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Neue Bücher & Medien
Was Sie schon immer über Arzneimittelabhängigkeit wissen wollten …
Sie wird in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, aber wie ich aus dem Buch "Die Stille Sucht" erfahren konnte, leiden in Deutschland etwa zwei Millionen Menschen an der Arzneimittelabhängigkeit. Das Buch beschreibt die Ursachen sowie Folgeschäden der Medikamentenabhängigkeit und zeigt die therapeutischen Möglichkeiten auf. Es richtet sich an Fachkreise, insbesondere Apothekerinnen und Apotheker sowie Ärztinnen und Ärzte. Es ist aber so geschrieben, dass auch Krankenschwestern, Pflegeheimpersonal und andere in Gesundheitsberufen Tätige hier ein gutes Nachschlagewerk finden. Das Buch sensibilisiert nicht nur für das Thema, sondern nützt dem Leser bei seinen täglichen Kontakten mit Patienten, vor allem denen in der öffentlichen Apotheke und Arztpraxis.
Das Buch blickt über den Tellerrand hinaus und beschreibt ebenfalls die Problematik von verschiedenen Genussmitteln. Dazu zählen neben Alkohol und Nicotin aktuelle Lifestyledrogen wie Ecstasy, Poppers oder Amfetamine, aber auch Schokolade. Das passt, wie ich denke, zum Themengebiet, denn alle Mittel werden genutzt, um den Zustand des Körpers zu verändern; einen Zustand, der auf vermeintliches, da oft kurzfristiges, Wohlbefinden abzielt. Arzneimittel und Genussmittel im Dauerkonsum sind keine Lösung.
Der Autor, Dr. Ernst Pallenbach, Krankenhausapotheker und Experte auf dem Gebiet der Suchtfragen, nennt die Abhängigkeit von Psychopharmaka, Hypnotika und Tranquilizer eine "rosa Brille für die Seele". Dies kann aber auch auf alle anderen Mittel mit Suchtpotenzial übertragen werden. Schmerzmittel, Laxantien, Schlankheitsmittel, Dopingmittel und Genussmittel – versprechen sie uns nicht alle die schnelle positive Zustandsänderung ohne viel Mühe? Sie können bei Dauerkonsum schrittweise eine Veränderung der Persönlichkeit hervorrufen und führen zu einem psychischen Druck und Freiheitsverlust des Betroffenen. Dies stellt Dr. Pallenbach in einer sachlichen, in der Regel objektiven Sprache dar. Nur manchmal lässt sich seine Einstellung nicht verheimlichen, so zum Beispiel bei rhetorischen Fragestellungen in seinem Kapitel über Psychopharmaka, Hypnotika und Tranquilizer: "Und ist es für alle Beteiligen nicht eine wunderbare Bestätigung, wenn eine 83-jährige Patienten nach dem Entzug nach vielen Jahren das erste Mal wieder ins Schwimmbad geht?". Eine Einstellung, die der weit verbreiteten Meinung, man solle Menschen im Alter doch ihre Schlaftabletten lassen, kritisch gegenübersteht. Dr. Pallenbach engagiert sich seit Jahren stark gegen den Medikamentenmissbrauch, vor allem der weit verbreiteten Benzodiazepinabhängigkeit älterer Menschen. Er beschreibt in seinem Buch, wie auch ältere Menschen einen Weg aus der Abhängigkeit finden und ihren Lebensabend meistern können "ohne zugedröhnt zu sein".
Die Übersichtstabelle der Halbwertszeiten nach Einnahme von Benzodia zepinen wie auch die Kontaktadressen im Anhang sind für mich besonders interessant. Schön, dass einige Fotos, Berichte von Betroffenen und Kurzgedichte das eher strenge Thema auflockern und zum Nachdenken anregen.
Das Kapitel über den Internethandel und Arzneimittelfälschungen hätte sich der Autor meiner Meinung nach sparen können – das ist ein Thema, dass auf einer anderen Plattform beschrieben und diskutiert werden sollte. Einzig, dass damit der große, anonyme Markt dargestellt wird, könnte ein Argument dafür sein. Dagegen geben die Kapitel über "Missbrauch und Rezeptfälschung" und "Medikamente im Straßenverkehr" für die Zielgruppe praxis-taugliche Hilfsstellungen. Hier gäbe es sicher auch noch mehr zu sagen. Ebenso hätte ich mir ein Kapitel zu Arzneimittelmissbrauch bei Tieren gewünscht, denn hier gilt häufig Ähnliches wie für den Humanpatienten; nur, dass hier der Mensch der "Auslöser" und Verantwortliche ist.
Überrascht hat mich, dass für ein Geleitwort die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Sabine Bätzing, gewonnen werden konnte. Schon das spricht für eine gewisse Qualität des Buches.
Fazit: Ein Fachbuch, dass angenehm zu lesen ist, übersichtlich zum Thema informiert und allen Interessierten empfohlen werden kann.
Karin Kegel, Assistentin der Bereichsleitung "Pharmazie + Wissenschaft" der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg
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