Feuilleton

Opuntie oder Feigenkaktus – eine alte Nutzpflanze

Opuntien werden hierzulande gern als Zimmer- oder Kübelpflanzen gehalten. Zur Familie der Cactaceae gehörend, sind sie in der Neuen Welt heimisch. Dort wurden sie schon durch die Ureinwohner als Nutz- und Arzneipflanzen kultiviert. Die Eroberer brachten sie nach Europa. Heute sind Opuntien – allen voran die "Indische Feige" – in den wärmeren, trockenen Regionen aller Erdteile verwildert anzutreffen.
Eine winterharte Opuntie im Botanischen Garten in Leipzig.
Foto: Wylegalla

Die ersten Opuntien waren schon bald nach der Entdeckung Amerikas nach Europa gelangt. Reisende hatten beobachtet, dass sie für die indigenen Bewohner der Neuen Welt eine wichtige Rolle als Arznei- und Nutzpflanzen spielten. Der am Colegio de Tlatelolco tätige Indio Martín de la Cruz verfasste in seiner Sprache (Nahuatl) ein Buch über die Arzneipflanzen der Indianer, in dem er unter anderem eine Opuntie detailgetreu beschrieb. Die Übersetzung ins Lateinische durch Juan Bardiano, der "Codex Bardianus", folgte 1552. Darin steht auch eine Rezeptur zur Behandlung von Brandwunden, zu deren Zutaten unter anderem der Saft von "Tunas" – so die Bezeichnung für Feigenkakteen in der Neuen Welt – zählte. Auch der spanische Missionar Fray Bernardino de Sahagún berichtete 1569 im "Codex Florentinus" über den Anbau und die Nutzung von Opuntien durch die Azteken.

Die "Historia General y Natural de las Indias, Islas y Tierra Firme del Mar Océano", die der spanische Chronist Gonzalo Fernández de Oviedo 1535 in Sevilla publizierte, gilt indessen als erstes europäisches Werk, in dem eine "Indische Feige" oder "Tuna" abgebildet wird. Seit 1523 königlicher Berichterstatter für Westindien, hatte Oviedo beobachtet, dass Feigenkakteen für die Herstellung von "Wein" und die Gewinnung eines Farbstoffs (Cochenille) angebaut wurden.

Ein griechisches Kraut als Namenspate

Bereits 1558 beschrieb der italienische Arzt und Botaniker Pierandrea Mattioli, der nie in der Neuen Welt gewesen war, in seinen Kommentaren zur "Materia Medica" des Pedianos Dioskurides die medizinische Verwendung von Opuntien. 1571 berichteten die Ärzte Matthieu de Lobel und Pierre Péna über die Verbreitung der "Tuna" in den Mittelmeerländern. Sogar belgische Apotheker sollen damals Opuntien kultiviert haben.

Zu ihrem heute noch gültigen Namen kam die Kakteengattung allerdings erst um 1700. Der Geistliche, Botaniker und Forschungsreisende Joseph Pitton de Tournefort hatte sich dabei von dem griechischen Naturforscher Theophrast von Eresos inspirieren lassen. Dieser hatte im dritten vorchristlichen Jahrhundert bei der Stadt Opus in der Region Ost-Lokris ein wohlschmeckendes Kraut entdeckt, das Plinius d. Ä. 200 Jahre später nach dem Fundort "Opuntia" nannte. Wenn die Blätter dieser Pflanze, die sicher keine Kaktee war, abgetrennt und auf den Boden gelegt wurden, bewurzelten sie sich nach kurzer Zeit wieder. Ebenso können die – manchmal fälschlicherweise als Blätter bezeichneten – runden bis ovalen Sprosse von Feigenkakteen aus den Areolen heraus Wurzeln bilden.

Der schwedische Naturforscher Carl von Linné vereinigte die Opuntien und drei weitere zu seiner Zeit bekannte Kakteengattungen zur Gattung Cactus. Doch nur ein Jahr darauf trennte der schottische Botaniker Philip Miller die Feigenkakteen wieder ab. Er unterschied 14 Spezies, die er – wie schon Pitton de Tournefort – mit erklärenden Beiworten benannte. Erst 1768 verwendete auch Miller die 1753 durch Linné eingeführte binominale oder binäre Nomenklatur.

Im Jahr 2002 – also erst in jüngster Zeit – wurde die Unterfamilie der Opuntioideae mit fünf Tribus aufgestellt. In ihr ist die Gattung Opuntia mit über 200 Spezies die artenreichste. Im Gegensatz zu den Angehörigen anderer Unterfamilien der Cactaceae sind die feinen, borstenartigen Dornen der Opuntien mit Widerhaken ausgestattet (notabene: Kakteen haben Dornen, keine Stacheln). Deshalb lassen sie sich aus der Haut von Warmblütern nur schwer entfernen und verursachen zuweilen Entzündungen. Die Samen von Feigenkakteen haben einen harten knochigen "Mantel".

"Nopalitos" als nahrhaftes Gemüse

Feigenkakteen sind von Kanada bis Patagonien in Höhenlagen bis zu 4700 m verbreitet. Ihr gemeinsames Erkennungsmerkmal sind blattförmig segmentierte sukkulente Sprosse. Innerhalb der Gattung gibt es indessen bemerkenswerte Unterschiede in Bezug auf Größe, Habitus, Farbe und Bedornung.

Die maximal 10 cm hohe Opuntia fragilis ist der kleinste Vertreter der Gattung und in den kühleren Gebieten im Westen der USA und Kanadas heimisch. Aufgrund ihrer Frosttoleranz ist sie auch in Mitteleuropa winterhart und wird hier zuweilen in Gärten gepflanzt. In ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet wird die "zerbrechliche Opuntie" unter anderem als Heilpflanze gegen Schmerzen und als harntreibendes Mittel verwendet.

Weitaus größere Bedeutung hat indessen die "Indische Feige", Opuntia ficus-indica. Die Typusart der Gattung, ist an ihren großen ovalen Sprossabschnitten mit einem Durchmesser bis zu 60 cm leicht zu erkennen. Die Pflanzen haben ein strauch- bis baumartiges Erscheinungsbild und erreichen eine Höhe bis zu sechs Metern.

Als die Europäer in die Neue Welt kamen, bauten die Azteken bereits eine dornenarme Gartenform an. Vermutlich hatte man in Mexiko den "Nopal" – so der landesübliche Name des Feigenkaktus – schon mit dem Übergang vom Wildbeutertum zur Landwirtschaft im dritten Jahrtausend vor Christus zu kultivieren begonnen. Wohl deshalb symbolisiert im mexikanischen Wappen eine Opuntie das kulturelle Erbe der Azteken.

Auf den mexikanischen Märkten sind "Nopalitos" – junge, noch dornenlose Neutriebe – als Gemüse stets präsent. Mittlerweile lädt sogar die Erfurter Gärtnerei Haage, Europas ältester Spezialbetrieb für Kakteen, im Sommerhalbjahr zu Kakteenmenüs ein. Zuweilen werden "Nopales" auch an das Vieh verfüttert. Manche Bauern frieden ihre Grundstücke oder Felder mit dichten Hecken aus Opuntien ein. Weil überalterte Pflanzen verholzen, kann man sie sogar als Brennmaterial nutzen.

Die "Nopalitos" können gebraten, gekocht, geschmort oder roh als Salat zubereitet werden. Die Früchte sind sowohl frisch genießbar als auch für die Zubereitung von Saft, Gelee und anderen Nahrungsmitteln geeignet. Sogar alkoholische Getränke und Branntwein können aus ihnen hergestellt werden.

Es wurde vorgeschlagen, Feigenkakteen in den trocken-heißen Zonen des Globus in stärkerem Maße als Futter- und Nahrungspflanzen zu nutzen.

Opuntien in der Volksmedizin

Die Blüten der Opuntien spielen eine gewisse Rolle in der Volksmedizin. In manchen Regionen der Neuen Welt glaubt man, dass ihr Verzehr die Libido fördert. Andere indigene Bewohner Amerikas – insbesondere ältere Personen – verzehren sie aufgrund ihrer blasenstärkenden Wirkung. Zwar wurden 1998 in der Zeitschrift "Urological Research" positive Studienergebnisse zum Einfluss von Blütenextrakten auf eine benigne Prostatavergrößerung publiziert, doch gilt die Wirksamkeit nicht als wissenschaftlich belegt.

Dies trifft auch auf andere Indikationen zu. So wurde der Einsatz von Opuntien zur Behandlung von Diabetes mellitus diskutiert. Mexikanischen Wissenschaftlern war aufgefallen, dass die Bewohner im Opuntien-Anbaugebiet Milpa Alpa bei den Pyramiden von Teotihuacan nur äußerst selten an Diabetes mellitus leiden. Nach klinischen Untersuchungen haben Alberto C. Frati-Munari und Mitarbeiter am Hospital de Especialidades del Centro Médico La Raza in Mexico City von 1983 bis 1991 mehrere Aufsätze publiziert, in denen sie behaupten, dass Extrakte der "Nopalitos" von Opuntia streptacantha die Triglyceridspiegel im Blut senken und antidiabetisch wirken.

Ferner wurden in Studien mit Opuntia ficus-indica eine vermehrte Magenschleimbildung bei Ratten und antioxidative Wirkungen beobachtet.

Hier "Unkraut", dort Gartenpflanze

Einige Opuntia -Arten sind aufgrund ihrer Wüchsigkeit in etlichen Regionen der Welt längst zur Plage geworden. In Australien, wo ganze Landstriche unter wild wuchernden Blatttrieben "begraben" worden sind, hat man versucht, die Ausbreitung der Pflanzen mithilfe natürlicher Feinde wie der Cochenille-Laus oder eines bestimmten Pilzes einzudämmen.

In Madagaskar und anderen Ländern wurden mittlerweile durch Naturschutzverbände begleitete Aktionen ins Leben gerufen, um die Bestände der Neophyten auf ein vernünftiges Maß zu beschränken. Allerdings sind keineswegs alle 200 Opuntia -Spezies fern ihrer Heimat zum "Unkraut" mutiert. Einige von ihnen sind heute bedroht und bedürfen des Schutzes.

In Mitteleuropa werden Opuntien kaum jemals zur Plage werden. Hier erfreuen sie Pflanzenliebhaber im sonnigen Südfenster, als Kübelpflanze auf der sommerlichen Terrasse oder – sofern winterhart – auch im "Xerophytengarten". Gelegentlich entdeckt man Feigenkakteen sogar in Apothekenschaufenstern – ein Indiz, dass sich mancher Apotheker, manche PTA für die kuriosen Pflanzen aus der Neuen Welt begeistern kann.


Reinhard Wylegalla
Internet: www.opuntien.de

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