Aus Kammern und Verbänden

Der geriatrische Patient

Vor der DPhG-Jahrestagung 2009 in Jena veranstaltete die DPhG-Fachgruppe Klinische Pharmazie ein Vorsymposium zum Thema "Der geriatrische Patient". Dr. Thilo Bertsche, Universität Heidelberg, und Dipl.-Pharm. Oliver Schwalbe, Universität Bonn, organisierten und moderierten die Veranstaltung.
Die über 60-jährigen Patienten erhalten 60% der verordneten Arzneimittel, aber ihre Arzneimitteltherapiesicherheit lässt noch zu wünschen übrig.
Foto: Hospital zum Heiligen Geist

Einleitend wies Bertsche darauf hin, dass die Optimierung der Arzneimitteltherapiesicherheit eine der zentralen Herausforderungen der nächsten Jahre für alle Gesundheitsberufe darstellt. Dabei ist der therapeutische Gesamtzustand des Patienten mit den Faktoren Multimorbidität, Gebrechlichkeit (Friality), Polypragmasie und Polypharmakotherapie entscheidend.

Pharmakokinetische Veränderungen im Alter

Hochschuldozent Dr. Georg Hempel, Universität Münster, referierte über den Einfluss von Alterungsprozessen auf die Pharmakokinetik von Arzneistoffen. Resorptionsvorgänge sind bei älteren Patienten nicht wesentlich verändert. Dagegen sind Verteilungsvorgänge durch den höheren Fettanteil und das größere Verteilungsvolumen modifiziert. Zudem ist auch die Leberfunktion verändert, was sich beim First-pass-Effekt bemerkbar macht, aber nur bei Arzneistoffen mit Blutfluss-limitierter Clearance wie Propranolol relevant ist. Vor allem die geringere glomeruläre Filtrationsrate beim älteren Patienten führt dazu, dass Arzneistoffe, die zum großen Teil über die Niere eliminiert werden, akkumulieren können. Hempel merkte an, dass es einen großen Bedarf an Studien zur Untersuchung von Pharmakokinetik-Pharmakodynamik-Korrelationen gibt.

Öffentliche Apotheke und Alzheimer-Patienten

Dipl.-Pharm. Oliver Schwalbe stellte Ergebnisse und Erfahrungen aus seinem "Pilot-Projekt zur Pharmazeutischen Betreuung von Alzheimer-Patienten und ihrer Angehörigen in der ambulanten Therapie" vor. Offizinapotheker können mit dazu beitragen, die Compliance der Alzheimer-Patienten zu optimieren. So können sie arzneimittelbezogene Probleme – vor allem ungeeignete Verordnungen und unzweckmäßige Dosierungen – erkennen und lösen. Fast alle Antidementiva müssen im Laufe der Therapieeinstellung höher dosiert werden, was aber häufig unterbleibt.

Schwalbe befragte auch Apotheker zur Durchführbarkeit der Pharmazeutischen Betreuung in der öffentlichen Apotheke. Nach ihrer Einschätzung sind vor allem Zeitmangel und auch die nicht immer reibungslose Zusammenarbeit mit dem behandelnden Arzt dafür ein Hindernis.

Pharmakoepidemiologische Aspekte

Apothekerin Kristina Zint, Universität Heidelberg, berichtete, dass ungefähr ein Viertel aller gesetzlich Versicherten in Deutschland über 60 Jahre alt sind und dass ihnen mehr als 60% aller Arzneimittel (definierte Tagesdosen) verschrieben werden. Wichtige arzneimittelbezogene Probleme sind z. B. Verwirrtheitszustände und Stürze, die zu Frakturen führen können. Laut einer Untersuchung überlebt jeder dritte ältere Patient einen chirurgisch behandelten Oberschenkelhalsbruch nicht länger als ein Jahr. Sedativa und Antidepressiva können das Sturzrisiko signifikant erhöhen. Da unerwünschte Arzneimittelwirkungen bei älteren Patienten oft problematisch sind, sind weitere pharmakoepidemiologische Untersuchungen in dieser Patientengruppe erforderlich.

Probleme bei der Arzneimittelanwendung

Apothekerin Diana Witticke, Universität Heidelberg, ging auf die Relevanz der nachlassenden Kognition, Sehfähigkeit und manuellen Geschicklichkeit älterer Patienten für die Pharmakotherapie ein. So vergessen die Patienten häufiger, ihre Arzneimittel einzunehmen, können ihre Tabletten nicht mehr unterscheiden und z. B. ihre Augentropfen oder Inhaler nicht mehr korrekt anwenden.

Geriatrische Pharmazie

Laut Dipl.-Pharm. Frank Hanke, Köln, ist die Geriatrische Pharmazie ein Teilgebiet der Klinischen Pharmazie und vereint klinisch-pharmazeutisches, geriatrisches, und sozialgerontologisches Fachwissen. Weiterbildungen in Geriatrischer Pharmazie bieten bereits die Kammern in Nordrhein und Westfalen-Lippe an. Besonders wichtig ist die Zusammenarbeit zwischen Ärzten, Pflegekräften und Apothekern, um Informationsdefizite zu vermeiden. Als Zukunftsaufgaben nannte Hanke

  • die Etablierung der geriatrischen Pharmazie als strukturierte Dienstleistung,
  • den Ausbau der geriatrischen Kompetenz (standardisierte Schulungen),
  • die Multidisziplinarität (Visiten/Fallbesprechungen) und
  • die Netzwerkbildung.

Die Arzneimitteltherapiesicherheit in Alten- und Pflegeheimen ist auch Gegenstand eines aktuellen, durch das Bundesministerium für Gesundheit geförderten Forschungsprojekts, das, basierend auf einer Status-quo-Erhebung, Strategien zu ihrer Verbesserung erarbeiten soll.

Das geriatrische Team

Dr. Elke Wächter, Fachärztin am Geriatrischen Zentrum Karlsruhe, ging auf die unterschiedlichen Mitglieder geriatrischer Teams wie Ärzte, Pflegekräfte, Physiotherapeuten und Logopäden ein. Sie bedauerte, dass in vielen Fällen noch kein Pharmazeut dazugehört. Als besonders überwachungsbedürftige Arzneimittelgruppen nannte sie Antihypertensiva, Diuretika, Analgetika und Psychopharmaka. Aufgrund ihrer Erfahrungen hält sie Diuretika wegen häufiger unerwünschter Arzneimittelwirkungen bei älteren Patienten nur bei einer Herzinsuffizienz für indiziert. Zur Patientenbeurteilung dient u. a. das geriatrische Assessment (mit Alltagsaktivitätenskala und Handkraftmessung). Wegen der Compliance sollte ein Patient höchstens sechs Arzneimittel erhalten. Es sollten ein möglichst einfaches Applikationsschema und jeweils die niedrigste effektive Dosis gewählt werden.

Pharmazeutische Betreuung auf Station …

Dr. Sanjiv Sarin, leitender Apotheker der Rhein-Mosel Fachklinik Andernach, referierte über die Rolle des Krankenhausapothekers bei geriatrischen Patienten. Dieser kann durch die Teilnahme an Visiten (Kurvenvisite, Halbkurvenvisite, Patientengespräch in der Apotheke), Arzneimittelanamnese und Arzneimittelinformation von Ärzten und Pflegepersonal zur Optimierung der Arzneimitteltherapie beitragen. Als häufigste Fehler nannte Sarin die abendliche Diuretikagabe, die Kombination Valoron® (Tilidin/Naloxon) plus Tramal® (Tramadol) und die Behandlung von Parkinsonpatienten mit Haloperidol. Wichtig sei auch der Kontakt mit niedergelassenen Ärzten, z. B. in Form von Qualitätszirkeln. Die Implementierung einer EDV-basierten Verordnungsplattform im Klinikum Andernach soll in Kürze zusätzlich helfen, die Arzneimitteltherapiesicherheit zu verbessern.

… und in Alten- und Pflegeheimen

Prof. Dr. Petra Thürmann, Klinische Pharmakologie in Wuppertal, und Prof. Dr. Ulrich Jaehde, Klinische Pharmazie in Bonn, zeigten Defizite der Arzneimitteltherapiesicherheit speziell in Alten- und Pflegeheimen auf. Dort werden mehr Antikoagulanzien (41% vs. 21%) und Antipsychotika (40% vs. 7%) verordnet als im ambulanten Bereich. Ein weiteres Problem stellt die Antibiotikaverordnung dar, die durchschnittlich neun Tage dauert und bei etwa 6% der Patienten zu unerwünschten Arzneimittelereignissen (UAE) wie Übelkeit, Hautausschlag, Diarrhö und Mykosen führt. Wegen unvollständiger Patientenakten ist die Datenlage häufig unzureichend, um die Vermeidbarkeit von UAE zu beurteilen. In zwei Untersuchungen war die UAE-Rate (UAE pro 100 Heimbewohnermonate) in Deutschland niedriger als in den USA (4,55 vs. 9,8), was damit zusammenhängen kann, dass deutsche Heime kleiner sind als amerikanische.

Ursachen für vermeidbare UAE sind vor allem falsche Dosierungen (49%) und ungeeignete Arzneimittel (22%). Wegen des hohen vermeidbaren Anteils von UAE und der unbefriedigenden Datenlage wurde im April 2009 eine Machbarkeitsstudie mit 1000 Heimbewohnern im Raum Köln/Bonn begonnen. Anhand von Triggerkriterien (klinische Symptome, Gabe von Antidoten, Krankenhauseinweisungen und Polymedikation) erfassen klinische Pharmazeuten UAE mittels Aktenstudiums, worauf die Medikation in der Interventionsgruppe geändert wird.

Zur Erhöhung der Arzneimitteltherapiesicherheit dienen auch die Prozessanalyse, die Transparenz der Problemfelder, die Schulung und die Implementierung von Arzneimitteltherapiesicherheits-Teams aus Apotheker und Pflegekraft.

Oliver Schwalbe, Bonn; Dirk Keiner, Suhl; Thilo Bertsche, Heidelberg

 

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