DAZ aktuell

Apotheker muss unklare Indikation klären

BERLIN (ks). Die derzeit hitzig geführte Auseinandersetzung um die Austauschbarkeit wirkstoffgleicher Arzneimittel, die nicht für identische Anwendungsgebiete zugelassen sind, hat auch die Gerichte erreicht. Nach einem Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts (OLG) verfügt ein wirkstoffgleiches Arzneimittel bereits dann über den "gleichen Indikationsbereich" im Sinne des § 129 Abs. 1 S. 2 SGB V, wenn es für diejenige Einzelindikation zugelassen ist, für die das auszutauschende Arzneimittel verordnet wurde. Ist die Substituierbarkeit wegen unterschiedlicher Indikationsbereiche unklar, darf der Apotheker das preisgünstige Arzneimittel aber nicht abgeben, bevor die Unklarheit – etwa durch Rücksprache mit dem verordnenden Arzt – beseitigt ist. (Urteil vom 2. Juli, Az.: 3 U 221/08)

Das Gericht hatte sich mit dem Streitfall Clopidogrel zu befassen. Während das Originalpräparat Iscover® (Bristol-Myers Squibb) zur Prävention atherothrombotischer Ereignisse bei Patienten mit Herzinfarkt (wenige Tage bis 35 Tage zurückliegend), mit ischämischem Schlaganfall (7 Tage bis 6 Monate zurückliegend) oder mit nachgewiesener peripherer arterieller Verschlusskrankheit zugelassen ist – und auch bei Patienten mit akutem Koronarsyndrom, hat das generische Präparat von Hexal für letzteres Anwendungsgebiet keine Zulassung. Der Originalhersteller schrieb daher Krankenkassen, Ärzte und Apotheker an und erklärte, dass sein Präparat angesichts der Zulassungsunterschiede grundsätzlich nicht substituierbar sei. Das Generikaunternehmen erwirkte vor dem Landgericht eine einstweilige Verfügung gegen den Originalhersteller, mit der diesem untersagt wurde, bestimmte Werbeaussagen hinsichtlich der Austauschbarkeit zu verwenden. Die vor dem Hanseatischen OLG eingelegte Berufung blieb ohne Erfolg.

Rücksprache nötig

Die Oberlandesrichter schlossen sich den Ausführungen des Landgerichts an, wonach die Vorschrift des § 129 Abs. 1 Nr. 1b) SGB V den Austausch von Iscover® durch Clopidogrel-Besilat-haltige Präparate wie Clopidogrel von Hexal im Hinblick auf den Indikationsbereich nicht ausschließt. Nach dem Wortlaut der Vorschrift ist im Falle der Ersetzung durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel ein Präparat abzugeben, "das mit dem verordneten in Wirkstärke und Packungsgröße identisch sowie für den gleichen Indikationsbereich zugelassen ist und ferner die gleiche oder eine austauschbare Darreichungsform besitzt." Diesem Wortlaut lasse sich zwar nicht eindeutig entnehmen, ob die Voraussetzung des "gleichen Indikationsbereichs" nur dann gegeben ist, wenn das preisgünstigere Präparat die vollständig identische Indikationsbandbreite des auszutauschenden Arzneimittels aufweist oder ob eine Übereinstimmung der der Verordnung zugrunde liegenden (Einzel-)Indikation ausreicht. Der vom Gesetzgeber verfolgte Zweck der Regelung sei aber die Ausschöpfung von Wirtschaftlichkeitsreserven bei gleichzeitiger Gewährleistung einer qualitativ gleichwertigen Versorgung der Versicherten. Daher sei der Auffassung der Vorzug zu geben, dass eine Übereinstimmung der verglichenen Präparate in der konkret zu behandelnden Indikation ausreichen muss, um eine Ersetzung durch das preisgünstigere Medikament zu ermöglichen, so das OLG. Dabei sieht das Gericht durchaus, dass bei Unterschieden in den Indikationsbereichen Unklarheiten hinsichtlich der Substituierbarkeit auftreten können; diesem Umstand könne jedoch in Befolgung des § 17 Abs. 5 Apothekenbetriebsordnung Rechnung getragen werden. Nach dieser Vorschrift darf ein Apotheker, der gegenüber einer ärztlichen Verordnung Bedenken hegt, das Arzneimittel nicht abgeben, bevor die Unklarheit beseitigt ist, d. h. bevor er mit dem verordnenden Arzt Rücksprache gehalten hat. Das Maß der hierbei dem Apotheker übertragenen Verantwortung unterscheidet sich dem Urteil zufolge qualitativ nicht von seiner durch § 129 Abs. 1 Nr. 1a SGB V eröffneten Einschätzungsbefugnis im Falle der Verordnung unter Wirkstoffbezeichnung: Auch hier müsse sich der Apotheker Gewissheit darüber verschaffen, dass das ausgewählte preisgünstige Arzneimittel für die der Verschreibung zugrunde liegende Indikation zugelassen ist, um einen unter dem Aspekt der Verkehrsfähigkeit des Arzneimittels unzulässigen off label use zu verhindern.

Zulassungserweiterung für Clopidogrel-Generika

Im konkreten Fall ist das Problem mittlerweile behoben. Hexal – wie auch Ratiopharm – haben vergangene Woche eine erweiterte Zulassung für ihre Clopidogrel 75 mg Filmtabletten erhalten. Damit sind die Präparate nunmehr indikationsgleich zu Plavix® und Iscover®. Die generischen Clopidogrel-Präparate stehen in der Indikationserweiterung ab sofort zur Verfügung. Ratiopharm beziffert den aktuellen Preisvorteil gegenüber den Originalprodukten auf bis zu 36 Prozent, dies entspreche einem Betrag von 99,33 Euro. Auch bei Hexal bewegt sich der Preisvorteil in dieser Größenordnung (Stand der Lauertaxe jeweils zum 15. Juli 2009).

Dennoch wird das Austauschbarkeits-Problem im Apothekenalltag immer wieder auftauchen – jedenfalls bis zur bald erhofften endgültigen Klärung im Rahmenvertrag zwischen dem Deutschen Apothekerverband und dem GKV-Spitzenverband. Bis dahin muss der Apotheker nach den Vorgaben des Hanseatischen OLG im Zweifel stets nachforschen, in welcher Indikation das verschriebene Präparat angewendet werden soll. Mittlerweile hat sich dieser Rechtsauffassung auch schon das Landgericht Frankfurt/Main in einem einstweiligen Verfügungsverfahren angeschlossen (Beschluss vom 13. Juli, Az.: 3-11 0 96/09).

Entscheidung im Wortlaut bei DAZonline

Das Urteil des Hanseatischen OLG können Sie neben anderen apotheken- und arzneimittelrechtlichen Entscheidungen im Wortlaut abrufen bei DAZonline unter www.deutsche-apotheker-zeitung.de.

Rubrik: Recht/Urteile, Benutzername: apotheke, Kennwort: daz.

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