Feuilleton

Harnstoff = Treibstoff?

"Sensation: Urin entpuppt sich als neue Treibstoffquelle." "Urin als billiger Wasserstofflieferant" – "Urin statt Benzin" [1]. Wenn Urin in der Tat als Treibstoffquelle dienen sollte, so ist es wegen des darin enthaltenen Harnstoffs.
Urin in den Tank?
Foto: trans-o-flex

Man(n) sollte aber nicht so weit gehen, mittels eines Biohähnchens den Tank eines Pkws mit garantiert biologischem Treibstoff zu füllen. Denn erstens sind unsere Autos noch nicht auf Wasserstoff als Treibstoff umgerüstet, und zweitens muss aus dem Harnstoff zuerst mal elektrolytisch Wasserstoff erzeugt werden.

Umkehr der NH3 -Synthese

Bekanntlich findet heute die größte Menge des industriell erzeugten Harnstoffs weltweit als Düngemittel Verwendung. Zur Synthese des Harnstoffs wird Ammoniak als essenzielles Edukt benötigt. Gewonnen wird Ammoniak durch das Haber-Bosch-Verfahren aus den Elementen Wasserstoff und Stickstoff. Dabei ist die Darstellung des reinen Wasserstoffs mit einem sehr hohen Energieverbrauch gekoppelt. Für die Entwicklung des katalytischen Syntheseprinzips und seine großtechnische Umsetzung haben Fritz Haber (1918) und Carl Bosch (1931) den Chemie-Nobelpreis erhalten.

Wenn jetzt Harnstoff als Ammoniakderivat elektrolytisch zerlegt wird, um das Element Wasserstoff zu erzeugen, dann ist dies die Umkehr der Ammoniaksynthese. Bedenkt man, welche Anstrengungen notwendig waren, um aus zwei elementaren Gasen Ammoniak zu synthetisieren, erscheint es pervers, jetzt den umgekehrten Weg gehen zu wollen, um Wasserstoff zu erzeugen.

Warum also nicht gleich den Wasserstoff in den Tank pumpen? Wasserstoff ist ein leicht entzündliches Gas und technisch schwer zu handhaben. Es sei daran erinnert, dass am 6. Mai 1937 das Luftschiff LZ 129 Hindenburg bei der Landung in Lakehurst explodierte und dabei 36 von 98 Passagieren und Besatzungsmitgliedern ums Leben kamen. Die Traggaszellen der Hindenburg waren mit etwa 190.000 m3 Wasserstoff gefüllt.

Es ist daher sinnvoll, den Wasserstoff erst dann freizusetzen, wenn er als Treibstoff gebraucht wird. Und das kann tatsächlich durch die Elektrolyse mithilfe eines Katalysators erfolgen.

Zukunftsträume

Selbst wenn die Chemikerin Gerardine Botte mithilfe der Elektrolyse aus Urin Wasserstoff hergestellt hat, heißt das noch lange nicht, dass man in Zukunft nur noch in den Tank pinkeln müsste, um ihn mit biologisch nachwachsendem Treibstoff zu füllen. Der menschliche Harn enthält nur 1 bis 4% Harnstoff. Wohin mit dem überflüssigen Wasser? Jules Verne hätte beschreiben können, wie an den Autobahnen die Tankstellen durch Ablassstationen ersetzt werden. Zum Service gehörte dann neben dem gelegentlichen Ölwechsel das häufige Wasserlassen.

Warum nicht Wasser statt Harnstoff?

Obwohl das Wassermolekül nur zwei Wasserstoffatome enthält und das Harnstoffmolekül deren vier, ergibt die Elementaranalyse des Wassers 11,11% Wasserstoff, die des Harnstoffs nur 6,66% Wasserstoff. Wasser würde also bei geeigneter Elektrolyse weit mehr Wasserstoff liefern als Harnstoff. Dem steht entgegen, dass zur Elektrolyse des Wassers eine Spannung von 1,23 Volt benötigt wird, für die Elektrolyse des Harnstoffs (mit einer "neuen nickelbasierten Elektrode", so G. Botte) nur eine Spannung von 0,37 Volt [2]. Der Grund dürfte in der unterschiedlich starken Bindung der Wasserstoffatome an den Sauerstoff des Wassers bzw. an den Stickstoff des Harnstoffs liegen.

Was käme außer Harnstoff noch infrage?

Thioharnstoff, Guanidin, Acetamid? Aber die werden vom menschlichen Körper nicht als Biomüll ausgeschieden. Harnsäure enthält prozentual betrachtet zu wenig Wasserstoff. Es muss ja nicht immer biologisch sein. Wie wär’s mit Hydrazin? Da fällt mir ein, das wird ja schon als Treibstoff für Raketen verwendet.

 

Quelle 

[1] ral. Urin statt Benzin. Dtsch. Apoth. Ztg. 2009;149(29);3346. 

[2] Botte GG, et al. Chem Comun 2009; DOI: 10.1039/b905974a.

 

Autor


Prof. Dr. rer. nat. Dr. h. c. Hermann J. Roth
Friedrich-Naumann-Str. 33, 76187 Karlsruhe

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