Seite 3

Erwartungen

Thomas Müller-Bohn

Die Bundestagswahl ist entschieden. Schon am Wahlabend begannen die Mutmaßungen über absehbare Diskrepanzen zwischen den künftigen Regierungsparteien. Nun haben die Koalitionsverhandlungen begonnen. Zu den größten Streitpunkten dürfte der Gesundheitsfonds gehören. Zur Erinnerung: Der Fonds war ein typisches Kompromissprodukt der Großen Koalition. Beide Seiten hätten ihn später in unterschiedliche Richtungen ausbauen können. Doch während die SPD im jüngsten Wahlkampf wieder die Bürgerversicherung propagierte, verfolgte die CDU ihr früheres Prämienmodell nicht konsequent weiter, wohl auch mit Rücksicht auf die CSU. Mit dem Ende der Großen Koalition ist der politische Grund für den Fonds weggefallen. Doch trotz kritischer Stimmen aus der CDU und besonders aus der CSU hat Kanzlerin Merkel ihn mittlerweile zu einer Kernposition der Union hochgelobt. Die FDP hat ihn dagegen im Wahlkampf verteufelt. Doch was macht den Fonds für die Liberalen so unannehmbar?

Die Steueranteile im Fonds sind unproblematisch, denn sie entlasten die Arbeitgeber und sorgen für den Solidarbeitrag der privat Versicherten ohne die PKV anzutasten. Die Krankenkassenfinanzierung über feste Prämien aus dem Fonds passt ebenfalls gut zur FDP-Position. Problematisch ist dagegen die enge Begrenzung der Zusatzbeiträge. Den einheitlichen Beitragssatz einzufrieren und gleichzeitig höhere Zusatzbeiträge zuzulassen, würde die Hauptforderung der FDP erfüllen, den Krankenkassen ihre Finanzautonomie zurückzugeben. Unsozial wäre das nicht, solange es Krankenkassen ohne Zusatzbeiträge gibt. Wenn die meisten Kassen Zusatzbeiträge bräuchten, müsste der Steueranteil im Fonds erhöht werden.

Ein weiteres Argument gegen den Fonds ist der morbiditätsabhängige Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA). Er ist ein bürokratisches Monster und verkennt die Grundfunktion jeder Versicherung. Es ist der Zweck einer Krankenversicherung, zwischen Gesunden und mehr oder weniger Kranken umzuverteilen. Je größer die Kassen werden, umso einfacher sollte dies möglich sein. Jede Kassenfusion macht den Morbi-RSA immer mehr verzichtbar. Ein perfekter Risikostrukturausgleich dagegen würde Krankenkassen letztlich überflüssig machen, dann könnte der Fonds auch gleich Fallpauschalen an Leistungserbringer zahlen. Ein Koalitionskompromiss könnte daher den Morbi-RSA auf möglichst wenige, einfach ermittelbare Kerndaten reduzieren oder sogar abschaffen. Auch das würde die Finanzautonomie der Kassen vergrößern und zudem die Bürokratie deutlich vermindern helfen. Ein Kompromiss, der den Fonds formal bestehen lässt, aber seine Hauptprobleme löst, ist also denkbar. Was dann noch vom Fonds übrigbliebe, wäre allerdings auch einfacher umzusetzen.

Bürokratieabbau ist auch das Stichwort für ein anderes Problem. Die neue Koalition ist die ideale Gelegenheit für den längst fälligen und oft geforderten Neuanfang bei den Sparinstrumenten des Sozialgesetzbuches. Aus Apothekersicht dominieren die Rabattverträge als herausragendes Problem im Alltag. Doch sie sind eigentlich "nur" die Eskalation der fehlerhaften Grundidee, mit immer wieder neuen zusätzlichen Instrumenten immer mehr einsparen zu wollen. Dabei werden zwangsläufig die Wechselwirkungen und die Bürokratie irgendwann größer als die gesparten Beträge. Dieser Punkt wurde spätestens mit den Rabattverträgen erreicht. Das Grundübel ist die Vielzahl nicht mehr kompatibler Sparmechanismen. Es gilt, die Einsparungen zu maximieren und nicht die Zahl der Maßnahmen. Diese Vorgabe müssen auch die Apotheker bei ihren Lösungsvorschlägen beachten. Sie sollten sich daher nicht zu sehr auf die Zielpreise festlegen. Zielpreise sind – für sich genommen – eine gute Idee und wären ein idealer Ersatz für die Rabattverträge. Das Gebot der Stunde sind aber nicht neue, sondern weniger Instrumente.

Darum ist jetzt zu fragen, ob Zielpreise auch gleich mindestens ein halbes Dutzend weiterer Regelungen ersetzen können. Wahrscheinlich wäre es einfacher und wirksamer, sich auf die bewährten Festbeträge und pauschale Herstellerrabatte zu beschränken und diese noch weiter zu verschärfen. Wenn die FDP ihrer eigenen politischen Logik folgt, müsste sie Instrumente favorisieren, bei denen sich alle Hersteller in einem einheitlichen Rahmen bewähren müssen und der Staat sonst möglichst wenig eingreift. Verträge mit Ausschlussklauseln gegen nicht beteiligte Marktteilnehmer passen nicht in dieses Konzept. Sie mögen zwar kurzfristig noch größere Einsparungen bringen – die können aber immer nur darauf beruhen, dass die Vertragsgewinner sicherer planen und letztlich auf den Ruin der Konkurrenten spekulieren, um sich später im Oligopol bequem einzurichten. Das kann aber kein Ziel für die Politik sein. Das ist neben der unverhältnismäßig großen Bürokratie das Hauptargument gegen die Rabattverträge. Angesichts der vielen Versprechungen vor der Wahl sollten wir von den Politikern jetzt nicht nur die Abschaffung der Rabattverträge erwarten, sondern eine radikale Bereinigung übertriebener und nutzloser sozialrechtlicher Regelungen. Wenn die Politiker die Einmaligkeit der Gelegenheit beteuern, dürfen die Bürger hohe Erwartungen haben.


Thomas Müller-Bohn

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.