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Zum Tod der Apothekerin Marwa El-Sherbini
Marwa El-Sherbini wurde 1977 in Alexandria in Ägypten geboren, studierte von 1995 bis 2000 Pharmazie und folgte 2005 ihrem Mann, dem Genetiker Elwi Ali Okaz, nach Deutschland. Das Ehepaar wohnte erst in Bremen, seit 2008 in Dresden, wo Ali Okaz am Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik eine Stelle als Doktorand hatte. El-Sherbini arbeitete in Dresden zunächst als Pharmaziepraktikantin in der Apotheke des Uniklinikums, später in einer öffentlichen Apotheke. Die Apothekenleiterin hatte El-Sherbini eingestellt, obwohl diese beim Vorstellungsgespräch angekündigt hatte, dass sie bei der Arbeit stets ein Kopftuch tragen werde. Die Arbeitgeberin war mit dem Auftreten ihrer Praktikantin sehr zufrieden.
"… keine richtigen Menschen … "
El-Sherbini war seit 2006 Mutter eines Sohnes, mit dem sie öfters auf einen Spielplatz ging. Dort wurde sie im August 2008 von Alex W., einem vor fünf Jahren eingewanderten, damals 27-jährigen Russlanddeutschen, als "Islamistin", "Terroristin" und "Schlampe" beschimpft. Sie erstattete Anzeige wegen Beleidigung, worauf W. in einem Gerichtsverfahren zu einer Geldstrafe verurteilt wurde. Der Staatsanwalt sah hier jedoch einen Fall von Ausländerfeindlichkeit und ging in Berufung, zumal W. behauptet hatte, "solche Leute", d. h. Muslime, könne man gar nicht beleidigen, da sie "keine richtigen Menschen" seien.
Während der Berufungsverhandlung am 1. Juli tötete W. die im dritten Monat schwangere El-Sherbini mit 18 Messerstichen im Gerichtssaal. Ihren Mann, der ihr zu Hilfe eilte, verletzte er lebensgefährlich. Der für die Justizbehörden völlig überraschende Mord erregte im Ausland, insbesondere in der islamischen Welt, größeres Aufsehen als in Deutschland.
"Kopftuch-Märtyrerin"
Der Leichnam von El-Sherbini wurde am 5. Juli nach Ägypten überführt und einen Tag später beigesetzt. Eine große Menschenmenge nahm an den Trauerfeierlichkeien teil, pries die Tote als "Kopftuch-Märtyrerin" und verlangte nach Rache. Auch in vielen anderen islamischen Metropolen gab es lange Demonstrationszüge. Irans Präsident Ahmadinedschad bezeichnete die Tat als vorprogrammiert und forderte die internationale Staatengemeinschaft auf, Sanktionen gegen Deutschland zu verhängen. Der Zentralrat der Muslime in Deutschland äußerte sich besorgt über die wachsende Islamfeindschaft im Internet, die den Boden für solche Taten bereite. Auch der Zentralrat der Juden in Deutschland solidarisierte sich, sein Generalsekretär Stephan Kramer kondolierte dem Ehemann der Ermordeten persönlich. Hingegen warnte die Vorsitzende des Zentralrats der Ex-Muslime, Mina Ahadi, davor, den schrecklichen Mord zum Anlass zu nehmen, Islamkritikern einen Maulkorb zu verpassen
Politiker haben spät reagiert
Am Samstag, dem 11. Juli fand in Dresden eine öffentliche Trauerfeier mit rund 1500 Teilnehmern für die Ermordete statt. Daran nahmen auch der SPD-Bundesvorsitzende Müntefering sowie Sachsens Wissenschaftsministerin Eva-Maria Stange (SPD) teil. Am selben Tag verurteilte Bundeskanzlerin Merkel öffentlich die Tat und kondolierte dem ägyptischen Staatspräsidenten Mubarak. Nach Meinung einiger Kommentatoren reagierte das politische Establishment reichlich spät auf die Tat. Andere Kommentatoren werteten die Tat als Einzelfall, aus dem man keine Schlüsse auf die Stimmung in der Bevölkerung ziehen könne.
Antonie Marqwardt, Vorstandsmitglied im Deutschen Pharmazeutinnen Verband, schrieb: "Durch die zunehmende Globalisierung ist es auch im Gesundheitsbereich immer notwendiger, dass Apothekerinnen und Apotheker über Grenzen und Kulturen hinweg zusammenarbeiten. Hierzu brauchen wir weltoffene, selbstbewusste Kolleginnen und Kollegen. Mit dem Tod von Marwa El-Sherbini ist uns eine solche Kollegin genommen worden."
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