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Schweinegrippe – die Pandemie ist da, und keiner hat Angst

Als sich in den 1980er Jahren Zwischenfälle und Katastrophen in der Großindustrie häuften – denken wir an Tschernobyl, an Seveso, an die Rheinverseuchung durch den Brand in Schweizerhalle – da waren diese von einer Informationspolitik begleitet, die darin bestand, gerade nur so viel zuzugeben und verlauten zu lassen, wie unbedingt nötig.

Dies hat sich gründlich geändert. Ob BSE oder Sars, Vogel- oder Schweinegrippe, informiert wird heute auf Teufel komm raus. Auch wer nichts Genaues weiß, informiert schon mal. Und wenn auch nicht alle Informanten das Gleiche (und nicht alle die Wahrheit) sagen, alle nehmen an, dass das, was sie sagen, für uns Bürger zu wissen wichtig sei. 

Vor allem das Fernsehen nimmt seinen öffentlich-rechtlichen Informationsauftrag in vorbildlicher Weise wahr. Bei der Vogelgrippe war man dabei, wenn Soldaten in öffentlichkeitswirksamen ABC-Schutzanzügen und Gasmasken Tierställe entsorgten, mutige Minister zur Beruhigung der Öffentlichkeit lächelnd Hühnerfleisch aßen, und sogar, wenn an einsamen Seeufern Wanderer auf tote Wildvögel stießen. Und es wurde uns gesagt, dass das Pandemierisiko so hoch sei wie seit Jahrzehnten nicht, weswegen Bund und Länder fürsorglich für uns beschlossen, massiv die Arzneivorräte aufzustocken. 

Die einen machten bei der Katastrophenabwehr Geschäfte (Roche), die anderen Verluste. Der Zusammenbruch des Fleischmarktes während der BSE-Krise hat in Deutschland Kosten von über einer Milliarde Euro verursacht. Die Sars-Krise hat die Lufthansa allein durch den Buchungsausfall im Asienverkehr Millionen gekostet. 

Und nun ist sie doch gekommen, die Pandemie, die uns so oft angekündigt worden war, wenn auch nicht die der Vögel, sondern die der Schweine, womit endlich auch einmal die Experten Recht behalten haben. Und obwohl wir monatelang informiert und gewarnt (gleichzeitig aber auch beschwichtigt) wurden, niemand hat Angst, was die Verantwortlichen verwundert, aber nicht verwunderlich ist.

Die Bürger erinnern sich nämlich plötzlich wieder der vielen anderen vorhergesagten Katastrophen, bei denen es nicht so schlimm gekommen ist, wie Staat und Experten befürchtet hatten. Und so fragen sich viele (mit Recht), ob all die Aktionen überhaupt nötig waren oder uns alle nur Geld gekostet haben.

Dies alles macht der Öffentlichkeit eigentlich nur klar, dass die Aktionen der Experten und Politiker mehr ratlos als souverän sind. Die Menschen sind zutiefst verunsichert und trauen den Voraussagen beider (mit Recht) nicht mehr. Und sie fragen sich, was wohl als nächstes aus der Büchse der Pandora herauskommen wird. Zu viele Zwischenfälle und Katastrophen, laienhafte Fehleinschätzungen und bewusste Fehlinformationen hat es gegeben, als dass Skepsis nicht auch gerechtfertigt wäre. Angst aber wird nicht durch Information überwunden, sondern durch Vertrauen zu den Informanten. Und mit diesem ist es, wie wir wissen, nicht mehr weit her.

Es ist richtig, wie der Journalismusforscher Professor Kepplinger sagt, dass an der Situation viel die Medien Schuld haben, da sie sich in ihrer Berichterstattung besonders für die Schwere (den potenziellen Schaden) eines Risikos interessieren, und weniger für die Wahrscheinlichkeit, dass das Risiko eintritt. Aber nicht nur die mediale Dramatisierung ist das Problem, auch das Geltungsbedürfnis der Experten ist es, und auch das Sicherheitsbedürfnis derer, die Verantwortung tragen.

Vermehrt melden sich heute Organisationen und Experten zu Wort, vor allem auch um ihre Existenzberechtigung nachzuweisen. Es ist lange her, dass die WHO ihre Bedeutsamkeit so eindrucksvoll demonstrieren konnte wie mit der langsamen Hochstufung der Schweinegrippe auf der Pandemieskala. 

Andererseits sind die Verantwortlichen dem ständigen Druck unterschiedlicher Interessen ausgesetzt und geraten dadurch rasch in Handlungszwang. So werden ihre Entscheidungen stärker auf kommenden Möglichkeiten als auf gegenwärtig erkennbaren Wahrscheinlichkeiten aufgebaut. Die Situation wird für die Verantwortlichen noch dadurch erschwert, dass sie wissen, dass jemand am Schluss für die falsche Entscheidung zur Rechenschaft gezogen wird, weswegen sie bei der Beurteilung der Lage immer von der schlechtesten Alternative ausgehen und ohne Mühen und (unsere) Kosten zu scheuen die weitreichendsten Entscheidungen treffen. Solche Aktionen schützen dann meist weniger die Gefährdeten als diejenigen, die für die Gefährdeten Verantwortung tragen.

Nach allen Erfahrungen, die mit staatlichem Krisenmanagement bisher gemacht wurden, weiß man, dass die vorgenommenen Aktionen nicht unbedingt dazu beitragen, das Leben der Bürger sicherer, aber viel dazu beisteuern, es teurer zu machen. 

Klaus Heilmann
 

Prof. Dr. med. Klaus Heilmann beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Risikoforschung, Krisenmanagement und Technikkommunikation. In der DAZ-Rubrik "Außenansicht" greift Heilmann Themen aus Pharmazie, Medizin und Gesellschaft aus Sicht eines Nicht-Pharmazeuten vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen auf.

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