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Interpharm 2009
Wirtschaftlichkeit darf Sicherheit nicht gefährden!
Sowohl Ranibizumab als auch Bevacizumab sind Entwicklungen des Biotechnologieunternehmens Genentech. Genentech wurde 1976 in San Francisco gegründet, 1990 von dem Schweizer Pharmaunternehmen Hoffmann La Roche gekauft und fungiert seit Mitte 1999 wieder als eigenständiges Unternehmen an der New Yorker Börse. Hauptaktionär ist Roche. Kürzlich fiel die Entscheidung, dass Roche für rund 45 Mrd. Dollar auch die restlichen Anteile übernimmt. Bevacizumab (Avastin®) wird in Europa von Roche vertrieben, Lucentis von der Firma Novartis, die an Roche eine Beteiligung von 30% hält. Diese Verflechtungen haben immer wieder zu Spekulationen geführt, dass die unterschiedliche Entwicklung beider VEGF-Inhibitoren reine Marketingstrategie war. Ranibizumab ist das Fab-Fragment von Bevacizumab. Lucentis sei deshalb lediglich ein neu verpacktes Avastin. Dem widersprach Dierk Neugebauer, Novartis, vehement. Zwar halte Novartis Anteile an Roche, habe aber keinen Einfluss auf die Firmenpolitik. Bevacizumab, damals nur für onkologische Indikationen zugelassen, wurde erstmals 2005 von dem Amerikaner Philip Rosenfeld off label bei feuchter AMD eingesetzt. Angesichts der sichtbaren Erfolge wendeten Augenärzte daher weltweit Avastin an, ohne dass klinische Studien vorlagen. Ranibizumab wurde damals zwar schon gezielt auf einen Einsatz bei feuchter AMD geprüft, stand aber, da noch nicht zugelassen, noch nicht zur Verfügung. In den Jahren 2005 bis 2007 ist Avastin wesentlich häufiger zur AMD-Behandlung eingesetzt worden als Lucentis.
30-fach höherer Preis
Warum der Off-label-Gebrauch von Avastin nach der Einführung von Lucentis im Januar 2007 überhaupt noch ein Thema ist, liegt an dem großen Preisunterschied zwischen Lucentis und Avastin: Eine Injektionsbehandlung mit Lucentis (0,05 ml mit 0,5 mg aus einer Durchstechflasche mit 2,3 mg in 0,23 ml Lösung) schlägt mit etwa 1500 Euro zu Buche (die Durchstechflasche selbst kostet 1296 Euro), während der Preis für eine Avastin-Injektion inklusive aller Kosten für die Injektion in den Glaskörper bei Bündelung von Rezepturen und unter Berücksichtigung der aseptischen Herstellung durch Apotheken bei etwa 50 Euro liegen kann. Die Zahl der behandlungsbedürftigen Neuerkrankungen an AMD wurde in der Gesprächsrunde auf 40.000 bis 60.000 beziffert. Professor Johann Baptist Roider, Kiel, sprach von 200.000 Injektionen, die in Deutschland jährlich zur Behandlung von AMD-Patienten notwendig seien.
Avastin = Lucentis?
Durch den Off-label-Einsatz von Avastin lassen sich hohe Einsparungen erzielen. Vertretbar ist das nach Ansicht Roiders nur, wenn beide Substanzen gleich gut wirken. Davon sei man bislang ausgegangen. Doch eigene Forschungsergebnisse lassen Roider nun an dieser Einschätzung zweifeln. Danach wird Bevacizumab im Gegensatz zu Ranibizumab in Pigmentepithelzellen aufgenommen und akkumuliert dort. Das kann zu einem Untergang des Pigmentepithels führen. Roider warnte daher auch vor einem weiteren Off-label-Einsatz von Bevacizumab: "Solange wir keine kontrollierten Studien dazu haben, wissen wir nicht, was in 10 Jahren ist".
Vergleichsstudie soll Klarheit bringen
Prof. Dr. Gerd Glaeske, Bremen, stimmte mit ihm in der Forderung nach Langzeitstudien überein, wies aber darauf hin, dass diese auch für Lucentis fehlen würden. Vor dem Hintergrund fehlender Avastin-Studien zur AMD-Behandlung wurde Mitte 2008 an der Universität Bremen eine Vergleichsstudie zu Avastin und Lucentis gestartet (VIBERA). Es handelt sich dabei um eine herstellerunabhängige prospektiv randomisierte Doppelblindstudie. Sie soll klären, ob beide Substanzen gleich gut wirken. Wird die Nichtunterlegenheit von Bevacizumab in dieser Studie nachgewiesen, dann soll dies in eine De-facto-Zulassung von Bevacizumab münden. Damit wäre die Grundlage für eine Erstattungsfähigkeit von Bevacizumab durch die gesetzlichen Krankenkassen gelegt.
Gierige Pharmaindustrie?
Auf die Frage, wie er den Off-label-Einsatz von Avastin bewerte, wies Glaeske auf die Rechtslage hin, nach der dieser eigentlich nach der Einführung von Lucentis nicht mehr erlaubt sei, prangerte aber in diesem Zusammenhang die Gier der Pharmaindustrie an, die es sich erlauben würde, Arzneimittel mit vergleichbaren Indikationen 30-fach teurer anzubieten. Es sei ein Privileg der Herstellerfirmen in Deutschland, dass sie ihre Arzneimittelpreise selber festlegen könnten. Das gebe es in keinem anderen europäischen Land. Neugebauer wollte den Vorwurf der Gier nicht auf sich sitzen lassen und verwies auf die hohen Investitionskosten von Lucentis. Das Risiko dafür trage der Unternehmer alleine. Würden die Krankenkassen das Risiko mittragen, dann könne man über die Kosten reden. Glaeske ließ trotzdem Zweifel daran laut werden, ob die Hersteller ihrer sozialen Verantwortung bei der Preisfindung noch nachkommen und nannte als weiteres Beispiel die Kosten für die HPV-Impfung. Zwar hatte Novartis den Krankenkassen angeboten, dass sie nur die Kosten für die Behandlung von 25.000 Patienten übernehmen müssen, die Behandlung weiterer Patienten sollte nicht mehr in Rechnung gestellt werden. Man frage sich aber, warum der Preis nicht gleich auf die Hälfte gesenkt worden sei. Den Grund dafür sieht Glaeske darin, dass Deutschland Referenzmarkt für Arzneimittelpreise sei.
Auseinzeln – wer haftet?
Nach wie vor ist die VEGF-Behandlung der AMD nicht im Gebührenkatalog der Ärzte erfasst. Krankenkassen haben daher zum Teil direkt Verträge mit Augenärzten abgeschlossen. So bestehen nach Roider beispielsweise Verträge mit der AOK, BKK und IKK in Westfalen-Lippe über eine Anti-VEGF-Pauschale von 350 € und eine Ranibizumab-Pauschale von 950 €, mit der DAK Baden-Württemberg über eine Anti-VEGF-Pauschale von 400 €. Solche Verträge drängen jedoch die Ärzte zur Verwendung von ausgeeinzeltem Avastin oder Lucentis. Besonders lukrativ ist die Mehrfachentnahme aus einer Avastin-Flasche. Aber auch bei Lucentis werden nicht die in einer Verpackungseinheit enthaltenen 0,23 ml benötigt, sondern nur 0,05 ml, so dass auch Lucentis ausgeeinzelt wird. Es kann beispielsweise über eine Versandapotheke in Norddeutschland bezogen werden, die eine entsprechende Herstellungserlaubnis hat. Apotheker Dr. Hermann Vogel jun., München, wies auf die Probleme der Produkthaftung hin, die bei dem Apotheker liegen würde, der dieses ausgeeinzelte Lucentis über eine Versandapotheke bezieht und in seiner Apotheke abgibt. Er hat sich bislang erfolgreich gegen den Bezug und die Abgabe von ausgeeinzeltem Lucentis gewehrt. Vor dem Hintergrund der Gefahren einer möglicherweise nicht sterilen Entnahme appellierte er an die pharmazeutische Verantwortung des Apothekers, die er gegenüber seinem Patienten hat. Dies veranlasste Glaeske zu einem eindeutigen Bekenntnis für die Arzneimittelsicherheit. Er sprach sich gegen das Teilen von Tabletten aus rein wirtschaftlichen Überlegungen ebenso aus wie gegen die Entnahme von Arzneistoffen aus steril verpackten Einheiten. Die Therapiesicherheit dürfe nicht auf dem Altar der Wirtschaftlichkeit geopfert werden.
du
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