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Sportmedizin
Schmerzmittel – fataler Einsatz im Breitensport
Langstreckenläufe (Ultramarathon, Marathon, Halbmarathon, 25- und 10-km-Läufe) werden häufiger. Sie sind ein beliebtes Mittel der Tourismusämter großer und kleiner Städte, den Besuch ihrer Stadt anzukurbeln. Versprochen wird, dass die Strecke gut und das Startgeld niedrig ist, die Quartiere preiswert sind und nach dem Lauf gesellige Veranstaltungen angeboten werden. Allein die Vereinigung German Road Races (GRR) führte 2007 48 größere Straßenläufe durch mit ca. 350.000 Teilnehmern (Marathon: Der Tod läuft mit. 7. 7. 2007).
Tab. 1: Kennzahlen von 1024 Teilnehmern des Bonn-Marathons 2009 Gesamtteilnehmerzahl Anzahl (ca. 1/3 ○+) Alter < 20 46 20 – 39 738 40 – 59 210 60 – 80 30 ohne Lauferfahrung 11% Trainingsumfang (km/Woche) 20 – 90 Schmerzen bei Laufbelastung während des Laufes 17% nach dem Lauf 43% Erfahrung mit Schmerzmitteln beim Sport 67% (15% ○+, 66% ○) Schmerzmitteleinnahme vor dem Bonn-Marathon 61,52% aufgrund von Schmerzen vor dem Start 11% |
Schwere Zwischenfälle nicht nur bei Untrainierten
Da kommt es ungelegen, wenn Zweifel an der Sinnhaftigkeit derartiger, für untrainierte Laien sehr belastender, ja sogar gefährlicher Sportereignisse geäußert werden. Wer will schon hören, dass beim Silvestermarathon in São Paulo oder beim Londonmarathon regelmäßig einige Teilnehmer sterben [21], Herz-Kreislauf-Zusammenbrüche häufig sind, Darmblutungen, -durchbrüche und -nekrosen immer wieder vorkommen [6, 19] und auch die Nierenfunktion akut gefährdet ist [4]? Die Marathon-, Ultramarathon- und Ironman-Teilnehmer Stephanie Ehret, JulieAnn White, Paula Radcliffe und Derek Clayton sind einzelne, hoch trainierte Beispiele dafür, dass trotz intensiver und fachkundiger Vorbereitung schwere Magen-Darm-Blutungen, Darmnekrosen und Nierenversagen auftreten. Für den wenig Trainierten sind die extremen Leistungsanforderungen wohl noch gefährlicher.
Wie häufig schwere Zwischenfälle bei Laiensportlern sind, entzieht sich unserer Kenntnis – vielleicht auch, weil die am Event-Tourismus interessierten Organisatoren dieses Problem bisher offensichtlich erfolgreich verdrängt haben. Immerhin: Eizelne, tastende Untersuchungen zeigen, dass hier ein großes Problem vorliegt, das bisher nicht in den Fokus des öffentlichen Interesses getreten ist.
Besonders bedenklich ist, dass sich wenige Hinweise auf die Verwendung von Arzneimitteln finden, obwohl bereits der Boston-Marathon 2002 [1] gezeigt hat, dass etwa zwei Drittel der Teilnehmer vor dem Start Schmerzmittel eingenommen hatten. Über die Situation in Mitteleuropa wissen wir hingegen fast nichts.
Schmerzmittelkonsum von Breitensportlern
Unseres Wissens erstmalig wurde das Problem des Schmerzmittelkonsums im Zusammenhang mit Breitensport bei einer Analyse freiwillig gegebener Urinproben des Jungfrau-Marathons im Jahre 1998 untersucht [11]. Hier zeigte sich, dass freiwillig (vor dem Start) gegebene Urinproben zu etwa einem Drittel Analgetika aufwiesen.
Angeregt durch die sich häufenden Berichte über einen unkontrollierten Analgetikakonsum bei Berufssportlern (Fußballer, Handballer, Leichtathleten etc.), führte einer von uns (M. Küster-Kaufmann), unterstützt durch ein großes Team von Schülerinnen und Schülern, eine Befragung der (Breitensport-)Teilnehmer des Bonn-Marathons 2009 durch [3]. Dabei zeigte sich, dass fast zwei Drittel der Breitensportler bereits vor dem Start Schmerzmittel eingenommen hatten (Tab. 1). Es handelte sich im Wesentlichen um Diclofenac und Ibuprofen, aber auch Acetylsalicylsäure (ASS), Meloxicam, Metamizol, Naproxen und Paracetamol wurden genannt (Tab. 2).
Ohne Zweifel sind Diclofenac (50 mg), Ibuprofen (400 mg) und Naproxen (500 mg) geeignet, Muskel- und Gelenkschmerzen zu vermindern [7, 10, 20]. So weist die Arbeit von Donnelly et al. [Br J Sports Med. 1988 Mar;22(1):35 – 8] darauf hin, dass 50 mg Diclofenac, am Ende der Laufbelastung genommen, zu einer deutlichen Reduktion der Muskel- und Gelenkbeschwerden führt.
Allerdings wurden die Schmerzmittel, wie die Daten unserer Befragung vom Bonn-Marathon zeigen, zum falschen Zeitpunkt (vor Laufbeginn, s. unten) in zu hoher Dosis (> 600 mg Ibuprofen und > 50 mg Diclofenac) angewendet. Bedrückend ist, dass über 80% der Anwender weder in Eigenverantwortung mithilfe von Laboranalysen ihre Tauglichkeit überprüft noch vor Medikamentenverwendung einen Arzt oder Apotheker befragt hatten (Tab. 2). Hier scheint ein erheblicher Informations- und Beratungsbedarf gegeben zu sein.
Tab. 2: Analgetikaeinnahme vor dem Start* des Bonn-Marathons 2009; [vgl. auch 3] Die Daten beziehen sich auf 61,52% der befragten Breitensportler, die Analgetika vor dem Start eingenommen haben. Medikation Gesamt [%]* Anzahl Ibuprofen
Dosis > 600 mg 46,97% 43%° 481 164 (117 ○) Diclofenac Dosis > 50 mg 25,97% 65%° 266 203 (152 ○) ASS
Dosis > 1 g 16,99% -° 174 60 Meloxicam **
Dosis > 7,5 mg 4,98% 27%° 51 26 Paracetamol
Dosis > 1 g 4,00% 3%° 41 20 Naproxen
Dosis > 500 mg 3,03% 17%° 31 11 Metamizol **
Dosis > 1 g 1,95% 7%° 20 1 Sonstige 4,98% 51 Schmerzmittel in der Trainingsphase 36% mehr Männer Überprüfung 11% Risikoaufklärung durch Arzt/Apotheker 5% * da teilweise mehr als ein Wirkstoff eingenommen wurde, liegt die Gesamtsumme über 100% ** verschreibungspflichtig °"weiß nicht" nicht berücksichtigt |
Gefahren und ihre Mechanismen
Ausdauersportarten stellen eine erhebliche Belastung des gesamten Organismus, insbesondere des Herz-Kreislauf-Systems, des Magen-Darm-Trakts und der Niere, dar. Drei ganz unterschiedliche Mechanismen tragen zur Organschädigung bei und verstärken sich dabei gegenseitig [14]:
- Aufgrund des Sauerstoffbedarfs der Muskulatur werden andere Organsysteme (besonders der Magen-Darm-Trakt; vgl. Abb. 1) erheblich und die Niere (ein wenig) minderdurchblutet.
- Bei allen Laufsportarten, aber auch beim Fahrradfahren werden innere Organe durch Stöße und Schüttelbewegungen gestört. Dadurch wird die Funktion und Integrität dieser Organsysteme beeinträchtigt. Die Barrierefunktion der Darmwand wird gestört (Abb. 2). Zu den "physiologischen" und vom Organismus meist ertragenen und kompensierten Schäden kommt bei der Anwendung von Schmerzmitteln (und hier handelt es sich ausnahmslos um Cyclooxygenasehemmer) ein weiteres Problem hinzu:
- Schmerzmittel erhöhen die Durchlässigkeit des Magen-Darm-Traktes. Bakterien und bakterielle Toxine treten vermehrt im Blut auf und erhöhen die Durchlässigkeit weiter (Abb. 2). Diese Toxine schädigen ihrerseits den gesamten Organismus. Dadurch wird die Nierenfunktion zusätzlich eingeschränkt.
Blutungen in den Magen-Darm-Trakt, aber auch in die Niere, sind häufige Konsequenzen (Tab. 3) [8, 18, 19]. Sie werden leider allzu selten mit der sportlichen Belastung und dem Medikamentenkonsum in Verbindung gebracht. Dabei liegt die Beziehung auf der Hand (Tab. 1). Interessanterweise ist in Fachkreisen bekannt, dass bei Ausdauersportlern häufig eine sogenannte "Sportleranämie" festgestellt wird, die auch in Zeiten von Epo bei denjenigen manifest wird, die regelmäßig Ausdauersport betreiben und Magen-Darm-Trakt und Niere belasten [5, 19, 22].
Bedauerlich ist, dass diese frühzeitige Einnahme von schmerzlindernden Mitteln – wohl aus Angst vor Schmerzen, die kommen könnten oder aufgrund bereits bestehender Schmerzen – schmerztherapeutisch sinnlos oder falsch ist. Eine profunde Studie aus den Vereinigten Staaten [13] zeigt, dass die regelmäßige Einnahme von Ibuprofen während eines ca. 24 Stunden dauernden Ultramarathons im Vergleich zur Placebogruppe keinesfalls mit weniger Schmerzen oder höherer Leistungsfähigkeit einherging (Abb. 3). Nach dem Lauf waren die Muskel- und Gelenkschmerzen in beiden Gruppen gleich. Allerdings wurden die letzten 200 mg Ibuprofen (in der behandelten Gruppe) bereits ca. sechs Stunden vor Laufende eingenommen, zu früh, um die Schmerzen nach dem Lauf zu unterdrücken. Andere Untersuchungen zeigen, dass unmittelbar nach der sportlichen Belastung eingenommenes Diclofenac, Ibuprofen oder Naproxen Muskel- oder Gelenkschmerzen an den folgenden Tagen reduzierte [7, 10, 20].
Tab. 3: Blutverluste während eines Marathonlaufs* Anzahl Läufer Hb im Stuhl vor dem Lauf (mg/g) Hb im Stuhl nach dem Lauf (mg/g) Ø Arzneimittel 28 0,86 1,4 (alle) Arzneimittel** 13 0,93 1,8 ASS 3 keine Angabe*** 3,1 ASS + Naproxen 1 keine Angabe*** 13,1 * Die Autoren bestimmten vor und nach einem Marathonlauf den Hämoglobingehalt des Stuhls. ** Ass (3); Paracetamol (3); Naproxen (1); Ass + Naproxen (1); Pseudoephrin (1); Clavulan (1); *** Im Orgininaltext bezeichnet als "normal”. |
Der Körper braucht eher Salz als Flüssigkeit
Schließlich bleibt anzumerken, dass die ständige Zufuhr von Mineralwasser bei sportlichen Hochleistungen keineswegs nützlich sein muss, so es sich denn um reines Mineralwasser handelt. Was der Körper braucht, ist weniger Flüssigkeitsvolumen als Salz. So zeigte es sich im bereits zitierten Boston-Marathon, dass die Vieltrinker, vor allem diejenigen, die nicht supplementiertes Mineralwasser zu sich nahmen (sollte mindestens 1–2 g NaCl/l) enthalten), besonders Herz-Kreislauf gefährdet waren [1]. Diese Gefährdung wurde durch Cyclooxygenasehemmer, vor dem Lauf eingenommen, erhöht [17].
Was ist zu tun?
Es wäre eine Illusion anzunehmen, dass die Information breiter Bevölkerungsgruppen über die Risiken gelegentlicher sportlicher Höchstleistungen zu einem veränderten Verhalten führen würde. Im Gegenteil: Fast jede Gemeinde meint, einen Marathonlauf organisieren zu müssen. Die Weltstadt Roth brüstet sich damit, die Heimat des Ironman-Wettbewerbs zu sein, und sicher wird sich bald eine andere Gemeinde zum Zentrum des Nordic Walkings erklären. An Flüssen und Seen werden Dauerschwimmveranstaltungen durchgeführt, und im Winter finden vielerorts (Ski-) Langlaufvolksläufe statt. Es erscheint sinnvoll, die Teilnehmer besser zu beraten. Sie sollten wissen, dass
- diese Art von gelegentlicher Hochleistung selten gesund ist;
- Gelenke, die bereits bei geringer Belastung schmerzen, zusätzlichen Schaden bei Überlastung nehmen: Wer vor dem Start bereits Gelenk- oder Muskelschmerzen hat, sollte nicht am Wettbewerb teilnehmen. Das ohnehin vorgeschädigte Knorpel-Knochen-Muskelsystem wird unter Schmerzmitteleinnahme wahrscheinlich eher weiteren Schaden nehmen als ohne. In jungen Jahren droht der frühzeitige Gelenkersatz.
- Flüssigkeits- und Salzzufuhr während der sportlichen Hochleistung ist notwendig, aber nicht nach dem Motto: "Viel hilft viel." Nur trinken, wenn wirklich Bedarf da ist, und dann mit Salz angereichertes Wasser oder sogenannte isotone Flüssigkeitssalzgemische. Magnesium wird häufig aus Angst vor Krämpfen eingenommen. Es gibt jedoch keinen Beleg dafür, dass die Magnesiumzufuhr etwas Anderes bewirkt als Durchfälle. Aus wissenschaftlicher Sicht scheint sie mehr als überflüssig [12].
- Wenn Schmerzen nach dem Wettkampf zu erwarten sind, dann sollten geeignete Schmerzmittel nach der Belastung, nach ausreichender Flüssigkeits- und Salzzufuhr eingenommen werden. Schnell, aber kurz wirksame Wirkstoffe, wie Diclofenac und Ibuprofen, erscheinen geeigneter als solche mit langsamer Ausscheidung, wie Piroxicam, Meloxicam und Naproxen. Paracetamol wirkt nur sehr begrenzt in der erlaubten Dosierung, was gelegentlich zu Überdosierungen und Leberschäden führt. Daher: Kein Paracetamol. Ebenfalls auf keinen Fall ASS: Sie erhöht die Blutungsneigung für Tage und manche Notoperation, z. B. nach Stürzen, war unmöglich oder führte zu Blutungen, weil vorab ASS eingenommen wurde [2].
Der Apotheker sollte mehr und besser beraten
Unsere Befragung zeigte, dass weniger als 10% der Breitensportteilnehmer beim diesjährigen Bonn-Marathon sich vor Schmerzmittelanwendung bei Arzt oder Apotheker informiert hatten. Man darf wohl schließen, dass hier ein erheblicher Beratungsbedarf besteht. Wann welche Medikamente, wenn denn unbedingt nötig, eingenommen werden können, sollte von kundigem Fachpersonal vermittelt werden und nicht dem Zufall überlassen bleiben.
Für die Verfasser:
Prof. Dr. med. Kay Brune Doerenkamp-Professor, Institut für Experimentelle und Klinische Pharmakologie & Toxikologie FAU Erlangen-Nürnberg
Fahrstr. 17, D-91054 Erlangen
Koautoren:
U. Niederweis, M. A., Institut für Experimentelle und Klinische Pharmakologie & Toxikologie, FAU Erlangen-Nürnberg;
Dr. med. M. Küster-Kaufmann,
Schmerzzentrum Bonn-Bad Godesberg
Literatur
[1] Almond CS, Shin AY, Fortescue EB, Mannix RC, Wypij D, Binstadt BA, Duncan CN, Olson DP, Salerno AE, Newburger JW, Greenes DS. Hyponatremia among runners in the Boston Marathon. N Engl J Med. 2005 Apr 14;352(15):1550 – 6.
[2] Beall S, Garner J, Oxley D. Anterolateral compartment syndrome related to drug-induced bleeding. A case report. Am J Sports Med. 1983 Nov-Dec;11(6):454 – 5.
[3] Brune K, Niederweis U, Kaufmann A, Küster-Kaufmann M. Analgetikamissbrauch bei Marathonläufern: Jeder Zweite nimmt vor dem Start ein Schmerzmittel. MMW-Fortschr. Med. 2009, 40:39 – 42.
[4] Brune K, Niederweis U, Krämer BK. Sport und Schmerzmittel: Unheilige Allianz zum Schaden der Niere. Dt. Ärzteblatt 2008, 105 (37): A1894 – 1900.
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