Aus Kammern und Verbänden

5. Europäisches Pharmazeutinnentreffen in Leipzig

Kolleginnen aus Tschechien, Bosnien-Herzegowina, der Türkei und Norwegen berichteten auf Einladung des Deutschen Pharmazeutinnen Verbandes (DPV) und des Instituts für Pharmazie der Universität Leipzig beim 5. Europäischen Pharmazeutinnentreffen vom 4. bis 6. September 2009 in Leipzig über ihre aktuellen Tätigkeiten und Zukunftsprojekte. Das Treffen fand im Rahmen der 600-Jahr-Feier der Universität Leipzig statt und stand unter dem Motto: Pharmazeutinnen in Europa: Gestern – Heute – Morgen; deshalb kamen dort auch Pharmaziehistoriker zu Wort.
Organisationskomitee, DPV-Vorstandsmitglieder und Referenten beim 5. Europäischen Pharmazeutinnentreffen (v. li.): Katarzyna Ostendorf, Dr. Sule Apikoğlu Rabuş, Dr. Emina Ajanović, Antonie Marqwardt, Martina Hahn, Annette Dunin von Przychowski, Prof. Dr. Bettina Wahrig, Alena Linhartová, Prof. Dr. Karen Nieber, Prof. Dr. Christoph Friedrich, Hege Salvesen Blix.
Foto: Blasius

Nach der Begrüßung durch die DPV-Vorsitzende Annette Dunin von Przychowski und Grußworten von Göran Donner, Sächsische Landesapothekerkammer, sowie Prof. Dr. Karen Nieber, Universität Leipzig, warfen die Pharmaziehistoriker Prof. Dr. Christoph Friedrich, Marburg, und Prof. Dr. Bettina Wahrig, Braunschweig, einen Blick zurück in die Geschichte der Frauen in der Pharmazie. Wahrig konzentrierte sich in ihren Ausführungen auf die Themen

  • "Science of Gender", d. h. wie Geschlechterdifferenzen als körperliche Differenzen in der Vergangenheit erklärt wurden und wie sich diese Erklärungen im Laufe der Geschichte verändert haben, und
  • "Gender in Science", d. h. auf welche Weise die Fragestellungen der für die Pharmazie relevanten naturwissenschaftlichen Disziplinen von dem jeweiligen Geschlechterverhältnis abhängig waren.

Frauen in der Pharmazie, von "Null auf Hundert"

Friedrich schilderte auf anschauliche und spannende Weise, wie sehr die Frauen in früheren Jahrhunderten um ihren heute angestammten Platz in der Pharmazie zu kämpfen hatten. Pharmazeutische Tätigkeiten von Frauen in Apotheken sind bereits seit dem Mittelalter nachweisbar, und zwar in Frauenklöstern oder als Diakonissen, die Apotheken verwalteten. Darüber hinaus halfen vor allem in ländlichen Gebieten Apothekerfrauen ihren Männern in der Offizin. Aus der zunehmend konfliktgeladenen Situation heraus (siehe auch das Zitat) entbrannte im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts schließlich ein erbitterter Streit um die "Frauenfrage" in der Pharmazie. In Preußen wandte sich auch der 1896 gegründete "Apothekerrat" der Frauenfrage zu, aber erst die "Bekanntmachung, betreffend die Auslegung der Prüfungsordnung für Ärzte, Zahnärzte und Apotheker" vom 24. April 1899 ermöglichte Frauen den Zugang zum Apothekerberuf. Danach konnten Frauen, die als Gasthörerinnen Pharmazie studierten, die pharmazeutische Staatsprüfung ablegen, zuvor mussten sie aber einen Apotheker finden, der bereit war, sie in der dem Studium vorgeschalteten Lehr- und Gehilfenzeit auszubilden bzw. anzustellen; insofern war der Zugang zum Apothekerberuf schwierig. Obwohl in einigen Ländern bald ein reguläres Studium für weibliche Studenten eingeführt wurde, stieg der Anteil der Pharmaziestudentinnen nur langsam; 1919/20 betrug er erst 10,3%, 1938/39 aber bereits 42,3%. Der Zweite Weltkrieg, der viele männliche Apotheker zum Kriegsdienst verpflichtete, bereitete den Boden für den "Durchbruch" der Frauen in der Pharmazie. Heute haben sich die "Kräfteverhältnisse" auch an den Universitäten verschoben. Nach einer Erhebung waren im Jahr 2006 bereits mehr als ein Viertel aller Pharmazieprofessorinnen Frauen, davon über 30% auf C4-Positionen.

"Es ist unanständig und herabwürdigend für die Pharmazie, von Weibern ausgeübt zu werden … Kochlöffel, Spinnrocken und Nadel sind die Attribute einer Hausfrau, nicht aber Spatel, Schmelztiegel und Retorte. "

Alois Sterler, 1818

Pharmaceutical Care in der Türkei

Über die Diskrepanz zwischen universitärer Ausbildung und Apothekenpraxis in der Türkei

berichtete Dr. Sule Apiko˘glu Rabus¸ von der Marmara Universität in Istanbul. Auch in der Türkei müssen vor allem die in der Offizin tätigen Apotheker – insgesamt gibt es dort rund 30.000 Apotheker – heute eine zunehmend Patienten-orientierte Rolle einnehmen. Wie in vielen Ländern sind die Apotheken schnell erreichbare Anlaufstellen, wenn Patienten Hilfe suchen oder gesundheitlichen Rat einholen möchten. Zwar ermöglicht es die Einführung von Pharmaceutical-Care-Konzepten, besser in die Patienten-orientierte Rolle zu schlüpfen, jedoch fühlen sich in der Türkei viele Apotheker darauf noch nicht genügend vorbereitet, dies umso mehr, als in der Praxis viele der grundsätzlich rezeptpflichtigen Arzneimittel ohne ärztliche Verordnung abgegeben werden. Als Hauptgründe für die Unsicherheit und Unzufriedenheit in diesem Punkt nannte Apiko˘glu Rabus¸ das Fehlen von klinischer Kompetenz und beruflichem Selbstvertrauen. Das Pharmaziestudium an den insgesamt zwölf universitären Ausbildungsstellen verläuft in der Türkei sehr Produkt-orientiert, sodass die Apotheker häufiger klinisch-orientierte Schulungen besuchen müssen, um den Anforderungen des beruflichen Alltags gerecht werden zu können. Eine Umfrage unter rund 320 Apothekern, die regelmäßig an Fortbildungskursen zur klinischen Pharmazie teilnehmen, sollte klären, in welchem Umfang die universitäre Ausbildung für die tägliche Berufspraxis benötigt und verwendet wird. Das Ergebnis zeigte, dass hier tatsächlich noch vieles nachzubessern ist.

Interaktive Fortbildungs-Workshops in Tschechien

Über einen Ansatz, mit dem die Tschechen Pharmaceutical Care in der Praxis verbessern wollen, berichtete Apothekerin Alena Linhartová aus Prag. Es handelt sich um ein Fortbildungsprojekt der Tschechischen Pharmazeutischen Gesellschaft und der Tschechischen Apothekerkammer im Rahmen interaktiver Workshops. Das Training basiert auf dem Lösen von Patientenfällen, wobei die Teilnehmer möglichst aktiv einbezogen werden. Stets werden die Lösungsansätze von Apotheker und Arzt dargestellt. Derzeit wird eine Richtlinie erstellt, die die Qualität und Kontinuität des Projekts sicherstellen soll. Die Richtlinie soll verschiedene Aspekte des Workshops abbilden, wie z. B. das Vorgehen bei praktischen Übungen während des Workshops, Qualifikationen der Referenten, ein Qualitätskontrollmanagement und Verantwortlichkeiten im Projekt. Für das Jahr 2009 sind 57 Workshops in Tschechien geplant.

Daneben wurde kürzlich ein ähnliches, Web-basiertes Projekt auf die Beine gestellt, bei dem die während eines Workshops besprochenen Patientenfälle ins Internet gestellt werden. Auf diese Weise können auch Apotheker, die nicht an den Workshops teilnehmen, die Fälle selbstständig bearbeiten.

Pharmakoepidemiologie in Norwegen

Die Pharmakoepidemiologin Hege Salvesen Blix, die am Norwegischen Institut für Öffentliche Gesundheit in Oslo arbeitet, berichtete über eine vergleichende Untersuchung zu dem Verbrauch und den Anwendungsmustern von Antihypertensiva in Norwegen und anderen nordischen Ländern. Hierbei wurde die ursprünglich in ihrem Institut entwickelte ATC / DDD-Methode eingesetzt, die es erlaubt zu zeigen, wie die Medikation vom Geschlecht, Alter, von sozialen Unterschieden und vom Ausbildungsstand der Patienten abhängig ist. Eine wichtige Voraussetzung für solche detaillierten epidemiologischen Forschungen sind entsprechende Datensätze. Mit der Norwegischen Großhandelsstatistik und dem Norwegischen Verordnungsregister, beide an ihrem Institut angesiedelt, die darüber hinaus noch weiter mit anderen gesundheitsbezogenen nationalen Datenbanken vernetzt sind, findet Blix diesbezüglich in ihrem Land exzellente Bedingungen vor.

Chancen für Frauen in der Pharmaindustrie

Dr. Emina Ajanovi´c aus Sarajevo, Bosnien-Herzegowina, beurteilte die Chancen für Pharmazeutinnen in der Pharmaindustrie der Staaten in "Central and Eastern Europe" (CEE). Die dortigen Pharmamärkte sind zwar im Vergleich zu den westlichen Ländern relativ klein, jedoch werden ihnen laut Ajanovi´c trotz der globalen Finanzkrise weiterhin gute Wachstumsraten vorausgesagt, ein Grund, warum sich die Pharmahersteller momentan auch auf diese Länder konzentrieren. Da der Hauptfokus der Pharmaindustrie auf Umsatz und Marktanteilen liegt, werden besonders im Außendienst neue Stellen geschaffen. Hiervon können gut ausgebildete Pharmazeutinnen profitieren. Aber nicht nur als Pharmareferenten oder Produktmanager im Vertrieb, sondern auch im Bereich der medizinischen Forschung, etwa im Management klinischer Studien, finden Frauen vielversprechende Entwicklungsmöglichkeiten.

Derzeit sind die Löhne in den CEE-Ländern, verglichen mit den westlichen Ländern, allerdings sehr niedrig, und außerdem sind die höherrangigen Management-Positionen aufgrund des hoch-kompetitiven und nicht sehr familienfreundlichen Umfeldes bislang nur selten von Frauen besetzt.


Helga Blasius

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