angenommen werden. Für die Beratungsleistung seien statistisch 5 Minuten veranschlagt, zu einem Stundensatz von 0,50 Euro je Minute (= 30 Euro je Stunde zu Vollkosten, Mischkalkulation über das gesamte pharmazeutische Personal hinweg einschließlich Apothekerin oder Apotheker). Das macht noch einmal 2,50 Euro. Bleibt ein Rest von 0,50 Euro sowie der variable Anteil von 10% für sonstige Kosten sowie den echten Betriebsgewinn. Ein solcher Aufschlag ist also mindestens vonnöten und für den OTC-Bereich bereits sehr günstig kalkuliert. Für einen aufwendigeren Rezept- und Rx-Check reicht dieser Betrag nicht.

                  Weiter gedacht könnte daraus ein regelrechtes "Arbeitswertsystem" werden. Ein Arbeitswert sind beispielsweise 5 Minuten, eine Stunde bedingt 12 Arbeitswerte (AW). Ein OTC-Verkauf ist 1 AW, ein Rx-Präparat ebenfalls 1 AW plus aber zusätzlich beispielweise 2 AW "Rezept-Checkgebühr", eine einfache Rezeptur 3 AW, komplizierte Rezepturen werden höher bewertet. Ähnliche Bewertungen werden für weitere, künftig noch zu entwickelnde Dienstleistungen aufgestellt. Im Grunde läuft dies auf eine Honorarordnung heraus, aber auf eine, die ähnlich wie in der Prozessindustrie auf nachvollziehbarer Grundlage beruht. Die Dynamisierung orientiert sich dann vorrangig an der Lohnkostenentwicklung. Das ist noch weit in die Zukunft gedacht, wäre aber im Sinne des "Heilberufs" ein gangbarer Weg.

                  Konsequenzen

                  Dieses Modell hätte, kommen wir speziell auf den OTC-Bereich zurück, in der Praxis eine Reihe bedeutsamer Folgen:

                  Die untere Preisschwelle beginnt bei etwa 5 Euro. Aufgrund des Kombimodell-Ansatzes kann ein Präparat nicht billiger werden. Aber wäre es wirklich tragisch, wenn ein Schmerzmittel oder Nasenspray nicht unter 5 Euro zu haben wäre – und damit wenigstens einen gewissen Respektabstand zu einer gewöhnlichen Tüte Chips oder einer besseren Tafel Schokolade hält? Gleichzeitig sind das immer noch Preisregionen, die den durchschnittlichen Bürger nicht überfordern. Das Arzneimittel erhält mitsamt der dahinter stehenden Abgabekompetenz der Apotheke einen anderen Stellenwert.

                  Teurere Mittel werden deutlich günstiger. Gerade chronisch Kranke profitieren, wenn sie teurere Mittel für den Langzeitgebrauch erwerben möchten. Letztlich zählt aber der tatsächliche Stückertrag, und der ist für die Apotheke aufgrund der mäßigen, prozentualen Komponente und der erzielten Rabatte immer noch ordentlich.

                  Dem Versandhandel wird Wind aus den Segeln genommen, und auch etlichen Discount-Konzepten. Die Profilierung im Hochpreissegment über den Preis fällt schwerer.

                  .Aber vergessen wir nicht: Ein solches Modell wäre auch Verpflichtung! Ein festes Honorar bedeutet, dass der Kunde selbst bei einem (jetzt eben nicht mehr ganz so billigen) Produkt stets die volle Aufmerksamkeit verlangen kann. Bei dem täglichen "OTC-Kleinkram" hat künftig genau hingeschaut zu werden. Was jetzt noch sehr unterschiedlich je nach Apotheke gehandhabt wird, muss bei einer solchen neuen Honorierung auf einem gleichmäßig hohen Qualitätslevel – mit nur noch absolut seltenen Ausreißern nach unten – stattfinden. Das ist der Preis, den die Apotheken zu zahlen hätten, im Sinne einer Profilierung als Heilberufler aber ein Preis, der in jedem Falle der Zukunftssicherung dient.

                  Einwände

                  Gerne wird das Argument angeführt, dass die Preisfreigabe ja nicht zu einem unerwünschten Mehrgebrauch von OTC-Arzneimitteln geführt hat – wie die trüben Absatzzahlen tatsächlich suggerieren. Das bisherige System der "freien Preise" hat sich also vordergründig bewährt. Doch ist das nur die halbe Wahrheit: Das Fehlgebrauchs- und Beratungspotenzial des bestehenden Marktes wird damit überhaupt nicht beschrieben. Der Versandhandel ist ein beratungstechnisches "schwarzes Loch". Doch immer wieder werden selbst Offizinapotheken an den Pranger gestellt, weil ihre Beratungsleistung zu wünschen übrig lässt – auch und gerade bei (eben nicht harmlosen) Billigpräparaten wie Schmerzmitteln oder Nasensprays. Andererseits, wer kann dies rein kaufmännisch betrachtet verdenken, bei einem Stückertrag im Centbereich. Diesem Argument wäre durch das neue Modell der Boden entzogen.

                  Die Umstellung der Preissystematik kann weiterhin zu Umschichtungen des Marktes führen: Heutige Billigstpräparate erleiden Rückgänge. Teurere Mittel werden attraktiver, doch könnte dies durch eine entsprechende Preispolitik der Hersteller (die Anbieter schöpfen den gewonnenen Spielraum durch Preiserhöhungen ab) konterkariert werden. Nichtsdestotrotz wäre der Ansatz, die Preisbildung stärker unabhängig vom Preis zu gestalten und vermehrt auf den Stückertrag zu fixieren, richtig. Auch im Sinne einer objektiveren Patientenberatung.

                  Fazit

                  Spätestens, wenn das Kombimodell beim Großhandel Wiederauferstehung feiern sollte, ist das OTC-Kombimodell eine logische Weiterentwicklung in der Apotheke. Was für den Großhandel recht ist ("Billig-Generika lohnen sich nicht"), ist spätestens am HV-Tisch im Sinne der Patienten nur billig. Aber unabhängig davon ist es ein Modell, welches der Trivialisierung des Arzneimittels entgegentritt und die Position der Apotheke unterstreicht.

                  Ohne Zweifel kann dieses Modell noch "feingeschliffen" werden. Die vorgestellten Zahlen sind eine Diskussionsgrundlage, die orientiert an den heutigen Rohgewinnen, zu einer ehrlichen, aufwandangemessenen Honorierung führen würden. Hierzu muss freilich der Gesetzgeber mitspielen. Die Diskussion ist eröffnet..

                  Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, Philosophenweg 81, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

                  AEP netto

                  in Euro
                  AVP netto

                  AMPreisV alt

                  in Euro
                  AVP brutto

                  AMPreisV alt

                  in Euro
                  Rohgewinn

                  ohne Rabatte

                  in Euro
                  AVP netto

                  Kombimodell

                  3,50 € + 10%
                  AVP brutto

                  Kombimodell

                  3,50 € + 10%
                  Rohgewinn

                  ohne Rabatte

                  in Euro
                  0,50
                  0,84
                  1,00
                  0,34
                  4,05
                  4,82
                  3,55
                  1,00
                  1,68
                  2,00
                  0,68
                  4,60
                  5,47
                  3,60
                  1,50
                  2,43
                  2,89
                  0,93
                  5,15
                  6,13
                  3,65
                  2,00
                  3,24
                  3,86
                  1,24
                  5,70
                  6,78
                  3,70
                  2,50
                  4,05
                  4,82
                  1,55
                  6,25
                  7,44
                  3,75
                  5,00
                  7,85
                  9,34
                  2,85
                  9,00
                  10,71
                  4,00
                  10,00
                  14,80
                  17,61
                  4,80
                  14,50
                  17,26
                  4,50
                  20,00
                  28,35
                  33,74
                  8,35
                  25,50
                  30,35
                  5,50
                  30,00
                  40,78
                  48,53
                  10,78
                  36,50
                  43,44
                  6,50
                  40,00
                  52,00
                  61,88
                  12,00
                  47,50
                  56,53
                  7,50
                  50,00
                  65,00
                  77,35
                  15,00
                  58,50
                  69,62
                  8,50
                  75,00
                  97,50
                  116,03
                  22,50
                  86,00
                  102,34
                  11,00
                  100,00
                  130,00
                  154,70
                  30,00
                  113,50
                  135,07
                  13,50
                  Tab.: Konsequenzen für die Endpreise und Stückerträge bei einem neuen Preisbildungsmodell

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